Astrid Mühlmann - 28. Juni 2017 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Reformationsjubiläum / Unkategorisiert

Mein Reformationsjubiläum


Vielfältig, nachdenklich und kritisch

Mit Jubiläen ist das so eine Sache. Auf die meisten freuen wir uns: auf das Jubiläum der eigenen Universität, weil ich nach Jahren wieder Studienfreunde treffe; auf das Stadtjubiläum, weil es mir einen Grund gibt wieder in die alte Heimat zu kommen und weil sie bekanntlich immer mit schönen großen Feiern verbunden sind. Dann bleiben uns die Bilder auch in unserem Gedächtnis. Sicher erinnern sich noch viele an das 25. Jubiläum des Mauerfalls 2014 mit den beeindruckenden Bildern der Lichtergrenze, den vielen Ausstellungen und Filmen.

 

Aber dann gibt es auch die Jubiläen, die einfach vorbeiziehen, ohne dass wir sie bemerken, weil sie an etwas erinnern, zu dem uns der Bezug fehlt. Ein Beispiel: 2009. Es war Händeljahr, anlässlich seines 250. Todestages. Ich mag Händel sehr und seinen Messias halte ich für ein geniales Werk der Musikgeschichte. Also habe ich Ausstellungen besucht, seinen Werken in Konzerten gelauscht und sogar das eine oder andere Mal selbst mitgesungen. Einer meiner besten Freunde aber hört lieber Rock statt Barock. Und so ging das Jubiläum vollständig an ihm vorbei. Verständlich. Warum sollten wir uns auch für etwas interessieren, das uns nicht persönlich betrifft?

 

Kurz bevor ich vor fünf Jahren in das Vorbereitungsteam zum Reformationsjubiläum einstieg, war ich überzeugt, 2017 würde so ablaufen: Als jemand, dem Luther in die Wiege gelegt wurde – geboren in der Lutherstadt, geschult auf dem Melanchthon-Gymnasium, studiert an der Martin-Luther-Universität – würde ich in die großen Ausstellungen gehen, Konzerte besuchen und mir Vorträge zu aktuellen Forschungsergebnissen anhören. Aber an meinem Freund, als katholischen Rockfan aus einer Stadt, die vor 500 Jahren noch nicht einmal existierte, würde auch dieses Jubiläum unbeachtet vorüberziehen.

Heute sehe ich das anders.

 

Dies liegt an Martin Luther, der nicht der Grund ist, aber doch den Anlass für das Reformationsjubiläum liefert. Gedacht wird mit dem Jubiläum einer 500-jährigen Bewegung mit all ihren Höhen und Tiefen, gefeiert werden die vielfältigen positiven Auswirkungen, die wir bis heute spüren. Der Anlass aber ist ein Datum, ein Bild, eine Geschichte – untrennbar mit Martin Luther verknüpft. Die Veröffentlichung seiner 95 Thesen wider den Missbrauch des Ablasses am 31. Oktober 1517.

 

Der Reformator war und ist bis heute jemand, der inspiriert und ärgert, verbindet und spaltet. Gerade diese scheinbare Widersprüchlichkeit macht Luther zu einem, über den es sich lohnt, ins Gespräch zu kommen und gern auch zu streiten.

 

Vor allem liegt es aber am Jubiläum selbst. Es ist deutlich weniger „luthergeprägt“, als die vielen Plakate, Buchtitel, CD-Cover und Spielzeugverpackungen mit seinem Porträt suggerieren und deutlich weniger „lutherzentriert“ als vorangegangene Jubiläen. Es geht nicht allein um den Glaubensstreiter wider Papst und Kaiser (1617), den edlen Deutschen (1717) oder den deutschen Helden (1817). Vielmehr ist die Reformation in den Mittelpunkt gerückt und Namen wie Calvin, Zwingli, Bucer spielen ebenso eine große Rolle wie die Frauen der Reformation. Tatsächlich ist das Jahr von großer Vielfalt geprägt – Vielfalt an Formaten, Themen, Akteuren. In den zehn Jahren Vorbereitungszeit innerhalb der Lutherdekade sind nicht nur zahlreiche historische Bauten saniert, Forschungsprojekte gestartet und Ausstellungen vorbereitet worden. Bund, Länder, Kommunen und evangelische Kirchen haben auch deutschlandweit Institutionen, Gemeinden, Stiftungen, Gruppen und Einzelpersonen angesprochen und sie animiert, sich einzubringen und 2017 mit eigenen Ideen zu formen. Und viele sind dieser Aufforderung gefolgt.

 

Das sind Grundschulkinder, die ihr eigenes Theaterstück auf die Bühne bringen, das ist der Fußballverein, der gegen die Mannschaft des Vatikan spielt, das sind die Amateurfunker, die ein eigenes Sondersignal kreieren oder auch die vielen Laienchöre, die in Musicals, Poporatorien und Musikabenden die Reformation zum Klingen bringen. Und, und, und …

 

Wenn so viele Menschen schon in der Vorbereitung dabei waren, ihre eigene Reformationsgeschichte erzählen und dies in Projekten bundes- und weltweit tun, dann kann es nur ein buntes, spannendes und breites Jubiläum werden.

 

Aus diesem Grund ist es in jeder Hinsicht mein Jubiläum. Nicht, weil es Luther so präsentiert, wie ich es für richtig halte und auch nicht, weil es genau die Geschichten der Reformation erzählt, die ich hören will. Sondern weil ich mit jeder Ausstellung, jedem Poetry Slam, jedem Wettbewerbsbeitrag und jeder Diskussion einen weiteren Aspekt der Reformation kennenlerne, neue Fragen und Antworten höre. Dadurch habe ich schon jetzt viele neue Einblicke und Perspektiven auf die Reformation gewonnen, die mir vorher so nicht bewusst waren. Die vielen Menschen, die es mit eigenen Projekten und Ideen bereichern, geben nicht nur dem Jubiläum, sondern auch der Reformation ein neues Gesicht.

 

Und so blicke ich mit einem lachenden Auge auf dieses Jubiläum, weil ich mich freue, dass es so vielfältig ist, nachdenklich und kritisch, mit Lerneffekt, aber auch mit viel Leichtigkeit und Spaß, in dem mir ebenso viel geboten wird wie einem katholischen Rockfan, wie mein guter Freund schon begeistert feststellte. Aber ich blicke auch mit einem weinenden Auge auf dieses Jahr und auf die vielen Projekte und Veranstaltungen, die ich – aus schierem Zeitmangel – nicht selbst werde besuchen können.

 

Vielleicht schicken Sie mir einfach Ihre Fotos, schreiben mir Ihre eigenen Erlebnisse im Jubiläum auf, dann ist es doch fast, als wäre ich überall dabei gewesen. Ich freue mich schon darauf, das Jubiläum noch einmal durch die Augen der vielen anderen, die auch dabei waren, erleben zu können.


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