Heinrich Bedford-Strohm - 26. Dezember 2015 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Reformationsjubiläum

Der Herzschlag von Gemeinschaft


Der gemeinsame Weg der Konfessionen zu Luther 2017

„So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ Dieser Satz des Paulus aus seinem Brief an die Gemeinde in Rom hat immer wieder Geschichte geschrieben. Und ganz besonders vor 500 Jahren, als er für Martin Luther die Grundlage seiner Forderung nach einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern war. Nicht die Bußleistungen gegenüber der Kirche sollten die Grundlage für die tiefe Gewissheit des Heils sein. Nicht Ablässe oder buchhalterisch festgehaltene gute Werke, nicht das hinreichend hohe moralische Punktekonto bei Gott. Sondern allein die Beziehung zu Christus. Allein dieses tiefe Gefühl in der Seele, dass Christus bei mir ist, dass Christus mich liebt, dass Christus für mich einsteht, wo ich für mich selbst nicht mehr einstehen kann. Diesen Gedanken hat der Theologe und Kirchenlieddichter Paul Gerhardt so zum Ausdruck gebracht: „Nichts, nichts kann mich verdammen, nichts nimmt mir meinen Mut; die Höll und ihre Flammen löscht meines Heilands Blut. Kein Urteil mich erschrecket, kein Unheil mich betrübt, weil mich mit Flügeln decket mein Heiland, der mich liebt.“

 

Was Luther neu einschärfen wollte, wurde damals als Weg zu Christus an der Kirche vorbei sowie als Entmachtung der Kirche verstanden. Was im 16. Jahrhundert zu kirchenspaltendem Streit geführt hat, das können wir als evangelische und katholische Christinnen und Christen heute längst gemeinsam sagen. Es hat seine kirchentrennende Bedeutung verloren. Christinnen und Christen haben im gemeinsamen ökumenischen Gespräch der letzten Jahrzehnte den Blick auf den uns verbindenden Auftrag freigearbeitet: „damit sie alle eins seien“ (Joh 17, 21).

„Die Kirchen sind füreinander und nicht gegeneinander da.“

Es ist vor diesem Hintergrund erfreulich und folgerichtig zugleich, wenn sich evangelische und katholische Christen in Deutschland zusammen auf den Weg machen, um das Jahr 2017 als gemeinsames Christusfest zu begehen. Bereits im Sommer 2014 kam der prominent besetzte Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) zu dem Ergebnis: „Ökumene hat nicht nur mit Texten zu tun, sondern auch mit der gegenwärtigen Praxis. […] Die Besinnung auf die Reformation stärkt die Ökumene und die ökumenische Theologie. Sie macht deutlich: Die Kirchen sind füreinander und nicht gegeneinander da. Jede Kirche gewinnt an Profil nicht gegen die anderen Kirchen, sondern im Miteinander mit ihnen.“ Ende Juni 2015 nun haben die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland den Planungsstand zu konkreten gemeinsamen Aktivitäten 2016 und 2017 öffentlich gemacht. Wir hoffen, dass überall im Land viele evangelische und katholische Gemeinden ihren Teil dazu beitragen, 2017 zu einem großen Glaubensfest werden zu lassen und wir so, wie es Reinhard Kardinal Marx auf den Punkt gebracht hat, „der vollen sichtbaren Einheit der Kirche näher kommen“.

 

Das gemeinsame Christusfest verbindet 50 Millionen Menschen in Deutschland mit einer Gemeinschaft von über 2 Milliarden Christinnen und Christen weltweit. 2017 bietet uns die Gelegenheit, der Kraft von Religion in Europa neu nachzuspüren. 500 Jahre nach Luther stellt sich die Frage nach Gott in unserer Zeit ähnlich radikal. War es früher die brennende Frage, wie bekomme ich einen gnädigen Gott, so steht heute ebenso grundsätzlich zur Debatte: Ist der Gott meiner Eltern und Großeltern für mein Leben relevant? Ein großes ökumenisches Christusfest 2017 setzt hier ein klares Zeichen und stiftet Gemeinschaft im Kreis all jener Menschen, die fest an die Relevanz der Frage nach Gott für unsere Zeit glauben. Also von Menschen, die davon überzeugt sind: Diese Welt braucht uns als Christen. Denn die Welt braucht Menschen, die ihre Angst überwinden und beginnen, aus der Freiheit zu leben. Sie braucht Menschen, die Versöhnung stiften, weil sie selbst versöhnt sind und das auch spüren. Die vergeben können, weil sie wissen, dass sie selbst nur aus Vergebung leben können. Dies sind feste ökumenische Überzeugungen, die das auf 2000 Jahren Geschichte gegründete Fundament eines Christusfestes 2017 ausmachen.

„500 Jahre Reformation lenken damit den Blick auf die unverfügbaren Ressourcen unserer modernen Gesellschaft – also all jener Grundlagen, die eben nicht ohne Weiteres zu ersetzen sind.“

500 Jahre Reformation lenken damit den Blick auf die unverfügbaren Ressourcen unserer modernen Gesellschaft – also all jener Grundlagen, die eben nicht ohne Weiteres zu ersetzen sind. Und es sind insbesondere die Religionen, die in besonderer Weise kollektive Erinnerungen und Erfahrungen über viele Generationen hinweg sichern und so wertvolle gesellschaftliche Bindungsressourcen erhalten. Die sozialphilosophische Reflexion kommt vor dem Hintergrund dieses Sachverhaltes zu bemerkenswerten Schlüssen. So hält Jürgen Habermas fest: „Säkularisierte Bürger dürfen, soweit sie in ihrer Rolle als Staatsbürger auftreten, weder religiösen Weltbildern grundsätzlich ein Wahrheitspotential absprechen, noch den gläubigen Mitbürgern das Recht bestreiten, in religiöser Sprache Beiträge zu öffentlichen Diskussionen zu machen. Eine liberale politische Kultur kann sogar von den säkularisierten Bürgern erwarten, dass sie sich an Anstrengungen beteiligen, relevante Beiträge aus der religiösen in eine öffentlich zugängliche Sprache zu übersetzen.“ Für den Soziologen Hans Joas ist hier „ein eloquentes Plädoyer an die säkulare Seite“ formuliert, „den täglichen Übersetzungsleistungen der Gläubigen mehr entgegenzukommen.“ Das breite Engagement von Kirchen, Ländern und Bund für das Reformationsjubiläum sowie die weit fortgeschrittenen Planungen der Länder für einen einmaligen Sonderfeiertag am 31.10.2017 haben hier ihren tieferen Sinn.

 

500 Jahre Reformation sind eine Einladung, auf den Herzschlag von Gemeinschaft zu horchen. Und dies erstmals in Deutschland unter den Bedingungen eines freiheitlichen Rechtsstaates, in dem die Wahl von Religion und Konfession Ausdruck individueller Freiheit und nicht gesellschaftlicher Konventionen ist. Auf diesem Weg eröffnet 2017 eine Perspektive, in der aus Erinnerung echte Teilhabe werden kann.


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