Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz - 25. September 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

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Klima: "Fridays for Future" fordert grundlegenden kulturellen Wandel


Das geplante Museum der Moderne muss ein Vorzeigeprojekt beim Klimaschutz werden

Am Freitag, den 20. September 2019 demonstrierten weltweit rund 1,4 Millionen Menschen für mehr Klimaschutz und riefen die Regierungen auf, ohne jedes weitere Zuwarten Maßnahmen zu ergreifen, damit die Klimaziele des Pariser Abkommens erreicht werden. Eine so große und vor allem weltweite Bewegung ist einmalig und beeindruckend. Von Australien und Neuseeland bis zu den USA, in Indien, in Afghanistan und in Europa. Egal, ob hochentwickelte Industrienation oder vom Krieg geschütteltes Land, überall erhoben Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihre Stimme. In Deutschland fanden an 572 Orten am 20. September 2019 Aktionen und Streiks statt. Wohl kaum eine soziale Bewegung hatte eine solche Breitenwirkung.

 

Vor gut einem Jahr begann die schwedische 15-jährige Schülerin Greta Thunberg freitags nicht zur Schule zu gehen, sondern vor dem schwedischen Parlament zu streiken und zu mehr Klimaschutz aufzurufen. Was als Aktion einer Einzelnen begann, hat inzwischen zu einer weltweiten Bewegung geführt. Einer Bewegung, die insbesondere in der Wissenschaft Widerhall findet. Nicht zuletzt deshalb, weil die Arbeiten und Warnungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bereits seit Jahrzehnten zum Klima forschen, von der „Fridays for Future“-Bewegung ernst genommen, rezipiert und vor allem als Referenz ausgewiesen werden. Mitunter ist eine richtige Erleichterung aus der Wissenschaft zu spüren, dass die Arbeiten auf eine so große Resonanz stoßen.

 

Das Pariser Klimaabkommen erfährt seither eine Aufmerksamkeit wie kaum zuvor. Die Weltgemeinschaft wird daran erinnert, was sie gemeinsam vereinbart hat und vor allem sie wird gemahnt tatsächlich etwas zu unternehmen.

 

Zeitgleich zur großen „Fridays for Future“-Demonstration am 20. September 2019 in Berlin stellte die Regierungskoalition ihr Klimapaket vor. Gemessen an den Erwartungen an ein extra eingerichtetes Klimakabinett, an dem Protest, der sich auf den Straßen formierte, wird zu Recht von einem „Klimapaketchen“ gesprochen. Die Maßnahmen sind vorsichtig, niemandem soll so richtig wehgetan werden und die Veränderungen sollen am besten im Schonprogramm vollzogen werden.

 

Doch wird dieses Schonprogramm vermutlich nicht reichen, um die selbst gesetzten und vertraglich vereinbarten Ziele zu erreichen – es bedarf vielmehr eines umfassenden und tiefgreifenden kulturellen Wandels. Denn eines ist klar, das Pariser Klimaabkommen wurde von der Bundesregierung nicht nur mitunterzeichnet, es wurde vernünftigerweise auch vorangetrieben. Insofern geht es nun um die Umsetzung der selbstgesetzten Ziele. Dabei dreht es sich nicht allein um steuerpolitische Fragen oder um die CO2-Bepreisung. Es geht vielmehr unter anderem um die Frage, wie die öffentliche Infrastruktur ausgebaut werden kann; wie stillgelegte, weil vermeintlich wirtschaftlich unrentable Bahnstrecken wieder reaktiviert werden können; wie intelligente Verkehrskonzepte für den ländlichen Raum entwickelt werden können; wie ökologische Technologien entwickelt und marktfähig gemacht werden können; wie endlich deutlich herausgestellt wird, das ein Mehr an Klimaschutz nicht ein weniger an Wirtschaftskraft bedeutet, sondern vielmehr wirtschaftliche Impulse freisetzen kann.

 

Längst haben sich viele Unternehmen darauf eingestellt, klimafreundlicher zu produzieren, um einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber Wettbewerbern zu haben. Ganz grundsätzlich ist ein durchgreifender kultureller Wandel im Denken erforderlich, um nachhaltig und ressourcenschonend zu wirtschaften. Und dies nicht etwa, weil ein paar „Ökos“ dies wollen, sondern weil es um das Überleben unseres Planeten und damit um unsere Zukunft geht.

 

Der Kulturbereich hat viele Lösungen anzubieten. Designerinnen und Designer entwickeln nachhaltige Produkte, sie müssen nur gekauft werden. Architektinnen und Architekten entwerfen Häuser mit ökologischen Baustoffen, die klimaneutral sind, sie müssen nur gebaut werden. Stadtplanerinnen und Stadtplaner setzen sich für weniger Verkehr und mehr grüne Oasen in der Stadt ein, sie müssen nur umgesetzt werden. Längst schon ist das „Grüne Drehen“ kein Fremdwort mehr, sondern gehört zur verantwortlichen Filmproduktion. Veranstalter von Musikfestivals versuchen möglichst umweltverträgliche Veranstaltungen durchzuführen. Je mehr ökologische Produkte nachgefragt werden, desto mehr Marktchancen haben die Produzenten.

 

Der Deutsche Kulturrat fragt zusammen mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) nach, was Nachhaltigkeit und Kultur gemeinsam haben und welche Bedeutung Heimat für eine gelingende Zukunft hat. Dabei benutzen wir einen zukunftsgerichteten Heimatbegriff bei dem danach gefragt wird, wie unsere Umgebung, unser Umfeld, unsere Umwelt gestaltet werden müssen, damit sie Heimat werden kann für viele und welchen Beitrag dabei Umwelt- und Naturschutz sowie Kultur leisten. Als Deutscher Kulturrat machen wir uns für den kulturellen Wandel stark und bringen unsere Expertise aus dem Kulturbereich ein, um Veränderungen voranzutreiben.

Die Bundesregierung kann durch ihre Zuwendungspraxis durchaus Türen öffnen. Wie wäre es damit, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, damit geförderte Institutionen ihre Klimabilanz verbessern? Wie wäre es damit, diejenigen zu belohnen, die in das Klima investieren?

 

Und die Bundesregierung sollte selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Dazu gehört beispielsweise den Pendelverkehr zwischen Bonn und Berlin endlich einzustellen. Wenn am Standort Bonn festgehalten werden soll, muss der Austausch ohne Flugverkehr gelingen. Das wäre ein echter Beitrag für ein besseres Klima. Und natürlich muss der Bund auch mit gutem Beispiel bei seinen eigenen Bauten vorangehen. In Berlin soll das Museum der Moderne gebaut werden. An einem prominenten Ort zur Abrundung des Kulturforums in der Nähe des Potsdamer Platzes soll ein Museum für zeitgenössische Kunst entstehen, in dem unter anderem die Sammlung Marx gezeigt werden soll. Glaubwürdige Klimapolitik wäre, wenn dieses neue Gebäude ästhetischen Anforderungen und Anforderungen an klimagerechtes Bauen gerecht würde. Die derzeitigen Planungen lassen dies allerdings nicht erkennen. Hier kann die Bundesregierung noch vor der geplanten Grundsteinlegung in diesem Jahr ein Zeichen setzen, dass sie es ernst meint mit der Nachhaltigkeit.

 

Die eigentliche Herausforderung besteht auch für jeden Einzelnen. Die ehrgeizigen Klimaziele werden nur zu erreichen sein, wenn sich jeder an seine eigene Nase fasst und überlegt, was der eigene Beitrag sein kann. Muss es der Wochenendtrip mit dem Flugzeug sein, weil er nur so aufgrund der Entfernung zu realisieren und auch so preiswert ist? Muss es tatsächlich ein eigenes Auto sein oder ist der gut ausgebaute öffentliche Nahverkehr zumindest in den Metropolregionen nicht eine Alternative? Muss ständig mit der Mode gegangen werden oder tut es auch noch die Kleidung vom Vorjahr? Das ist ein grundlegender kultureller Wandel, weg von der Wachstumslogik hin zu mehr Nachhaltigkeit.

 

Vieles, was heute diskutiert wird, ist nicht neu. Es nur dringlicher geworden, etwas zu unternehmen. Bereits im Jahr 1972 erschien der Bericht des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“. Renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Ökonomen mahnten tiefgreifende Veränderungen, um der Umweltverschmutzung entgegen zu treten. Im Jahr 1980 erschien „Global 2000“ eine vom damaligen US-Präsident Jimmy Carter in Auftrag gegebene Studie und in der ebenfalls aufgezeigt wurde, dass dringende Veränderungen vonnöten sind. Von drohenden Klimaveränderungen war in beiden Untersuchungen bereits die Rede. Seither sind viele Studien erschienen. In der Wissenschaft herrscht weitgehende Einigkeit, dass der Klimawandel menschengemacht ist und dass eine Veränderung unseres Wirtschaftens und Lebens dringend erforderlich ist, um ihm entgegenzutreten. Dies erfordert politische Weichenstellungen ebenso wie Handlungs- und Haltungsänderungen jedes Einzelnen.

 

Ja, das Klimapaket ist vielleicht nur ein „Klimapaketchen“. Aber die Gesetzesarbeit steht erst noch an und ebenso die parlamentarischen Beratungen im Deutschen Bundestag. Die Länder können über den Bundesrat noch Änderungen am Gesetzespaket einbringen und es damit verbessern. Bund und Länder können in den nächsten Monaten zeigen, dass es ihnen ernst ist mit mehr Klimaschutz, dass sie den erforderlichen kulturellen Wandel verstanden haben. Und wir werden im Schulterschluss mit den Umweltverbänden ebenfalls heftig Druck machen.

 

Und jeder Einzelne kann mit seinen Konsumentscheidungen und seinem Lebensstil dazu beitragen, dass Veränderungen schneller vonstattengehen. Wirtschaftliche Impulse müssen nicht nur vom Staat ausgehen, auch die Bürgerinnen und Bürger sind gefragt.

 

Den jungen Menschen von „Fridays for Future“ haben wir es zu verdanken, dass die notwendigen Fragen jetzt endlich weltweit offensiv gestellt werden. Wir sollten jetzt gemeinsam, die richtigen Antworten geben.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2019.


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