Sven Scherz-Schade - 5. Januar 2017 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kommunale Kulturpolitik

Saarbrücken: Im Kleinformat, aber stabil


Kommunale Kulturpolitik in Saarbrücken

Saarbrücken

  • Einwohner:  180.047
  • Fläche: 167 km²
  • Bevölkerungsdichte: 1.066 Einwohner pro km²
  • Nächste Oberbürgermeisterwahl: voraussichtlich Mai 2019
  • Nächste Kommunalwahl: Frühjahr 2019
  • Oberbürgermeisterin: Charlotte Britz (SPD)
  • Dezernent für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Umwelt: Thomas Brück (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Kulturausgaben: 11,5 Millionen Euro pro Jahr
  • Kulturausgaben pro Einwohner: 63,87 Euro pro Jahr

Diese Landeshauptstadt ist überschaubar und liebenswert. Sie ist Universitätsstadt, zieht junge Leute an. Sie ist die einzige Großstadt im ganzen Bundesland. Das Saarland allerdings, tief im bundesdeutschen Westen gelegen, ist auch überschaubar und liebenswert. Saarbrücken macht kulturpolitisch der Verschuldung halber keine großen Sprünge. Auf 180.000 Einwohner kommen im Haushaltsansatz 2016 festgelegte 11,5 Millionen Euro kommunale Kulturausgaben, die aber, so versichert Saarbrückens Kulturdezernent Thomas Brück, „sehr stabil“ seien. In Saarbrücken scharrt derzeit kein Kämmerer mit den Füßen und will mittels Kultur quotierte Sparauflagen einlösen. Entspannte Sache! Die Stadt hat lediglich einen mittelfristigen Sanierungsplan, der zum Großteil über das Stellenmanagement erfüllt wird, das heißt, dass nicht mehr „nachpersonalisiert“ werden kann. „Das bedeutet für die Mitarbeiter mehr Belastung“, gibt Thomas Brück zu: „Aber im Output erfolgt keine Kürzung“. Institutionelle Förderung und Projektfördermittel sind für die nächsten Jahre also sicher, auf dem genannten Niveau der 11,5 Millio­nen. Viel ist das nicht.

 

Saarbrücker Kulturversorgung kann sich dennoch sehen lassen. Große Kulturtanker wie Saarlandmuseum oder Staatstheater sind in Landesobhut. Um genau zu sein: Das Staatstheater ist heute in Landesobhut, vor über zwei Jahrzehnten war es noch kommunal. Saarbrücken hat also gewissermaßen seine kulturpolitischen Herausforderungen schon gehabt. Trägerschaft wurde samt Finanzierung verlagert, was dem Publikum, wenn die Kulturversorgung stimmt, letzten Endes egal sein dürfte. Das Haus samt Oper, Schauspiel, Ballett und Orchester erhält keine kommunale Förderung mehr und ist nicht mehr im Haushalt der Stadt Saarbrücken verortet. Es gibt noch eine minimale Beteiligung an den Pensionszahlungen. „Ansonsten geben wir keine direkte Projektförderung oder Bezuschussung für den laufenden Betrieb, das macht alles der Landeshaushalt“, sagt Thomas Brück.

 

Seit eineinhalb Jahren, seit August 2015, ist er nun im Amt, wobei der Begriff Kulturdezernent die Sache nicht ganz trifft. Brücks Dezernat umfasst nicht nur Kultur, auch Bildung, Wissenschaft und Umwelt sind mit dabei. Damit ist der ehemalige kulturpolitische Sprecher der Grünen im Saarbrücker Stadtrat gut ausgelastet, kommt viel rum, auch in Nachbarbereichen der Kultur. Wie gesagt, es ist überschaubar und liebenswert. Saarbrückens Kultur profitiert sehr davon, Landeshauptstadt zu sein. In punkto Klassik hat man neben dem in Länderobhut angesiedelten Saarländischen Staatsorchester zudem auch noch die vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk getragene Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern vor Ort, sodass die Stadt auf ein reges und qualitativ hoch anzusiedelndes Konzertwesen stolz sein kann. Das hat gewissermaßen den Vorteil, dass sich die kommunale Kulturförderung auf ihren regionalen und besonderen Gestaltungsspielraum konzentrieren kann. „Wir fördern die hier ansässige lebhafte freie Szene, insbesondere Musik“, sagt Brück, „Schwerpunkt ist die Schnittstelle zwischen Jazz, moderner Musik und Klassik“. So vergibt die Stadt Kompositionsaufträge an örtliche Künstler der freien Szene, die Stadt lädt ein zum jährlichen Festival „Saarbrücker Sommermusik“, das über das Stadtgebiet verteilt, vorrangig unter freiem Himmel in öffentlichen Parkanlagen, bei kostenfreiem Eintritt stattfindet. Mancher Konzertabend hat hier Volksfestcharakter, die Kommune unterstützt somit die Kulturförderung in die Breite.

 

Im kommunalen Kulturhaushalt fest verankert sind das kommunale Kino und die Stadtbibliothek, die verlässlichen Größen, mit denen die Stadt ihre kulturellen Rahmenbedingungen abstecken kann. Das gilt auch für das „Theater im Viertel“ (tiv), das als freie Bühne fungiert und sehr gut ausgelastet ist. Der Träger ist dort ein Verein, der von der Kommune bezuschusst wird. „Die Stadt überlässt uns auch die Immobilie mietfrei“, sagt Dieter Desgranges, künstlerischer Leiter am tiv. Aus dem tiv-Kreis entstand 2008 auch das „Netzwerk Freie Szene Saar“, eine Interessenvertretung, die Kunst und Kultur mit den Mitteln professioneller Freier Theater und spartenübergreifender Performancegruppen fördert.

 

20 aktive Mitgliedschaften zählt das Netzwerk, darunter sowohl einzelne Künstler wie ganze Ensembles und Gruppen. In solcher Selbstorganisation liegen enorme kulturpolitische Potenziale für Freiberufler und Selbständige der darstellenden Kreativwirtschaft, auch in dieser Hinsicht ist die Überschaubarkeit von Stadt und Bundesland von Vorteil. „Bei Stadt und Verwaltung stoßen wir immer auf offene Ohren“, betont Desgranges. Hilfe und Unterstützung kämen allerdings selten sofort. Alle Entscheidungen müssten eben erst durch die Behörden und den Kulturausschuss. „Aber prinzipiell spüren wir allseitige Gesprächsbereitschaft und dass man helfen will.“

Ähnlich ambitioniert ist der Netzwerkgedanke auch in der Bildenden Kunst beim 2007 eröffneten sogenannten Kulturbahnhof, dem „KuBa – Kulturzentrum am EuroBahnhof“, einer historischen Immobilie in Bahnhofsnähe. In Vereinsträgerschaft und von der Stadt bezuschusst werden dort kuratierte Ausstellungen gezeigt, es finden unterschiedlichste kulturelle Veranstaltungen statt, es gibt auch Künstlerateliers im Haus.

 

Präsentation und Zelebration zeitgenössischer Kunst brauchte in Saarbrücken in der Vergangenheit kulturpolitischen Willen, denn trotz Status einer Landeshauptstadt verfügt Saarbrücken über keine Kunsthalle, in der temporäre Ausstellungen und Sonderschauen moderner und zeitgenössischer Kunst gezeigt werden. „Das fangen wir jetzt wieder mit der Stadtgalerie auf“, erklärt Thomas Brück. Von Februar bis April 2017 etwa wird „London Calling“ gezeigt mit aktueller Malerei aus Großbritannien von Paul Morrison (Jahrgang 1966) und Jost Münster (Jahrgang 1968). Aufgabe der Stadtgalerie ist es, internationalen, avantgardistisch ausgerichteten Künstlern, gegenwärtigen Trends und Positionen ihren Platz in der Stadt zu geben, und zwar in Ausstellungen für jeweils drei Monate. Eine Aufgabe, die der Stadt wichtig ist. So wichtig, dass sie sie kulturpolitisch rückerobert hat.

 

Anhand der Stadtgalerie lässt sich nämlich das für eine Landeshauptstadt typische kommunal-kulturpolitische Wechselspiel exemplarisch aufzeigen. Ursprünglich, als die Städte der alten Bundesrepublik noch großzügig Kulturgelder ausgaben, wurde die Stadtgalerie 1985 als städtische Einrichtung gegründet. Sie wurde aber schon 1994 in die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz integriert, nicht nur aus finanziellen Gründen. Von der Anbindung erhoffte man sich nicht zuletzt auch Vorteile in der inhaltlichen Programmierung. Das allerdings erwies sich langfristig als Enttäuschung. Es mangelte an Ausstellungsideen. Thomas Brück: „Es lief zuletzt wie ein Appendix der großen Stiftung, mehr schlecht als recht.“ Mit klarem Mehrheitsbeschluss aus rot-rot-grün entschied sich 2010 deshalb der Stadtrat, die Stadtgalerie wieder zurückzunehmen in kommunale Trägerschaft. Der Vertrag mit der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz wurde gekündigt, zudem beschloss der Stadtrat, dass ein neues Galerie-Konzept entwickelt werden sollte. „Seit der Zeit läuft es besser“, sagt Brück im Rückblick.

 

Dieser ungewöhnlichen Entscheidung, eine Institution wieder in die städtische Kultur-Freiwilligkeit zurückzuholen, ging im Übrigen auch eine der wenigen kulturpolitischen Debatten voraus, die innerhalb der Kommune kontrovers und streitbar geführt wurden. Ansonsten verläuft kommunale Kulturpolitik in Saarbrücken eher einvernehmlich. In Bezug auf die Stadtgalerie hielt jedoch die CDU vehement gegen die Rückführung in städtische Trägerschaft, auch der damalige FDP-Kulturdezernent Erik Schrader rückte die finanziellen Vorteile in den Vordergrund. Letzten Endes ging es in diesen Jahren auch um kulturpolitisches Misstrauen. Die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz sollte einen schmucken Neubau bekommen, das „Museum der Gegenwart“, das den Standort der Stadtgalerie abermals in den Schatten zu stellen drohte. Dass sich der besagte Neubau skandalös verteuerte, von zunächst neun auf letzter Stand 39 Millionen Euro, dass die Baustelle über Monate stillstand und bis dato auf ihre Eröffnung wartet – war damals noch nicht abzusehen. Bloß gut, mag man da sagen. Die Stadtgalerie, innerstädtisch am St. Johanner Markt gelegen, ist heute ein gut geführtes Haus und es trägt seinen Teil bei zur urbanen Attraktivität: Das Leben in der Stadt ist, dass Leute gern flanieren gehen und shoppen. Für kommunale Kulturpolitik zählen solche Argumente durchaus mit bzw. kommen bei der Überzeugungsarbeit über Parteigrenzen hinweg zum Tragen.

 

Zur Erinnerung: Saarbrücken ist „Haushaltsnotlagegemeinde“ – allein den Erhalt der kulturellen Infrastruktur zu sichern, darin besteht bereits die Herausforderung! Doch auch „im Bestand“ kann Saarbrücken kulturell gut überregionale Reichweiten erzielen. Das jährlich im Januar organisierte Filmfestival Max Ophüls wird als städtische Gesellschaft betrieben, es wird realisiert zusammen mit Sponsoren und der Landesregierung und hat sich seit 1980 als das Nachwuchsfestival des deutschsprachigen Films entwickelt. Die Vorstellungen, die an den Festivaltagen laufen, werden in der Regel von zahlreichem und jungem Publikum besucht.

 

Ausgezeichnet werden mit dem Max Ophüls Preis Nachwuchsfilmer in verschiedenen Kategorien wie Langfilm, Regie, Dokumentar, Darsteller. Es gibt einen Ehrenpreis, einen Publikumspreis sowie Auszeichnungen für Kurzfilm, Drehbuch und weiteres. Die Vielfalt der Auszeichnungen vermittelt dabei in die Öffentlichkeit die Bandbreite des künstlerischen Arbeitsmarktes der Film- und Kinokunst. Saarbrücken hat hier als Stadt Verantwortung, auch für die Filmszene außerhalb Deutschlands, womit das Filmfestival Max Ophüls nicht mehr als kulturpolitisches Kleinformat zu zählen ist. Mit bescheidenen Mitteln muss es dennoch auskommen: Für Hotels reicht das Budget nicht. Auch 2017 werden wieder für teilnehmende Jungfilmer Unterkünfte und Schlafmöglichkeiten von Saarbrücker Gastgebern gesucht. Egal ob Coach oder Feldbett… wer kennt jemanden? Auch hier erweist sich die überschaubare und liebenswerte Stadt wieder mal als unschlagbar.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 01/2017 erschienen.


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