Monika Grütters - 3. Mai 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Deutsche Bundesregierung

Demokratie zuerst


Im Dezember 2013 bekam der Künstler Florian Mehnert Post von der Polizeidirektion Freiburg. Der Anlass: ein Ermittlungsverfahren wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes. Mehnert hatte für ein Kunstprojekt Waldwege verwanzt und Gespräche der Spaziergänger als „Waldprotokolle“ veröffentlicht. Er wollte Fragen zum Leben in der digitalen Gesellschaft aufwerfen und bekam als Antwort der analogen Welt eine Anzeige. In dieser nur allzu verständlichen Reaktion offenbart sich die Widersprüchlichkeit unserer Haltung als User im Internet und als Bürger eines demokratischen Rechtsstaats. Online – im Netz – können wir bei keiner Google-Suche, keinem Facebook-Like, keinem WhatsApp-Chat mit Vertraulichkeit rechnen. Offline – im Wald – finden wir schon ein einziges Mikrofon befremdlich. Während hier die bewährten Mechanismen der Rechtsdurchsetzung greifen, ist die Durchsetzung unserer Rechte im Netz alles andere als selbstverständlich. Offensichtlich ermöglicht das Internet derzeit mehr Freiraum, als die Demokratie vertragen kann: die Möglichkeit, Daten zu missbrauchen, Deutungsmonopole aufzubauen, Lügen, Hass und Hetze zu verbreiten, sich künstlerischer und geistiger Leistungen zu bedienen, ohne dafür zu bezahlen.

 

Damit stellt die Digitalisierung die Demokratie und den Rechtsstaat auf eine Bewährungsprobe: Wenn zivilisatorische Errungenschaften wie die Freiheit der Kunst, die kulturelle und mediale Vielfalt, die Sicherung geistigen Eigentums, der Schutz persönlicher Daten, das Recht auf freie Meinungsbildung und die Grundprinzipien einer demokratischen Kultur der Verständigung weiterhin Bestand haben sollen, brauchen die entsprechenden Regeln ein politisches Update. Dazu gehört z. B. ein starkes Urheberrecht: Künstler müssen auch künftig von ihrer Arbeit leben können. Deshalb werde ich mich weiterhin für den Schutz des geistigen Eigentums einsetzen.
Ebenso wichtig ist es, die Meinungs- und Medienvielfalt zu sichern. Dafür braucht es u. a. faire Wettbewerbsbedingungen. Nicht hinnehmen dürfen wir außerdem, dass Kulturgüter zur bloßen Handelsware degradiert werden. Mit der Buchpreisbindung zum Schutz der verlegerischen und der literarischen Vielfalt oder auch mit den von mir ausgelobten Preisen für Kulturorte in den Regionen wenden wir uns gegen die Bewirtschaftung einer geistigen Monokultur, in der nur das überlebt, was sich gut verkauft. Wo Algorithmen die Macht übernehmen, beginnen die geistige und kulturelle Verarmung unserer Gesellschaft und die Erosion der Grundlagen unserer Demokratie. Statt „Digital first“ sollten wir uns den Anspruch „Demokratie zuerst“ auf die Fahnen schreiben. Eine Politik, die Menschen nicht nur als User betrachtet, sondern als Bürger ernst nimmt, muss diesem Anspruch gerecht werden.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 3/2018 erschienen.


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