Benno Dalhoff - 29. Mai 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Das Grüne Band

Kunst mit Lochbetonplatten, Stacheldraht und Streckmetallzaun


3 Fragen an Benno Dalhoff

Das Grüne Band rund um den Streckenabschnitt am Thüringer Point Alpha ist Motiv für Benno Dalhoffs künstlerische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart gesamtdeutscher Geschichte. Der Biologe, Naturschützer und Künstler erläutert Politik & Kultur, was ihn zu seinem vielfältigen Engagement motiviert und zu seinen Kunstwerken inspiriert.

 

Herr Dalhoff, wie kamen Sie dazu, künstlerisch am Grünen Band zu arbeiten und unter anderem Frottagen von Kolonnenweg und Streckmetallzaun anzufertigen? Was motiviert Sie dazu?
Benno Dalhoff: Letztlich war ein Geschenk meiner Kinder zu Weihnachten Anlass für meine Aktivitäten am Grünen Band: Es war ein symbolischer Anteilschein zur Stärkung der Überzeugungsarbeit des BUND in Politik und Öffentlichkeit für den Erhalt und den Schutz des einmaligen Refugiums „Grünes Band“. So machten meine Frau und ich uns im Sommer 2015 auf nach Thüringen zu einer ersten Annäherung ans Grüne Band, ausgerüstet mit einschlägiger Fachliteratur und voller Spannung und Neugier auf dieses mit 1.393 Kilometer längste Biotopverbundsystem in Mitteleuropa.

 

Von Interesse waren für mich als Biologen sowohl die vielen außergewöhnlichen Naturschätze, die im näheren und weiteren Umfeld des ehemaligen Todesstreifens zu finden sind, als auch die Naturschutzmaßnahmen. Diese sollen den teilweise noch lückenhaften Biotopverbund komplettieren, um wieder „Wanderbewegungen“ von Flora und Fauna in der intensiv genutzten Landschaft weitgehend ungestört und ungefährdet zu ermöglichen. Andererseits ging es darum, zu eruieren, inwieweit sich ökologische Aspekte von Kolonnenweg und Grünem Band künstlerisch umsetzen lassen.

 

Nach einigen aufgesuchten Stellen war es schließlich das Grüne Band am Point Alpha – dem ehemaligen US-Stützpunkt an der innerdeutschen Grenze während des Kalten Krieges – das in Kombination mit dem „Weg der Hoffnung“ auf dem ehemaligen Todesstreifen ganz besonders zu Aktivitäten einlud. Hier brachte ich erste skizzenhafte Eindrücke vom sehr beeindruckenden Skulpturenpfad von Ulrich Barnickel zu Papier, ehe mich die außergewöhnliche Atmosphäre dieses Ortes zu ersten Arbeiten vor Ort, Frottagen von „Fenstern“ einer Lochbetonplatte, animierte. Im Laufe der letzten fünf Jahre sind so zahlreiche Arbeiten von den Lochbetonplatten des Kolonnenweges, vom Stacheldraht des Grenzzauns und vom Streckmetallzaun entstanden.

 

Die landschaftliche Idylle dieser Gegend, die mich bei meinen Arbeiten auf dem Kolonnenweg am Point Alpha umgibt, erinnert mich immer wieder an Edvard Munchs Gemälde „Schneelandschaft, Thüringen“ von 1906, das im letzten Jahr in der vom norwegischen Schriftsteller Karl Ove Knausgard kuratierten Munch-Ausstellung im K20 in Düsseldorf zu sehen war. In dieser Idylle vergisst man viel zu schnell, welch leidvolle Geschichte gerade auch diese Region in den mehr als 100 Jahren nach der Entstehung dieses Ölgemäldes erfahren musste, und warum Erinnerungskultur für unsere globale Zukunft von so immenser Bedeutung ist.

 

Für mich als Künstler und Ökologen ist vor allem die unendliche Vielfalt an künstlerischen Möglichkeiten, welche das Grüne Band in der Kombination von Natur, Erinnerungskultur und Kunst bereithält, motivierend und faszinierend zugleich.

 

Wie verarbeiten Sie in Ihrer Kunst die Entwicklung des Grünen Bandes – von dem Schrecken der Vergangenheit hin zu der Hoffnung der Zukunft, vom Todesstreifen zur Lebenslinie?
Es ist bedauerlich, dass der offizielle Umgang mit der deutsch-deutschen Grenze und ihrer Befestigung – das heißt der schnelle Rückbau der Grenzanlagen – eine systematische Spurensicherung verhinderte und somit symptomatisch für ein Verhältnis zur Vergangenheit steht, welches von Desinteresse, Ignoranz und Verdrängung geprägt ist. Ein umso größeres Verdienst ist es daher, dass es dem Journalisten Berthold Dücker, dem als ehemaligem DDR-Bürger die Flucht in den Westen in der Gegend von Point Alpha glückte, durch sein herausragendes Engagement gelang, die totale Beseitigung des US-Beobachtungsstützpunktes Point Alpha an der hessisch-thüringischen innerdeutschen Grenze zu verhindern und die Mahn-, Gedenk- und Begegnungsstätte Point Alpha zu initiieren. Für mich persönlich zeigt sich gerade dort die enorme Diskrepanz zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die mich immer wieder magisch anzieht. Und so beschäftige ich mich in meinen Arbeiten am Grünen Band mit den nur noch spärlich vorhandenen materiellen Zeugnissen und sichtbaren Spuren an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Ich bin der Überzeugung, dass die Vergangenheit einer Gesellschaft, welche materiell in der Gegenwart noch präsent ist, auch künstlerisch aufgearbeitet werden muss, um eine nachhaltige und zukunftsfähige Perspektive entwickeln zu können.

 

Meine Kunstwerke sind geprägt von einem politisch-ethischen Anspruch. Ich möchte mit ihnen die Erinnerung an apokalyptische Ereignisse wachhalten und deren Opfern ein Denkmal setzen. Daher sind meine Arbeiten ein Synonym dafür, dass dem brutalen Erscheinungsbild einer Lochbetonplatte, eines Stückes Streckmetallzaun oder eines Stacheldrahtes eine scheinbare Ästhetik innewohnt, die das Grauen noch grausamer macht. Besonders deutlich wird das am Beispiel der Frottage smz III. Symbolisch für den Eisernen Vorhang, der noch vor 31 Jahren Europa auf mehr als 12.500 Kilometer Länge in Warschauer Pakt und Nato teilte und wo heute das Grüne Band verläuft, steht für mich – anders noch als Stacheldrahtzaun und Betonmauer – der Streckmetallzaun. Zufälligerweise drängt sich beim Betrachten der Frottage smz III das Bild eines Vorhangs auf, der ein wenig in Bewegung zu sein scheint, der Falten wirft. Diese Assoziation rührt daher, dass das mir in meinem Atelier als Arbeitsstück zur Verfügung stehende Original-Zaunstück vom Grenzzaun in Thüringen nicht ganz plan ist, sondern teilweise leichte Unebenheiten aufweist, die für nicht vorhersehbare und schon gar nicht planbare „Verwerfungen“ verantwortlich sind.

 

Während der überwiegende Teil der Kunstwerke in Grautönen bzw. in Schwarz gehalten ist, stellt die in vielen Streckmetallzaun-Arbeiten auftauchende Farbe ein Symbol für Hoffnung und Zukunft dar. Aus dem Todesstreifen ist ein Lebensband geworden, welches ständig erweitert wird und als „GrüneLungeBand“ in der Mitte Deutschlands bzw. Europas eine bedeutende Rolle bei der hoffentlich noch zu bewältigenden Klimakatastrophe spielen wird. Daher muss dieses zarte Pflänzchen des längsten Biotop-Verbundes in Deutschland – und wünschenswerterweise auch in ganz Mitteleuropa – nachhaltig weiterentwickelt und gehegt und gepflegt werden, denn nur so kann es zu einem zukunftsfähigen Lebensband für Flora, Fauna und Klima und zu einer Naturoase für den Menschen werden.

 

Wieso ist die Nominierung des Grünen Bandes als UNESCO-Weltnatur- und -Weltkulturerbe für Sie von Bedeutung? Wie setzen Sie sich dafür ein?
Im November 2018 wurde das Grüne Band Thüringen zum Nationalen Naturmonument erklärt. Diese neue Schutzkategorie verbindet Naturschutz und Erinnerungskultur miteinander. Als Sachsen-Anhalt ein Jahr später ebenfalls sein Grünes Band zum Nationalen Naturmonument erklärte, befanden sich bereits ca. 80 Prozent des Grünen Bandes in Deutschland unter Schutz. Geschützt ist aber nicht nur die Kette verschiedenartigster Biotope mit mehr als 1.200 bedrohten Tier- und Pflanzenarten, sondern auch der an vielen Stellen noch erhaltene Kolonnenweg und die Wachtürme der DDR-Grenzposten.

 

Das bedeutet für den Schutz der Biodiversität und der kulturellen Besonderheiten in diesem Großlebensraum sowie für seine Weiterentwicklung eine große Motivation, weil damit auch die Förderung eines an ökologischen Kriterien orientierten Tourismus verknüpft ist.

 

Von der Nominierung des Grünen Bandes zum UNESCO-Weltnatur- und -Weltkulturerbe verspreche ich mir einen Domino-Effekt, zumal mit der Ausweisung ebenfalls finanzielle Unterstützungsbeiträge aus dem „Fonds für das Erbe der Welt“ verbunden sind. Wie gerade in Zeiten von Corona zu beobachten ist, werden Outdoor-Aktivitäten in zunehmendem Maße wieder neu entdeckt, so dass sich sicherlich auch ein Anreiz für einen sanften „Öko-Tourismus“ entwickeln wird, der für oftmals strukturschwache Regionen neue Zukunftsperspektiven eröffnen wird.

 

Durch meine künstlerische Aufarbeitung der Entwicklung vom ehemaligen Todesstreifen zum Lebensband, durch meine leider der Corona-Epidemie zum Opfer gefallene Ausstellung im Haus auf der Grenze am Point Alpha sowie durch den für diesen Sommer geplanten, aber ebenfalls ausgefallenen Kurs zum Thema „Spurensuche rund um den Kolonnenweg am Point Alpha“ für thüringische Schülerinnen und Schüler setze ich mich für die Nominierung des Grünen Bandes zum UNESCO-Weltnatur- und -Weltkulturerbe ein. Und bereits Anfang Januar 2020 hat die Stiftung Naturschutz Thüringen auf der Publikumsmesse für Tourismus und Freizeit in Stuttgart Besucher mit einer von mir entwickelten Anleitung und Beispielen zur künstlerischen Umsetzung erfolgreich motiviert, an einem Stück Streckmetallzaun eigene Kunstwerke zu kreieren. Mit dieser Aktion war die Werbung für einen Natur- und Erinnerungskultur-Tourismus am Grünen Band in Thüringen verbunden.

 

Für mich ist die Nominierung des Grünen Bandes Europa als UNESCO-Weltnatur- und -Weltkulturerbe eine Herzensangelegenheit. Das Bedrohungsszenario der Corona-Krise führt uns gerade einmal mehr vor Augen, dass wir am Abgrund stehen. In dieser apokalyptischen Situation müssen wir alle endlich Erdverantwortung übernehmen für unsere Um- und Mitwelt, damit wir als Spezies eine Zukunft auf diesem Planeten haben.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2020.


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