Ina Bielenberg - 2. Juli 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Politische Bildung

Demokratie braucht politische Bildung


Die Arbeit Freier Träger

Über politische Bildung wird wieder gesprochen! So hat z. B. der 15. Kinder- und Jugendbericht, den die Bundesregierung am Ende der letzten Legislatur veröffentlicht hat, die politische Bildung ins Zentrum seiner Ausführungen gestellt. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat mit über 100 Millionen Euro eines der größten Sonderprogramme aller Zeiten, „Demokratie leben!“, in dem es im Kern um politische Bildung geht, aufgelegt. Und nun hat sich auch der Deutsche Kulturrat entschieden, eine Ausgabe seiner Zeitung Politik & Kultur diesem Arbeitsfeld zu widmen. Endlich, ist man versucht zu sagen, endlich wird über politische Bildung wieder gesprochen, es wurde höchste Zeit, diesem Teil der Bildungsarbeit wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken als in den letzten Jahren.

 

Aber über was wird da eigentlich gesprochen? Was ist politische Bildung? Politische Bildung mit jungen und erwachsenen Menschen beruht auf den Prinzipien Freiwilligkeit, Partizipation, Wertorientierung, Lebensweltbezug, Teilnehmendenorientierung und, wenn sie nicht Unterrichtsfach ist, und davon soll hier die Rede sein, dann findet sie an einem außerschulischen Lernort statt wie z. B. der Bildungsstätte. Auf der Grundlage dieser Prinzipien will politische Bildung Menschen dabei unterstützen, gesellschaftliche Strukturen und politische Verfahren zu verstehen, ihre Interessen zu klären und zu formulieren und sie will sie befähigen und motivieren, sich zu engagieren, um diese Interessen selbst vertreten zu können. Achim Schröder hat im Handbuch außerschulische Jugendbildung folgende tragfähige Definition dafür angeboten: „Politische Jugendbildung ist die Unterstützung und Förderung von selbsttätigem Handeln durch pä­dagogisch reflektierte Angebote mit dem Ziel, sich mit den Angelegenheiten des demokratischen Gemeinwesens zu beschäftigen, sich selbst im Politischen zu verorten und auf diese Weise Zusammenhänge herzustellen.“

 

Es geht also in der außerschulischen politischen Bildung nicht ausschließlich darum, Wissen zu vermitteln über „die“ Politik, sondern, anknüpfend an die Lebenswelt der Teilnehmenden, den Zusammenhang zwischen ihrer Lebenssituation und den gesellschaftlichen Bedingungen deutlich zu machen und die Motivation sowie die Kompetenzen zu vermitteln, sich selbst aktiv einzubringen.

 

Das kann z. B. in Form eines Alternate Reality Games sein, das spielerisch und spannend dazu führt, politische Verhältnisse zu bedenken und die eigene Wahrnehmung und gewohnte Nutzung von Medien kritisch zu hinterfragen. Oder im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Heimat und Fremde, die Geflüchtete gemeinsam mit deutschen Teilnehmenden erarbeitet und erstellt haben, nachdem sie eine Exkursion in das Auswanderermuseum nach Hamburg unternommen haben. Oder in einer Zukunftswerkstatt mit aktiven Klassensprecher/-innen, die Demokratie- und Partizipationsprojekte für ihre Schulen entwickeln. Oder im internationalen Sommercamp, in dem junge Menschen aus acht Nationen gemeinsam Strategien gegen den Rechtsruck in Europa diskutieren.

 

Dieser ganz kurze Blick auf aktuelle Projekte politischer Bildung will deutlich machen, dass sich politische Bildung entwickelt hat, vielseitig aufgestellt und immer daran interessiert ist, neue Themen aufzugreifen, veränderte Formate anzubieten, Methoden weiterzuentwickeln. Diese Vielfalt, die Innovationsfreude und der Ideenreichtum politischer Bildung sind nicht bei allen angekommen. Immer wieder wird das Vorurteil von politischer Bildung als gymnasialem Stuhlkreis vermittelt, bei dem es um die Aneignung von Techniken oder Verfahrensweisen politischer Entscheidungsfindung in Parlamenten und Gremien geht. Wenn dies die Realität außerschulischer politischer Bildung beschreiben würde, dann hätten Bildungsstätten und andere Einrichtungen und Träger politischer Bildung schon vor Jahren – zu Recht – schließen müssen, denn selbst hoch motivierte Gymnasiasten würden sich einem solchen Angebot nicht freiwillig unterwerfen.

 

Nein, das Arbeitsfeld und die Angebote sind interessant, vielfältig und ausdifferenziert. Freie Träger wie Bildungsstätten und Bildungswerke, Jugendverbände, kirchliche Einrichtungen wie katholische und evangelische Akademien, Gewerkschaften und gewerkschaftsnahe Organisationen wie z. B. die Verbände von Arbeit und Leben, Migrantenvereine, Volkshochschulen, Initiativen und Vereine und nicht zu vergessen die parteinahen Stiftungen halten ein breites Angebot politischer Bildung vor. Sie tun dies in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den staatlichen Akteuren, der Bundeszentrale und den Landeszentralen für politische Bildung, mit denen sie gemeinsam Verantwortung für die politische Bildung der Bürgerinnen und Bürger tragen. So hat z. B. die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) schon vor Jahren den sogenannten „Runden Tisch“ ins Leben gerufen, an dem sich zweimal im Jahr die freien Träger mit den Verantwortlichen der bpb treffen, um gemeinsam über gesellschaftspolitische Themen, Herausforderungen und Entwicklungen zu diskutieren sowie Förderfragen zu beraten.

Mit an diesem Runden Tisch sitzen auch die Dachverbände auf Bundesebene, von denen einige aktuell ein großes gemeinsames Projekt unter dem Titel „Empowered by Democracy“ umsetzen. Dazu gehören der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB), die Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke (AKSB), der Bundesarbeitskreis Arbeit und Leben (AL), der Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum (VBLR) und die Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (ET). Träger des Projektes ist der Bundesausschuss politische Bildung.

 

Am Anfang des Projektes stand die Frage „Wie wollen wir in dieser Gesellschaft zusammenleben?“ sowie die Überzeugung, dass Partizipations- und Bildungsangebote auch diejenigen erreichen müssen, die erst seit kurzer Zeit in Deutschland leben. Die Träger haben sich zum Ziel gesetzt, Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrungen frühzeitig zu einer aktiven Wahrnehmung der Mitsprache- und Teilhabemöglichkeiten in Schule, Beruf, Kommune und Gesellschaft zu befähigen. Umgekehrt können, so die Überlegungen, die vielfältigen Erfahrungen dieser Zielgruppe die demokratische Kultur in unserer Gesellschaft bereichern und allen Menschen neue Perspektiven und Lernerfahrungen ermöglichen.

 

Seit einem Jahr bereits lädt das Projekt „Empowered by Democracy“ vor allem junge Menschen mit Fluchterfahrung ein, sich in Seminaren und Workshops mit dem Zusammenleben in der Demokratie auseinanderzusetzen. Es fördert darüber hinaus den Austausch unter den Fachkräften, die Entwicklung einer diversitätsbewussten Praxis und den Aufbau neuer Kooperationen z. B. mit Geflüchtetenorganisationen. Dabei bleibt das Projekt aber nicht stehen. Es will die politische Bildung von einem Angebot für Geflüchtete zu einem Angebot mit Geflüchteten ausbauen. D. h., junge Geflüchtete werden aktuell erfolgreich ermutigt und befähigt, Teamerin oder Teamer zu werden, um in selbst gewählten Formaten Projekte der politischen Bildung für andere Jugendliche anzubieten.

 

Das Projekt „Empowered by Democracy“ ist ein gutes Beispiel, wie He­rausforderungen durch freie Träger politischer Bildung aufgegriffen und neue Zielgruppen integriert werden, wie aber auch neue Kooperationen geschlossen werden, um die Bildungsarbeit zu bereichern. Solche Entwicklungen haben es nicht verdient, wenn Vorurteile wie das von der angestaubten Institutionenlehre herhalten müssen, um die durchaus berechtigte Frage nach der Weiterentwicklung, also der Suche nach attraktiven Formen der Vermittlung, nach interessanten und für Teilnehmende bedeutsamen Themen, die Frage nach der Erreichbarkeit bestimmter Zielgruppen, der Gestaltung von Lernsettings oder der Ansprache und Kommunikation nach außen zu stellen. Denn die Frage nach der Weiterentwicklung muss sich die politische Bildung, wie im Übrigen auch die kulturelle Bildung, immer stellen, und sie tut das auch. Politische Bildung will in Bewegung bleiben, sich immer wieder neu erfinden, um dem Anspruch von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen auch in Zukunft gerecht zu werden.

Bei diesem Bemühen steht sie aktuell vor großen Herausforderungen, die mit der Veränderung der politischen Situation in Deutschland und Europa zu tun haben: Einrichtungen wurden und werden angefeindet wegen ihrer queeren Jugendarbeit, Bildungsstätten mussten Absagen anderer Teilnehmenden hinnehmen, weil sie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgenommen hatten, in diversen Landesparlamenten wurden und werden Anfragen gestellt zu angeblich linksextremistischen Umtrieben von Einrichtungen, und internationale Maßnahmen mit Polen oder Russland konnten gar nicht erst stattfinden wegen der angeblichen Gefahr durch Geflüchtete, der sich die Teilnehmenden aus den genannten Ländern nicht aussetzen wollten. Alle Träger und Einrichtungen – nicht nur der politischen Bildung – sind vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen gefordert, Haltung zu zeigen, sich eindeutig und engagiert gegen Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und jede Form Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu positionieren und Solidarität mit den angefeindeten Einrichtungen und Trägern zu zeigen.

 

Politische Bildung wird in der Demokratie gebraucht, um Gelegenheiten zu schaffen, Fragen und Probleme offen ansprechen zu können, um Fremde und Fremdes kennenzulernen, um sich in demokratischen Formen der Auseinandersetzung zu üben. Diese Einsicht ist bei vielen angekommen. Über politische Bildung wird wieder gesprochen – sie hat es verdient.

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2018.


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