Ayyub Axel Köhler - 1. November 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Reformationsjubiläum

Auf ein gemeinsames Wort zusammenkommen


500 Jahre Reformation als Anlass zum christlich-islamischen Dialog

Fünfhundert Jahre Reformation sind Anlass, diese Zeit zu bilanzieren und zum christlich-islamischen Dialog zu nutzen. Die Reformation wird als eine Erfolgsgeschichte gefeiert. Luthers direkte und indirekte kulturelle Wirkungen überstrahlen alles, was man ihm theologisch und politisch anlasten kann. Nun wird den Muslimen auch geraten, ihre Religion zu reformieren – sie bräuchten auch einen Luther. Diese manchmal schon als Aufforderung formulierten Ratschläge beruhen auf Missverständnissen. Luthers Reform ist die Reformation einer Kirche und der von ihr formulierten Lehre. Der Islam ist als Religion, nicht aber als Kirche organisiert und kennt kein Lehramt. Eine Reform, wenn sie denn nötig wäre, kann deswegen auch nicht über die Köpfe der Muslime hinweg verkündet werden. Die Geschichte des Islams zeigt aber, dass er, ohne den Kern der Botschaft zu verletzen, stetig im Wandel der Zeiten von innen heraus und immer durch eine Neuinterpretation der islamischen Quellen aktualisiert wurde. Dies begann schon zu Lebzeiten des Propheten und wurde stetig von allen Rechtsschulen und Denkern fortgeführt.
Die Reformation hat zur Spaltung der Christenheit und zur Vertiefung der Spaltung Deutschlands geführt, die in einem im wahrsten Sinne des Wortes verheerenden und verwüstenden 30-jährigen Glaubenskrieg gemündet ist. Er ist für die Religionskritiker und Atheisten das abschreckende Beispiel für Unduldsamkeit, zerstörerische Mission, Gewalt und Krieg durch Religionen geworden. In der Folgezeit und besonders heutzutage haben die Religionen in Deutschland an Überzeugungskraft eingebüßt. Das Misstrauen gegenüber Religionen scheint sogar zu wachsen. Wir müssen nun durch unser Verhalten glaubhaft machen, dass Religionen ihrem Wesen nach friedfertig sind.
In sozialen Fragen hat sich Luther auf die Seite der Herrschenden geschlagen. Ohne eine politische Schutzmacht wäre Luther und seine Reform wohl gescheitert. Die Staatsnähe der evangelischen Kirche in Deutschland hat also Tradition.

Ein interreligiöser Dialog über das grundsätzliche Verhältnis von Religion, Staat und Politik kann hier besonders zum Nutzen für die wortführenden islamischen Verbände, die immer noch um ihre staatsrechtliche Position ringen, nützlich sein. Sollen sie sich durch die staatsrechtliche Anerkennung als Religionsgemeinschaften mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts in die Abhängigkeit vom Staat begeben, vor der schon der evangelische Philosoph und Kirchenrechtler, Friedrich Schleiermacher, seine Kirche eindringlich gewarnt hatte? Die Versuchung für die Muslime ist groß, schon wegen der finanziellen Existenzsicherung ihrer Verbände, Funktionäre und Privilegien, die mit dieser Bindung zusammenhängen.
Das Impulspapier der Konferenz für Islamfragen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) „Reformation und Islam“ kam mit der Anregung, das Verhältnis zwischen evangelischer Kirche und dem Islam neu zu bestimmen, gerade recht. Die Reformationszeit hat bis in die Gegenwart hinein nicht nur das theologische Denken und Wahrnehmen, sondern auch die öffentliche Meinung über den Islam geprägt. Die Forschung über das Verhältnis der evangelischen Kirche zum Islam bekommt dadurch neue Impulse und eine wissenschaftlich solide Grundlage.
Die Ökonomie ist das Zentralgebiet der Politik geworden. Angesichts der Ökonomisierung des Lebens des Einzelnen und der Entfremdungstendenzen des Menschen in der sogenannten Moderne bedauern viele, dass Luther mit seiner Reformation bei der Weichenstellung hin zum Kapitalismus nicht konsequenter gewesen ist. So hatte er sich indifferent gegenüber dem (auch christlichen) Zinsverbot und einer wirtschaftlichen und sozialen Ordnung verhalten. Über den Rahmen von EKD-Denkschriften hinaus könnte der christlich-islamische Dialog über die Probleme des Menschen in der heutigen vom Wachstumszwang diktierten Konsumgesellschaft belebt werden. Gemeinsam ist uns ja, dass im Mittelpunkt unseres Handelns die Sorge um den Menschen steht.

Das Unbehagen über den Zustand unserer Gesellschaft ist weit verbreitet. Wir müssen selbstkritisch feststellen, dass wir als einzelne Religionsgemeinschaften unserer Verantwortung unserem Land gegenüber kaum gerecht werden können. Gemeinsames Auftreten und Aktionen würden unsere Arbeit verstärken. Das wäre auch ein guter Anlass, über die neue und gemeinsame Rolle der Religionsgemeinschaften als Akteure der Zivilgesellschaft in einer pluralen Gesellschaft sowohl bei Christen als auch Muslimen und Juden nachzudenken.
Angesichts des Problems der Fremdenfeindlichkeit, der neuen Impulse für den Antisemitismus und der Islamfeindlichkeit sollte der Dialog notwendigerweise zusammen mit den Juden zum Trialog erweitert werden. Es geht um die Verfasstheit unserer Gesellschaft im weitesten Sinne und den Frieden in der Welt. In diesem Sinne sollten wir die Reformationsfeiern nicht nur der Erinnerung widmen, sondern im Trialog selbstkritisch und konstruktiv auf das Heute und die Zukunft richten. Darum „lasst uns“, wie der Koran auffordert, „auf ein gemeinsames Wort zusammenkommen“!


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