Christoph Markschies - 1. September 2008 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Reformationsjubiläum

Womöglich mit wuchtigen Hammerschlägen


„Womöglich mit wuchtigen Hammerschlägen“ – mit diesen Worten ironisierte einer meiner akademischen Lehrer die Vorstellung, ein Max Schmeling mit Luthermaske habe am Vorabend des Allerheiligenfestes 1517 mit einem großen Vorschlaghammer und vier groben Nägeln ein Blatt Papier an der Tür der Wittenberger Schloßkirche befestigt. Er ging freilich nicht so weit wie immer wieder einmal (und so auch jüngst wieder) einige seiner Kollegen und bestritt aufgrund der dürren Überlieferung die Historizität des Ereignisses überhaupt. Vielmehr wies dieser Reformationshistoriker seine Studierenden darauf hin, dass es auch im späten Mittelalter schon so etwas wie Reißzwecken gab und man die gedruckten Thesen für die vielfältigen Disputationen der mittelalterlichen Universität mit eben solchen Reißzwecken an die Türen der großen akademischen Veranstaltungsräume pinnte – gerade so, wie heute irgendwelche Papiere an die Anschlagbretter der Universitäten.

 

Nicht Nägel mit wuchtigen Hammerschlägen, sondern mit sanften Druck vier Reißzwecken – diese Korrektur am geläufigen Bild, mit dem unsere Vorfahren den Thesenanschlag des 31. Oktober 1517 illustriert haben und das bis heute in unseren Köpfen herumspuckt, könnte ein Leitmotiv für die große Reformationsdekade sein, die im September dieses Jahres beginnt und bis zum Jubiläumsjahr 1517 andauert. Das könnte uns nämlich darauf aufmerksam machen, dass der Wittenberger Professor Martin Luther im Jahre 1517 nicht mit wuchtigen Hammerschlägen die mittelalterliche Kirchenwirklichkeit oder gar die Einheit der Kirche zerschlagen wollte, sondern Studenten, Fachkollegen und die kirchliche Obrigkeit freundlich zu einem Gespräch einladen wollte – und entsprechend hat er seine Thesen wahrscheinlich nicht nur angezweckt, sondern auch seinem zuständigen Ortsbischof in Brandenburg geschickt, der Brief ist erhalten und kann in der großen Lutherausgabe nachgelesen werden.

„Zögerlich und zurückhaltend – so beginnt die Reformation“

Zögerlich und zurückhaltend – so beginnt die Reformation und es tut gut, sich an diese Dimension ihrer Anfänge zu erinnern. Luther beklagt in den Thesen, die er im Herbst 1517 diskutiert sehen wollte, als sensibler Seelsorger und kluger Bibelausleger einen Missbrauch eines Sakramentes der Kirche: Das Bußsakrament, das die Menschen mit Beichte und Lossprechung zu ernster Selbstprüfung und Korrektur ihres Verhaltens führen soll, ist durch den Ablassbetrieb in seiner Substanz bedroht; die Menschen kauften Ablasszettel und konzentrierten sich auf den Erwerb dieser Dokumente für Lebende und Tote, aber nicht mehr auf die Erforschung ihrer eigenen Gewissen, auf die Reue über ihr Verhalten wie Denken und dessen Korrektur. Luther beschreibt nicht nur ein theologisches Problem im Umgang mit dem Bußsakrament, sondern ein seelsorgerliches Problem der Wittenberger Stadtkirchengemeinden: Seine Gemeindeglieder laufen zum Ablassprediger Tetzel in Jüterbog, um Ablassbriefe zu erwerben und also gleichsam aus dem Wittenberger Beichtstuhl fort. In den Ablassthesen von 1517 schreibt ein gut katholischer Universitätstheologe, der noch gar nicht bestreitet, dass die Verdienste von Heiligen wie Franziskus von Assisi so überreichlich sind, dass die Kirche diese gleichsam überschüssigen Verdienste verwenden kann, um Menschen ohne solche Verdienste im Endgericht zu helfen.

 

Den Reformatoren ging es 1517 (und auch danach) nicht darum, sich einen eigenen Glauben zusammenzubasteln und so die kirchlichen Traditionen oder Institutionen aus eigener Kraft zu zerschlagen. Sie wollten, dass das biblische Wort seine tröstende und zurechtweisende Kraft entfalten kann ohne durch menschliche Erfindungen daran gehindert zu werden. In den Vorlesungen, die er als Bibelprofessor in Wittenberg hielt, war Luther zunehmend auf diese Kraft des biblischen Wortes aufmerksam geworden: Es vermag, im Gottesdienst und sonstwo ausgesprochen, traurige Menschen fröhlich zu machen und übermütige Zeitgenossen auf den rechten Weg aufmerksam zu machen, entfaltet, einmal jemandem direkt zugesprochen, eine ganz besondere Wirkung. Wenn die Kirche von diesem eigentlichen Schatz ablenkt und an seine Stelle andere Zeremonien oder Praktiken setzt, die in Wahrheit niemals die besondere, tiefe Wirkung biblischer Worte haben können (wie beispielsweise ein mit Brief und Siegel versehener Ablasszettel aus Jüterbog), dann bringt sie die Menschen um den wahren Trost und die wirkliche Ermahnung. Dann wird sie ihrer Aufgabe nicht gerecht und muss zur Ordnung gerufen werden, zuerst zögerlich und zurückhaltend, dann energisch und direkt.

 

Luther hat in den Monaten und Jahren nach 1517 diese Grundeinsicht in diversen Texten immer radikaler zur Geltung gebracht. Sie hat an Aktualität nichts verloren und wir haben nun zehn Jahre Zeit, sie nicht laut und lärmig, sondern fein und dezent so zu formulieren, dass sie Menschen nicht nur an Festtagen erfreut, sondern im schwierigen Alltag dieses Landes erreicht. Und wir haben zehn Jahre Zeit, deutlich zu machen, dass hier eine zentrale Aufgabe für alle christlichen Kirchen und nicht nur für eine Konfession formuliert wurde und wird.


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