Mario Goldstein - 29. Mai 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Das Grüne Band

Das Ende von Mauern und Grenzen


Das Abenteuer Grünes Band mitten in Deutschland

Im Jahr 2015 wurde ich vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) inspiriert, das gesamte Grüne Band, die ehemalige deutsch-deutsche Grenze, zu Fuß abzuwandern. Ein Abenteuer, das mich nach fast drei Jahrzehnten an einen Ort zurückbrachte, der nicht nur eng mit meiner eigenen Lebensgeschichte verbunden ist, sondern mittlerweile als Nationales Naturmonument unter Schutz steht. Über 1.200 seltene Arten der Flora und Fauna finden in diesem bis zu 200 Meter breiten und 1.393 Kilometer langen Landstrich ihren Rückzugsort. Das Grüne Band ist heute eine Erinnerungslandschaft, die, als stummer Zeitzeuge der Trennung Deutschlands, von der damaligen Zeit erzählt.

 

Dutzende Begegnungen mit Naturschützern, Opfern des DDR-Regimes, Politikern und Individualisten, die sich am Grünen Band niedergelassen haben, brachten die Erkenntnis, dass wir Menschen zur kollektiven Versöhnung in der Lage sind und selbst aus einem scheinbar für die Ewigkeit gebauten Todesstreifen eine Lebenslinie erschaffen können. Eine Transformation, die aus dem Grünen Band einen Botschafter macht, der davon erzählt, dass aus dem Grauen der Trennung, der Angst und des Todes ein Ort der Begegnung, des Miteinanders und der Artenvielfalt entstehen kann. Eine Perlenkette für Deutschland, die große Naturschutzgebiete miteinander verbindet, seltene Pflanzen beherbergt und einen Schutzstreifen für Tierwanderungen bietet.

 

Mit den Augen der Visionäre gesehen, hat diese Transformation sogar gerade erst begonnen. Die Bedeutung dieser ehemaligen Grenzlinie ist enorm, ein tieferes Verständnis für die Zusammenhänge entfaltet sich gerade erst. Denn wenn ich das Bild aufziehe, dann erstreckt sich das gesamte Grüne Band vom Eismeer bis zum Schwarzen Meer. Es reicht bis an die Grenze zur Türkei. Über 12.500 Kilometer zieht sich diese immergrüne Landstraße mitten durch Europa. Und gerade in einer Zeit, wo der Bau von Mauern und Grenzanlagen wieder die Lösung aller Probleme zu sein scheint, sollte uns die Geschichte des Grünen Bandes etwas lehren: Freiheit kann man nicht mit Zäunen und der Kalaschnikow aufhalten, denn der unbändige Drang, frei zu sein und der Wunsch nach Selbstbestimmung liegen in der Natur eines jeden Menschen.

 

Für mich war diese Wanderung eine ganz neue Erfahrung. Zu Fuß und allein durch die Natur zu gehen, das hatte ich vorher noch nie in diesem Ausmaß getan. Die Auswirkungen dieses Abenteuers begleiten mich noch heute. Ich bin ruhiger und gelassener geworden. Das Gefühl der Verbindung und die Erkenntnis des Einsseins mit allem, was ist, hat an Intensität zugenommen. Meine Sinne wurden für Dinge geschärft, die ich vorher nicht einmal wahrnahm. Und, es wurde mir eine Last von meinen Schultern genommen. Ich konnte meine Vergangenheit erkennen und aufarbeiten. Fast drei Jahrzehnte habe ich das Erlebte verdrängt, doch heute hege ich keinen Groll mehr gegen die Menschen, die mich damals drangsaliert und eingesperrt haben. Ich habe mit dieser Zeit meinen Frieden gemacht, den Menschen vergeben und Versöhnung gefunden. Das Besondere an dieser Reise ist auch, dass ich nicht nur aus reinem Selbstzweck unterwegs war. Ich wanderte für die Vision, einen Todesstreifen zu einer Lebenslinie werden zu lassen. Eine Vision, die nicht ich entwickelt habe, die ich aber gern mittrage.

 

Das Grüne Band wird in Zukunft eine wegweisende Bedeutung haben, denn es zeigt uns immer wieder auf, wie Mauern und Grenzen letztlich enden. Sie werden überwunden, niedergerissen und verschwinden, denn Abschottung schafft Trennung und Getrenntsein liegt nicht in unserer Natur. Wir alle sind miteinander verbunden, eine Wahrheit, die wir früher oder später kollektiv verstehen und annehmen müssen, sonst werden wir als Menschheit im Chaos der Bedeutungslosigkeit versinken.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2020.


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