Ernst-Christoph Stolper - 23. November 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Nachhaltigkeit & Kultur

Umweltschutz und Kulturpolitik


Gemeinsames Handeln für eine nachhaltige Entwicklung im Zeitalter des Anthropozän

Nicht viele Zeitgenossen würden Natur und Kultur so unmittelbar in trauter Einigkeit sehen. Im Gegenteil: Im eigentlichen Wortsinn wohnt ihnen sogar ein gewisser Antagonismus inne. Während das klassische Naturverständnis für die vom Menschen unberührte Umwelt steht, ist Kultur der Ausdruck menschlichen Gestaltungswillens ebendieser Umwelt gegenüber. Und viele dieser »Gestaltungen« sind für Natur und Umwelt in der Vergangenheit katastrophal gewesen. Mahnende Beispiele sind der Energie- und Ressourcenverbrauch unseres Lebensstils oder die Auswirkungen unserer immer weiter gestiegenen Mobilität. Dass viele dieser „Umwelt-Gestaltungen“ allerdings auch unter ästhetischen Gesichtspunkten durchfallen, macht schon deutlich, dass es mehr Gemeinsamkeiten gibt, als es auf den ersten Blick scheint.

 

Auf der einen Seite hat sich der klassische konservierende Naturschutz hin zu einem Denken in Ökosystemen mit dem Ziel des Erhalts von Biodiversität entwickelt. Auf der anderen Seite ist die menschliche Gestaltung der Umwelt heute dem Leitbild der Nachhaltigkeit verpflichtet – oder sollte es nach dem Willen der Beschlüsse der Weltgemeinschaft, den Sustainable Development Goals jedenfalls sein. Im Zeitalter des Anthropozän hat der menschliche Gestaltungswille erstmals die Kraft und die Mittel, um dem Menschen selbst die Lebensgrundlage zu entziehen – nicht nur an einem einzelnen Ort im Sinne lokaler Katastrophen, sondern weltweit. Und vielfach sind kulturelle Systeme die ersten Opfer, wie uns die Flüchtlingskatastrophen zeigen. Zwischen Umwelt- und Kulturpolitik gibt es deshalb eine Vielzahl von Berührungs- und Kooperationspunkten, die immer deutlicher zutage treten.

 

Kulturpolitik ist in vielfältiger Hinsicht für die Entwicklung eines nachhaltigen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells von zentraler Bedeutung. Ihre Bedeutung ist so groß, dass viele bereits gefordert haben, den etablierten ökologischen, sozialen und ökonomischen Betrachtungsdimensionen der Nachhaltigkeit eine weitere – die kulturelle Dimension – hinzuzufügen. Aber auch wer sich nur ein wenig Gedanken darüber macht, was wir an die Stelle des Ex und Hopp-Konsums immer neuer energie- und ressourcenfressender Produkte setzen wollen und womit wir uns in Zeiten zunehmender Automatisierung die Zeit vertreiben werden, wenn nicht mit dem zerstörerischen Konsum ebendieser Produkte, der landet nahezu automatisch bei Kunst und Kultur. Wir schauen immer noch viel zu sehr auf die Entwicklung neuer Technologien und nicht auf die erforderlichen kulturellen Kompetenzen. Man könnte es auch so ausdrücken: Wenn es um zukünftigen Konsum ohne – ökologische – Reue geht, dann sind Kunst und Kultur ganz weit vorn.

 

Auch in der Bildungspolitik gibt es gemeinsame Interessen. Ebenso, wie die kulturelle Bildung dringend gefördert werden muss, weil sie immer wieder droht, in der MINT-Euphorie unterzugehen, ist auch die Umweltbildung in einer Zeit, in der Jugendliche immer weniger selbstverständlich Naturerfahrungen machen, von zentraler Bedeutung. Bereits heute ist erkennbar, dass die Kenntnis über unsere Natur dramatisch zurückgeht. An den Schulen und Hochschulen werden vornehmlich Techniken zur Manipulation von Natur und nicht das Verständnis ökologischer Zusammenhänge gelehrt. Es sterben nicht nur die Arten aus, sondern auch die Menschen, die überhaupt in der Lage sind, sie zu bestimmen. Und wo kein Wissen mehr ist, gibt es natürlich auch weder Wertschätzung noch Schutz. Um dies zu verhindern, brauchen wir dringend eine nationale Wissens- und Bildungsinitiative. Das gemeinsame Dach für verstärkte Anstrengungen kultureller und ökologischer Bildung könnte die von der UNESCO vorangetriebene »Bildung für nachhaltige Entwicklung« sein.

 

Wenn sich unsere Umwelt so drastisch verändert, wie wir dies aktuell beim Insektensterben sehen, dann ist das von dramatischer Bedeutung für unsere Umwelt und unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Es hat aber auch kulturelle Aspekte. Als ständiger – mal geliebter, mal gehasster, aber immer präsenter – Begleiter des Menschen haben Insekten in allen Bereichen von Kunst und Kultur ihre Spuren hinterlassen. Es wäre der Mühe wert, dies einmal gemeinsam aufzuarbeiten.

 

Grund also genug, um die Zusammenarbeit zwischen Umwelt- und Kulturpolitik auszuweiten. Der Deutsche Kulturrat und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland haben deshalb beschlossen, ihre Zusammenarbeit zu intensivieren. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe ist eingesetzt worden, um eine Fachtagung im kommenden Jahr und ein gemeinsames Memorandum vorzubereiten.

 

Damit wollen wir auch die erfolgreiche Arbeit gegen TTIP und für eine andere Handels- und Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren fortsetzen. Denn wirklich wirksame Veränderungen lassen sich heute nur in breiten Bündnissen erreichen, die von Umweltverbänden bis zu Kulturverbänden, von Sozialverbänden und Gewerkschaften bis hin zu den Kirchen und vielen anderen Initiativen, Gruppen und Verbänden reichen, die sich für Demokratie, Solidarität und die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen einsetzen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 1/2018.


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