Peter Grabowski - 28. August 2017 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kommunale Kulturpolitik

Herbst der Entscheidungen


Kulturpolitik in Erfurt

Erfurt

  • Einwohner: 260.600
  • Fläche: 270 km²
  • Bevölkerungsdichte: 784 Einwohner pro km²
  • Nächste Oberbürgermeisterwahl: 2018
  • Nächste Kommunalwahl: 2019
  • Oberbürgermeister: Andreas Bausewein (SPD)
  • Beigeordnete für Umwelt, Kultur und Sport: Kathrin Hoyer (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Kulturausgaben: ca. 41 Millionen Euro pro Jahr
  • Kulturausgaben pro Einwohner: 195 Euro pro Jahr

In Erfurt stehen bis Jahresende wichtige Beschlüsse zu Ankerpunkten der kulturellen Infrastruktur an: Der Freistaat Thüringen erwägt, auf dem lang vernachlässigten Petersberg gleich hinterm Dom für 50 Millionen Euro ein neues Landesmuseum zu bauen. Im alten Schauspielhaus der Stadt will eine bürgerschaftliche Initiative ein neues Kulturquartier einrichten, und im historischen Hof Krönbacken ist ein hochmodernes Kultur- und Geschichtsportal als zentraler Zugang zur städtischen Museumslandschaft geplant. Das klingt nach Aufbruch in eine verheißungsvolle Zukunft – doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich die Lage auch als ein Netzwerk von Fallstricken.

 

An dem webt die Stadtspitze wohl unbeabsichtigt, aber umso kräftiger mit: Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) ist, anders als sein Vorgänger Manfred Runge, in elf Jahren Amtszeit nicht gerade durch großes Interesse an Kunst und Kultur aufgefallen. Die Kulturdezernentin Kathrin Hoyer von den Grünen ist eher eine Verlegenheitslösung, nachdem sie im April wegen diverser Pannen das Wirtschaftsressort abgeben musste. Unter diesen Bedingungen hat die operative Verwaltungsebene natürlich auch mehr politischen Einfluss als üblich. Das gilt vor allem für den Kulturdirektor der Stadt, Tobias Knoblich.

 

Der promovierte Kulturwissenschaftler und Vizepräsident der Kulturpolitischen Gesellschaft hat seine Direktion nach dem Dienstantritt 2011 völlig umgebaut – dafür hatten Rat und Oberbürgermeister ihn auch explizit geholt. Knoblichs Vorgänger war ein eher hemdsärmeliger Macher, dem vor allem der Erhalt der zahlreichen Institutionen am Herzen lag. Auch deshalb unterhält die mit 210.000 Einwohnern nicht gar so große Stadt bis heute mehr als ein Dutzend Museen. Die hatten im Laufe der Jahrzehnte ein veritables Eigenleben entwickelt: Aufeinander abgestimmte Inhalte oder Querschnittsaufgaben wie Depot, Pressearbeit und Kulturmarketing waren kein Thema – von einem integrierten Leitbild der Einrichtungen oder einer Corporate Identity mal ganz zu schweigen.

 

Mit einem „Strategischen Kulturkonzept“ wollte man auch das ab 2013 ändern. Tatsächlich ist das Papier aber vor allem ein Dokument der Spaltung: Die ersten neun Seiten – Präambel, Leitbild, Leitlinien und Handlungsfelder – wurden schon Jahre zuvor von einer Arbeitsgruppe aus Politik und Verwaltung formuliert. Sie lesen sich anfangs wie ein kulturpolitisches Manifest, doch schon bald geraten die Begriffe zunehmend durcheinander und damit dann auch die Inhalte.

 

Bereits die Präambel changiert zwischen Arbeitsaufträgen im Konjunktiv, steil formulierten Thesen wie der einer „zentrifugalen Entwicklung der Bürgerschaft“ und missverstandenen Termini aus der Soziologie. Spätestens, wenn Michel Foucaults hochkomplexes Konzept der „Eventualisierung“ ins Spiel kommt, ahnt man, dass die Beteiligten irgendwann wohl den Überblick verloren haben – vermutlich war nur der vielerorts beklagte Trend zur „Eventisierung“ gemeint. Auf das „Leitbild“, das gerade mal 21 Zeilen umfasst und sich eher wie ein historischer Lexikon­eintrag zu Erfurt liest, folgen dann zwölf „Leitlinien“. Die unterscheiden sich sprachlich wie inhaltlich jedoch kaum von den abschließenden „Handlungsfeldern“. Und was soll mit dem Satz „Die Vielfalt kultureller Angebote ist weiter ausgebaut“ oder der angestrebten „Vernetzung von Kultur, Wirtschaft und Kommerz“ eigentlich wirklich gemeint sein?
Solche kapitalen Böcke hätten den Fachleuten in der Arbeitsgruppe eigentlich auffallen müssen – immerhin hat der Diskussionsprozess über die gerade mal neun DIN-A4-Seiten fast zwei Jahre gedauert. Wie aufmerksam das Dokument dann auch in der Stadt(politik) insgesamt, also jenseits des kulturpolitischen Biotops, gelesen wurde – oder eben nicht, merkt man daran, dass der Rat es mit all seinen offensichtlichen Mängeln sogar einstimmig verabschiedet hat.

 

Das war Anfang 2011, zur gleichen Zeit übernahm Tobias Knoblich das Amt des Kulturdirektors. Mit einem Team der Verwaltung hat er in der Folge den operativen Teil des Konzepts erarbeitet: Auf weiteren 80 Seiten wird dort unter anderem die Abgrenzung der Aufgabenbereiche kommunaler Einrichtungen festgelegt, die thematische Bündelung der Einzelmuseen zu zwei Clustern „Kunst“ und „Geschichte“ beschrieben sowie der organisatorische Umbau der Kulturdirektion selbst, mitsamt ihren Institutionen. Ende 2012 hat der Rat dann das „Strategische Kulturkonzept“ auch insgesamt abgesegnet.

 

Knoblichs theoretisch fundierter und flüssig formulierter Plan hatte es allerdings nicht nur im Detail in sich. So wurde bis dahin jedes noch so kleine Museum von einer eigenen Direktorin oder einem Direktor geführt; Organisation wie Inhalte der Häuser lagen in deren alleiniger Verantwortung. Laut Kulturkonzept sollten aber nur noch spezialisierte Kuratoren in den einzelnen Häusern wirken, mit dann je einem gemeinsamen Direktor für alle Kunst- bzw. Geschichtsmuseen als Leitungsebene. Wenig überraschend empfanden viele der bisherigen Museumsleiter das als Degradierung – wenn auch ohne Einkommensverlust. Zudem war die Kommunikation der Pläne offenbar „suboptimal“, sagen eher wohlmeinende Beobachter. Und zu allem Überfluss gehörte die Ehefrau eines einflussreichen Kulturpolitikers im Stadtrat zu den Betroffenen.

 

Seitdem hat der Kulturdirektor keinen leichten Stand im politischen Raum. An Anlässen zu manchmal mehr, manchmal weniger berechtigter Kritik besteht allerdings auch kein Mangel: Im Frühjahr wurde die Qualität der Ausstellungen zum Reformationsjubiläum heftig debattiert, im Juni ging eine Museumsleiterin wegen Personalmangels öffentlich auf die Barrikaden. Und bereits im vergangenen Jahr hatte Knoblich das – nur noch mäßig besuchte – „Forum Konkrete Kunst“ auf dem Petersberg schließen lassen. Dafür gab es zwar nicht nur schlechte Gründe, aber viele in der Stadt verstanden es dennoch als gezielten Angriff auf ein Herzstück der Erfurter Kulturszene. Alles zusammen hat zu einem in ostdeutschen Bundesländern höchst seltenen Phänomen geführt: Der gebürtige Zwickauer Knoblich wird von vielen in der Stadt für einen Wessi gehalten.

 

Die persönlichen Animositäten könnten auch ein zentrales Projekt des Kulturkonzepts gefährden: das Kultur- und Geschichtsportal im historischen Hof Krönbacken. Von dort soll die seit Jahren stetig wachsende Zahl der Erfurt-Besucher künftig, je nach verfügbarer Zeit und Interessenlage, durch das reiche Kultur- und Museumsangebot der Stadt gelotst werden. Knoblich möchte die Touristen mit Hilfe von Themenpaketen – zu Reformation, Bauhaus, Jüdischer Geschichte etc. – und modernsten Digitalangeboten bis hin zu Augmented Reality-gestützten Stadtführungen mehr an jene bedeutenden Orte locken, die bislang oft im toten Winkel des Interesses liegen.

 

Dagegen formiert sich jedoch zunehmend Widerstand: Die Einen befürchten, dass mit dem Portal ein Erfurter Überblicksmuseum entstehen könnte, durch das die jetzt etablierten Orte dann sogar seltener besucht würden. Die Anderen wollen den zugehörigen »Waidspeicher« nicht als Ausstellungsort für Erfurter Künstler der Gegenwart aufgeben. Die Dritten finden, man sollte lieber die Schätze der einzelnen Häuser mehr preisen – und fast alle monieren, dass zwei Millionen Euro für Umbau und technische Ausstattung zu viel sind.

 

Diese Geschichte ist symptomatisch für Erfurts Kulturpolitik. Neue Projekte werden grundsätzlich erst mal von allen begrüßt, aber irgendwann hat dann wirklich jede und jeder ganz eigene Vorbehalte. In dieser Situation wäre Führung gefragt, doch der Oberbürgermeister kann oder will keine Schwerpunkte setzen, wie viele beklagen. So wird die Erfurter Kulturverwaltung häufig zum Spielball derjenigen, die ihre Ansichten laut genug kundtun. Dazu gehörte zuletzt immer häufiger die CDU-Landtagsabgeordnete Marion Walsmann, die in einer früheren Landesregierung mal Justizministerin und Chefin der Staatskanzlei war. Sie möchte – wenn die Partei sie im Herbst nominieren sollte – nächstes Jahr gern die erste Oberbürgermeisterin ihrer Heimatstadt werden. Und Walsmann hat die Kultur mit Recht als offene Flanke des Amtsinhabers identifiziert.

 

Dazu passend treten auch die Kulturschaffenden immer selbstbewusster auf. Mit der »Ständigen Kulturvertretung«, einem Zusammenschluss von über 40 Institutionen und Aktiven, hat sich im vergangenen Jahr eine deutlich vernehmbare Stimme der Kreativszene etabliert. Die lobt übrigens ausdrücklich den „Kulturlotsen“, der in der Stadtverwaltung als zentraler Ansprechpartner für Belange von Freier Szene und Kreativwirtschaft fungiert.

 

Auch diese Funktion ist ein Element des Strategischen Kulturkonzepts, das im September wieder Thema einer Ratssitzung sein wird. Dann bekommen die Abgeordneten endlich den Zwischenbericht, der eigentlich für 2016 vereinbart war. Eine heftige Debatte über die Verzögerung, inhaltliche Versäumnisse und vermutlich auch Personen ist vorprogrammiert. Ob und wie sich das auf die zentralen Projekte der Erfurter Kultur auswirkt, wird sich schnell erweisen: im Herbst der Entscheidungen.


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