Lydia Grün und Theresa Brüheim - 2. Juli 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Politische Bildung

Voneinander lernen


Kulturelle und politische Bildung zusammengedacht

Die Initiative „Kultur öffnet Welten“ diskutiert 2018 in vier Fachbegegnungen Dimensionen kultureller Bildung als politischer Bildung. Theresa Brüheim sprach mit Lydia Grün, die als Geschäftsführerin des netzwerk junge ohren federführend die Organisation dieser Expertenrunden übernimmt.

 

Theresa Brüheim: Frau Grün, das netzwerk junge ohren ist Koordinierungsstelle der bundesweiten Initiative „Kultur öffnet Welten“. Diese thematisiert aktuell in vier Fachbegegnungen Dimensionen der kulturellen Bildung als politischer Bildung. Was sind diese genau?
Lydia Grün: Wir wollen uns mit den vier Fachbegegnungen diesem Verhältnis fragend nähern. Mit den vier Themensetzungen der Treffen versuchen wir einen übergreifenden inhaltlichen Rahmen aufzuziehen. Da ist zunächst das Thema der Orte – kulturelle wie auch politische Bildung hat Orte und diese fallen auch häufig zusammen. Die Frage ist: Wo können Akteure der kulturellen und politischen Bildung zusammenwirken? Am Beispiel der Gedenkstätten sieht man: Hier finden viele Momente sowohl der politischen als auch der kulturellen Bildung statt. Wie kann aus der Logik des Ortes eine Zusammenarbeit entwickelt werden, aufeinander bezogen und sich bestenfalls gegenseitig stärkend?

Ein weiteres Thema ist der ländliche Raum. Das ist für uns innerhalb der Initiative „Kultur öffnet Welten“ seit Beginn ein wichtiges Thema, weil wir auf unseren Reisen durch alle Bundesländer festgestellt haben, dass gerade Konzepte kultureller Bildung oft aus einem urbanen Blickwinkel gedacht sind. In Deutschland lebt jedoch der Großteil der Menschen in sogenannten ländlichen Räumen. Und wir wissen, dass auch in diesen Regionen demokratiefeindliche Tendenzen sich ausbreiten und Infrastruktur besetzen. Vor diesem Hintergrund ist es besonders interessant und notwendig, die Potenziale von kultureller Bildung als politischer Bildung in diesem speziellen Kontext auszuloten. Als nächsten Aspekt betrachten wir die »Role Models« in der kulturellen Bildung, im Grunde geht es um Vorbilder. Sowohl in der politischen Bildung als auch in der kulturellen Bildung spielt Personalisierung eine Rolle. Wer sind die handelnden Figuren, wer setzt Akzente, wer spricht? Gerade wenn wir über das Moment der Diversität nachdenken: Wer repräsentiert hier eigentlich wen? Wer ist für wen Vorbild? Wer kann auch – Stichwort künstlerische oder kulturelle Bildung – durch seine künstlerische Aura wirken? Kulturelle Bildung ist gefragt, hier ihr ganzes Repertoire auch im Sinne politischer Bildung zu reflektieren und auszufalten. Daraus resultiert die Frage, welche Kompetenzen dazu betont oder auch zusätzlich entwickelt werden müssen.

Zuletzt gehen wir – bewusst entgegen nivellierender Tendenzen – auf die spezifische Situation in den ostdeutschen Bundesländern ein. In einer vergleichenden Perspektive zwischen Ost- und Westdeutschland mit ihrer je eigenen Geschichte ergeben sich auch und gerade heute unterschiedliche Herausforderungen für die kulturelle Bildung als politische Bildung. Antidemokratische Tendenzen sind de facto in den ostdeutschen Bundesländern ein zentrales Thema und betreffen damit auch die Akteure der kulturellen Bildung vor Ort in besonderer Weise – zumal, wenn sie ihre Arbeit mit einem politischen Bildungsanspruch verbinden. Wir möchten gemeinsam mit unserem Partner vor Ort, dem Landesverband Soziokultur Sachsen, bei der Fachbegegnung am 24. September 2018 in Leipzig die aktuelle Situation auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Traditionen kultureller Bildung in Ost und West betrachten. Kulturelle Bildung hat mit Blick auf die DDR-Historie andere Motivationen und Entwicklungslinien. Nicht zuletzt verfügen auch die Akteure über verschiedene Ausbildungen und Biografien, die in ihr professionelles Handeln direkt und indirekt einfließen.

 

Können Sie von der ersten Fachbegegnung berichten, die bereits stattgefunden hat?
Die erste Fachbegegnung zum Thema „(Kultur-)Orte in der politischen Bildung“ brachte in Bonn – der Heimat der Bundeszentrale für politische Bildung – Akteure aus der politischen und kulturellen Bildung zusammen. Es war aufschlussreich, die unterschiedlichen Herangehensweisen und das jeweilige Selbstverständnis in beiden Bereichen auszuloten.

Beispielsweise ist das für die kulturelle Bildung zentrale Moment der Ästhetisierung in der politischen Bildung nicht unbedingt positiv konnotiert, wenngleich das starke Potenzial im Methodenkoffer der kulturellen Bildung erkannt wird. Nehmen Sie z. B. Konzepte der kulturellen Bildung an Orten, wo über Themen wie den Holocaust nachgedacht wird: Affirmative, hochemotionale, ästhetisierte Prozesse bergen in diesem Zusammenhang durchaus Gefahren.
Die kulturelle Bildung arbeitet natürlich ganz stark mit Methoden aus Kunst und Kultur, die zumeist direkter erfahrbar sind, viel mit emotionalem Erleben und Erfahren zu tun haben und Zwischenebenen, oft jenseits von Sprache, berühren. Gerade hier lassen sich Themen des Zusammenlebens in besonderer Weise behandeln, z. B. in einem gemeinsamen kompositionspädagogischen Prozess. Abstimmung, gemeinsame Vereinbarungen, Verhandeln – diese Metaebene eröffnet dann eine neue Dimension.

Dieser erste vergleichende Blick erweckt den Anschein, dass kulturelle und politische Ebenen von sehr unterschiedlichen Planeten kommen. Vielleicht sogar, dass kulturelle Bildung für die wirklich ernsten Themen nichts »taugt«. Die Fachbegegnung in Bonn hat jedoch verdeutlicht, dass Methoden der kulturellen Bildung eine wertvolle Erweiterung für das eher deskriptive und reflektierende Instrumentarium der politischen Bildung darstellen können. Und umgekehrt wurde die Bedeutung des politischen Moments für die kulturelle Bildung viel plastischer. In Bonn fand in diesem Sinne im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, bei dem wir zu Gast waren, eine wichtige und inspirierende Annäherung statt.

 

Wieso ist die Verknüpfung von politischer und kultureller Bildung überhaupt von aktueller Relevanz?
Den aktuellen Fachbegegnungen gingen in den vo­rangehenden Jahren „Kultur öffnet Welten“ groß angelegte Touren mit regionalen Workshops voraus. Diese haben wir vornehmlich in Städten mit unter 80.000 Einwohnern durchgeführt und dabei natürlich bemerkt, dass die kulturellen Akteure vor Ort viel vor allem politische Arbeit leisten. Wir sind der Auffassung, dass gerade angesichts aktueller Tendenzen von Radikalisierung, Demokratiefeindlichkeit und Intoleranz politische Bildungsprozesse hochbedeutsam sind. Und damit auch für die kulturelle Bildung aktuell wie selten zuvor. Einer sortierten Auseinandersetzung darüber möchten wir mit der Konzeption der vier Fachbegegnungen in diesem Jahr einen weiteren Impuls verleihen. Aber auch nach deren Ende wird uns das Thema nicht loslassen: Denn wir brauchen über „Kultur öffnet Welten“ hinaus eine Debatte und eine strukturierte Reflexion des Zusammenspiels von kultureller und politischer Bildung, insbesondere bezogen auf konkrete Praxis, Orte und Situationen. Es gibt da noch ein großes Desiderat an Auseinandersetzung.

 

Wie ist bisher die Resonanz auf die Fachbegegnungen und das Thema?
Das ist unterschiedlich. In Bonn hatten wir wie auch in Bremen eine gute intensive Arbeitsatmosphäre mit 30 Gästen und Experten. Das ist für uns auch die Maximalanzahl, um eine wirkliche Zusammenarbeit zu erzeugen: Am Ende des Tages soll jeder mit jedem gesprochen haben. In Reutlingen haben wir z. B. mit dem BIM, kurz für Bildung in Migrantenhand, und der Württembergischen Philharmonie Reutlingen sowie TRAFO wirklich starke Akteure vor Ort, die ihre Community entsprechend mitziehen. In Leipzig haben wir mit dem Landesverband Soziokultur Sachsen einen besonders starken Partner. Schon jetzt zeigt sich großes Interesse speziell an der Auseinandersetzung mit »ostdeutschen« Blickwinkeln und Ausgangslagen für kulturelle und politische Bildung. Wir freuen uns, dieses wichtige Thema aufziehen zu können und mit vielen Partnern ins Gespräch zu kommen.

 

Vielen Dank.

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2018.


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