Thomas Sternberg - 1. Juli 2015 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Reformationsjubiläum

Luther und die Folgen für die Kunst


Martin Luther nahm die Bilderfrage nicht so ernst und hat dadurch die freie Entwicklung der Kunst befördert

D ifferenzen zwischen Katholiken und Protestanten haben die europäische Geschichte der letzten 500 Jahre wesentlich mitbestimmt. Streitigkeiten, Abgrenzungen, Kriege und gegenseitige Verwünschungen sind nur die extremen Auswüchse von Unterschieden, die bis in Mentalitäten und Gewohnheiten reichten. Die Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts, der „Kulturkampf“, die „Kontroverstheologie“ – wie weit liegt das alles hinter uns! Ökumene gilt heute eher als Fach für die Spezialisten. In den Gemeinden dominiert längst gegenseitige Akzeptanz und eine Fülle an Gemeinsamkeiten, die inzwischen selbstverständlich geworden sind.

 

In Deutschland ist die Reformation vor allen anderen mit Martin Luther verbunden. Die Kulturgeschichte der deutschen Länder verdankt ihm ein wesentliches Element ihrer Einheit. Die Nieder-, Mittel- und Oberdeutsch verbindende Sprache ist nicht zuletzt aus der Bibel und den Liedern Martin Luthers gewonnen. Bis heute prägen die kräftigen Sprachbilder der genialen Übersetzung unsere Alltagssprache. Bibelübersetzung war eine epochale Leistung und für jeden Deutschen – katholisch oder evangelisch – bleibt Luthers Bibel der Maßstab. Auf einem anderen Feld der Kultur war Luthers Auffassung sehr viel traditioneller, als vielfach angenommen: in der Einschätzung der Kunst, der Bilder. Wie schon mehrfach in der Geschichte des Christentums, war in der Reformationszeit die Frage nach den Bildern keineswegs nebensächlich. Karlstadt, Bucer, Zwingli und Calvin behandelten mit großem Ernst die zeitgenössische Streitfrage und ließen religiöse Bilder nicht zu – nicht zuletzt mit dem Hinweis auf das Bilderverbot der Bibel. Exzessive Kunstzerstörungen waren vor 500 Jahren die Frucht solcher radikalen Ablehnung. Sie nahmen Bilder ganz ernst – und verboten sie.

 

Luther befasst sich mit dem Thema vor allem mit seinen „Invocavit-Predigten“ (1522) und der Schrift „…Von den Bildern und Sakrament“ (1524). Er steht ganz auf der Linie der Tradition der westlichen Kirche: Er nimmt die Bilderfrage nicht so wichtig, zumal das Biblische Verbot nur die Götteridole meinte. Bilder sind ihm vor allem propädeutische Hilfsmittel; sie führen die Analphabeten und Unkundigen zu den Inhalten der Heiligen Schrift, in die Anfangsgründe der Theologie. Bilder sind „Adiaphora“, das heißt, sie sind nicht heilsnotwenig. Wenn sichergestellt ist, dass sie nicht verehrt werden und ihre Stiftung nicht als Werkgerechtigkeit angesehen wird, dann sind sie weder gut noch schlecht, dann können sie hilfreiche Zeichen sein. Für Luther ist es der didaktische, pädagogische Wert, der die Bilder auszeichnet. Wie es 250 Jahre später satirisch Christian Fürchtegott Gellert formuliert: „Dem, der nicht viel Verstand besitzt, die Wahrheit durch ein Bild zu sagen“.

„Denn was die Schrift denen bietet, die lesen können, das bietet ein Gemälde den Gläubigen, welche nicht lesen können.“

Diese, einen sprachlichen Inhalt illustrierende Funktion wurde den Bildern, die als Wiedergaben historisch berichteter Themen legitimiert waren, seit einem Brief des Papstes Gregor d. Großen um das Jahr 600 zugeschrieben. Der hatte an den Bischof von Marseille geschrieben, es sei ein Unterschied, verbotenerweise Bilder anzubeten oder aus ihnen den Gegenstand der Anbetung kennenzulernen. „Denn was die Schrift denen bietet, die lesen können, das bietet ein Gemälde den Gläubigen, welche nicht lesen können.“ Es lehre, ohne Buchstaben zu lesen. Das bleibt die Haltung der Folgezeit, der Karolinger, der mittelalterlichen Theologie wie der späteren Konzilien. Die Macht der Bilder, ihre Repräsentationswirkung, ihr Kunstcharakter, ihre spezifischen Qualitäten und Leistungen kommen unter dieser Rollenzuweisung nicht in den Blick.

 

Luther hat sich scharf gegen die Kunstfeindlichkeit der anderen Reformatoren gewandt und sich öfters für lehrhafte Bilder ausgesprochen; er empfiehlt, die Reichen sollten „die gantze Bibel ynnwendig und auswendig an den heusern fur yedermans augen malen“ lassen. Die Propagandablätter in Holzschnitten und Stichen zeigen das ebenso wie die Werke Lucas Cranachs. Seine bilderfreundliche Haltung resultiert aus dem mangelnden Ernstnehmen der Kunst. Er will die Kunstwerke an ihrem Ort belassen sehen – solange sie nicht verehrt werden.

 

Bilder bleiben erlaubt im Luthertum. Die alten Ausstattungsstücke, Gewänder, Reliquiare, Geräte bleiben unangetastet im Schrank der Sakristei: so haben sich in den reformatorischen Kernländern viele Dinge erhalten, die in anderen Gegenden der Reformation einem radikalen Bildersturm zum Opfer fielen. Der Titel einer Publikation über mittelalterliche Kunstwerke in evangelischen Kirchen lautet: „Die bewahrende Kraft des Luthertums“. Luther steht in der Tradition der westlichen Theologie, die der Kunst einen Freiraum eröffnete, den sie in Regionen ihrer kultischen Anbindung nicht bekommen konnten. Im christlichen Westen hat sich die Kunst so ausdifferenzieren und wandeln können, weil Bilder hier vor allem als pädagogisches Hilfsmittel angesehen wurden. Ohne ontologische Aufladungen – vielleicht auch nur Negierung aller Probleme von Repräsentanz und Abbildbarkeit – konnte sich die Kunst in der Nische pastoraltheologischer und religionspädagogischer Propädeutik relativ frei entwickeln. Bis heute gilt der Vorrang der Texte vor den Bildern.

 

Martin Luther hat die Bilder nicht so ernst genommen und sie auf Didaktik reduziert – ganz im Sinne der früheren theologischen Tradition –, hat damit den Bilderstürmereien Einhalt geboten und paradoxerweise die freie Entwicklung der Kunst befördert. Auch dafür können ihm die Kulturmenschen 500 Jahre später dankbar sein.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 04/2015 erschienen.


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