Sven Scherz-Schade - 27. Juni 2015 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Landeskulturpolitik

Baden-Württemberg: Kulturelle Teilhabe und Bildung sichern


Herausforderungen der Kulturpolitik in Baden-Württemberg

Baden-Württemberg

  • Landeshauptstadt: Stuttgart
  • Gründung: 25. April 1952
  • Einwohner: 10,7 Mio.
  • Fläche: 35.751,46 km²
  • Bevölkerungsdichte: 299 Einwohner pro km²
  • Regierungschef: Winfried Kretschmann, MdL (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Regierende Parteien: Bündnis 90/Die Grünen und SPD
  • Nächste Wahl: 13. März 2016
  • Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst: Theresia Bauer, MdL (Bündnis 90 / Die Grünen)
  • Öffentliche Ausgaben für Kultur:  1.046,0 Mio. Euro/Jahr
  • Kulturausgaben je Einwohner: 97,33 Euro/Jahr
  • Kommunalisierungsgrad: 60,4%

Eine Legislaturperiode Grün-Rot hat Baden-Württemberg nun bald hinter sich. Bereits die Vorgängerregierung hatte mit der so genannten »Landesstrategie Kultur 2020« die wesentliche kulturpolitische Orientierung vorgegeben. Sie wurde en gros auch unter Baden-Württembergs Kunstministerin Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen) verfolgt. Im März 2016 sind im »Ländle« wieder Landtagswahlen. Für die Zukunft wird in dem vergleichsweise wohlhabenden Bundesland eine »Kulturgarantie« ein wichtiges Thema sein, wobei die Kommunen und deren freiwillige Leistungen für die Kultur unterstützt werden sollen. Auch die »Teilhabe« aller Menschen an kulturellen Angeboten soll forciert werden. Unzufrieden sind die meisten kulturpolitischen Akteure mit dem recht niedrigen Bedeutungsrang der kulturellen Bildung. Sie droht innerhalb der enormen Bewegungen der baden-württembergischen Schul- und Bildungspolitik etwas unterzugehen. Ein Vorschlag für die Zukunft wäre hier ein Querschnittsreferat für kulturelle Bildung?

 

Große und kostenintensive Maßnahmen stehen an. In Karlsruhe etwa soll die Kunsthalle saniert werden, in der Landeshauptstadt Stuttgart die Staatsoper. Allein dafür werden wohl 300 bis 400 Millionen Euro benötigt. Solch hohe Ausgaben für die Kultur, die innerhalb kurzer Zeit abgerufen werden müssen, sind selten. Sie mögen den einen oder anderen, der sich finanzpolitisch um den Landeshaushalt kümmert, schmerzen. Doch langfristig schaffen gerade die kostenintensiven Maßnahmen in Sachen Kultur auch enorme Motivation. Denn wenn in die großen Kulturtanker der Städte investiert wird, muss im Ausgleich auch in die Fläche, sprich in den kleineren Gemeinden Kunst und Kultur gefördert werden. Das jedenfalls ist Ansporn und Anspruch von Sabine Kurtz. Die Landtagsabgeordnete der CDU-Fraktion ist Sprecherin für Kulturpolitik und ihr Credo ist das ausgewogene Verhältnis zwischen Spitze und Breite, zwischen exzellenter Profikunst einerseits und Amateur- und Laienkunst andererseits, aber eben auch zwischen Ballungsgebieten und ländlichem Raum.

 

Tatsächlich ist für die Kulturpolitik Baden-Württembergs diese Ausgewogenheit eine der größten Herausforderungen, die unabhängig der parteipolitischen Richtung von den Akteuren auf Landesebene auch verfolgt wird, freilich mit jeweils unterschiedlichem Gewicht. Jenes Prinzip der Ausgewogenheit lässt sich zurückführen auf die Kunstkonzeption »Kultur 2020. Kunstpolitik für Baden-Württemberg«, welche im Herbst 2010 vorgestellt wurde. Darin ist die Dezentralität – neben Liberalität, Pluralität und Subsidiarität – eine der vier Säulen kulturpolitischen Handelns. Insofern genießt dezentrale Kulturförderung in Baden-Württemberg große Aufmerksamkeit und für die Zukunft müsste, zum Beispiel in Hinblick auf die Stuttgarter Staatsopernsanierung irgendeine »ausgleichende Gerechtigkeit« für die kleineren Städte her… Sabine Kurtz: »Ich könnte mir vorstellen, dass man ein Unterstützungsprogramm auflegt, um die Sanierung und Renovierung der Kommunaltheater sicherzustellen.«

 

Die Kulturausgaben Baden-Württembergs sind im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr gut. Ungefähr ein Prozent des Landeshaushalts geht in die Kultur. Diese verlässliche Kulturförderpolitik, gepaart mit einem historisch gewachsenen starken Kulturfinanzierungsanteil der Kommunen, reicht zurück bis in die Regierung Lothar Späths und hat eine gute Tradition, die auch ab 2011 unter den grünen Vorzeichen erhalten blieb. Allen Unkenrufen zum Trotz: Die Grünen haben unterm Strich in der Kulturpolitik nicht so viel anders gemacht.

 

Sie hatten Startschwierigkeiten und mussten sich als Neulinge sammeln. Doch der Regierungsdruck führte in kurzer Zeit innerhalb der Partei zur Etablierung einer neuen selbstbewussten Kulturpolitik. Eine Landesarbeitsgemeinschaft wurde gegründet. Manfred Kern, MdL und kulturpolitischer Sprecher der Grünen, erinnert sich, dass er anfangs dafür intensiv Parteifreunde suchen musste. »Tatsächlich bestand früher bei uns kein großes Interesse für kulturpolitische Fragen«, sagt Manfred Kern. Heute setzen die Grünen als Zukunftsherausforderung auf zwei Schwerpunkte: »Kulturelle Bildung« und »Kulturelle Teilhabe«.

 

Letzteres – die Chance aller, am kulturellen Leben teilzuhaben – soll, so argumentiert Manfred Kern, realisiert werden durch angemessene Kultursubventionen, damit ermäßigte Eintritte für Schüler, Studenten etc. ermöglicht bzw. ausgeweitet werden können. »Zum anderen muss ein System entwickelt werden, das die Nicht-Auslastung, also die leeren Plätze und nicht verkauften Tickets nutzbar macht«, sagt Kern. In Mannheim etwa gibt es die Initiative »Kulturparkett e.V.«, worüber ein bestimmtes Ticket-Kontingent der Stadt an Bedürftige weiter vermittelt wird. »Dieses gute Beispiel könnte man übertragen und auch in Kultureinrichtungen des Landes anbieten«, überlegt Manfred Kern. Ein weiteres positives Beispiel, das in der Zukunft Schule machen soll, ist der Theaterbus Heidelberg, der (vor allem älteres) Publikum aus umliegenden Orten der Region direkt an den Veranstaltungsort bringt. Für solche Initiativen können Landesmittel beantragt werden.

Weitaus komplexer und komplizierter verlief hingegen die Ausgestaltung zur »Kulturellen Bildung«. Kulturpolitische Hauptfrage wird sein, welchen Stellenwert die kulturelle Bildung innerhalb der neuen Schultypen Gemeinschaftsschule und Inklusionsschule einnehmen wird. Noch immer ungeklärt ist, ob die Ganztagsschule genügend Freizeit – oder besser; ausreichend freie Zeiten – beispielsweise für individuellen Musik- und Instrumentalunterricht einräumen wird.

 

Gegenwärtig misst die derzeitige Landesregierung der kulturellen Bildung insofern nicht wirklich hohen Stellenwert bei, als dass kulturelle Bildung nicht als Leitperspektive in den neuen Bildungsplan aufgenommen wurde. Jene neu eingeführten Leitperspektiven sollen pädagogische Orientierungsgrößen liefern und immerhin haben es unter anderem Bildung für nachhaltige Entwicklung, Medienbildung und Verbraucherbildung auf diese Liste der Leitperspektiven geschafft, jedoch kulturelle Bildung nicht! Hat es hier schlichtweg die kulturpolitische Lobby nicht geschafft, sich Gehör zu verschaffen? Für sie hat sich womöglich die Ressortaufteilung der Ministerien als ungünstig erwiesen, da die kulturelle Bildung unter Grün-Rot sowohl aufs Kultusministerium wie aufs Kunstministerium (eigentlich Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst) übertragen wurde. Die Zuständigkeit ist bis dato nicht geklärt. Das hört man unterschwellig immer mal wieder heraus, etwa in Reden auf parlamentarischen Empfängen. Dort ist oft eine ehrliche Begeisterung für die gute Sache kulturelle Bildung spürbar, aber als offene Rechnung bleibt in der Regel im Raum stehen, wer die gute Sache bezahlen soll. So schieben es sich die »Kultus-Leute« und die »Kunst- und Kulturleute« gegenseitig zu. Manfred Kern wünscht sich deshalb, sollten die Grünen 2016 regierungsbeteiligt sein, ein »Querschnittsreferat«, das sich über die Ministerien hinweg mit Kultureller Bildung befasst. Nachgefragt beim Kunstministerium sieht man dort jedoch keinen Handlungsbedarf: »Das Thema [kulturelle Bildung] ist in Baden-Württemberg mit der Verankerung im Kultusministerium und im Wissenschaftsministerium richtig platziert; ein Querschnittsreferat oder ein spezieller Regierungsposten erscheint aus diesem Grunde nicht notwendig.« Und Sabine Kurtz lenkt ein, dass es in der Vergangenheit ja bereits den »Fachbeirat für Kulturelle Bildung« gab, der als Querschnittsgremium alle beteiligten Akteure und ihre Positionen zusammen gebracht hat. Der Fachbeirat hatte im November 2013 seine Empfehlung abgegeben. Nach all der Anstrengung via Fachbeirat erscheint es ihr unverständlich, dass »kulturelle Bildung nun im neuen Bildungsplan nicht explizit hervorgehoben wird«. Dass kulturelle Bildung somit weiterhin kulturpolitische Herausforderung für Baden-Württemberg bleibt, ist gewiss.

 

2020 tritt das ehemals von der Föderalismuskommission beschlossene Verbot der Nettokreditaufnahme der Länder in Kraft. Da wird auch in Baden-Württemberg die Schuldenbremse angezogen. Auch das wird eine kulturpolitische Herausforderung! Denn angesichts rigoroser Einsparvorgaben neigen Politiker schnell dazu, zwischen Pflichtaufgaben und Freiwilligkeitsleistungen zu unterscheiden. Unter letzteres fällt die Kultur, auch wenn sie als Staatsziel in der Landesverfassung Baden-Württembergs erwähnt ist: »Der Staat und die Gemeinden fördern das kulturelle Leben…« Momentan steckt das Ländle nicht in Sparnotwendigkeiten. Das wird aber kommen, wenn die Wirtschaftskraft wieder nachlässt. Für diese schwachen Jahre wird sich auch die Kulturpolitik wappnen müssen, weshalb Sabine Kurtz hierbei für eine »Kulturgarantie« plädiert: Sanierung des Landeshaushalts ja, aber nicht auf Kosten der Kulturausgaben. Das sieht im Prinzip auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Guido Wolf so: »Die Kulturausgaben dürfen nicht allein denjenigen Fundus stellen, aus dem man bis 2020 herausspart.« Die Angst geht um, dass die Kulturausgaben – so Wolf – zum Steinbruch für die Haushaltssanierung werden. Da spürt man den politischen Wind bereits. Der Wahlkampf hat begonnen.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 04/2015 erschienen.


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