Degradierung zum Untoten

Viele Künstler ziehen den Markt dem Museum vor und ziehen ihre Werke aus öffentlichen Museen ab – eine Reaktion auf das geplante Kulturgutschutzgesetz?

Als im 19. Jahrhundert nach und nach in vielen Städten die ersten Kunstmuseen gegründet wurden, stellte das eine Revolution dar. Erstmals in der Geschichte der bildenden Kunst war es fortan jedem Interessierten möglich, Gemälde und Skulpturen unabhängig vom eigenen sozialen Status zu betrachten. Bis dahin musste man Teil der höfischen Gesellschaft sein, um der Kunst teilhaftig zu werden. Oder man musste in Kirchen gehen, wo die Werke aber fest in religiöse Riten integriert und insofern auch nicht frei zu rezipieren waren. Im Museum hingegen spielen Fragen des Glaubens und vor allem des Besitzens keine Rolle. Mit ihm hatte insbesondere das Bildungsbürgertum, das lange nur als Zaungast am Kunstgeschehen teilnehmen durfte, einen institutionellen Sieg errungen, die Kunst war zu einer Sache von öffentlichem Interesse geworden.

 

Neuerdings muss man daran wieder erinnern. Denn so selbstverständlich es für Künstler während der Moderne die größte Ehre darstellte, mit ihren Werken im Museum zu landen und damit, erlöst von Markt, Moden und Einzelinteressen, im Olymp angekommen zu sein, so deutlich ist aktuell eine Rückwärtsbewegung zu beobachten: zurück zu Zeiten, in denen die Kunst die glamouröse Privatangelegenheit einer reichen und erfolgreichen Elite war. Symbolhaft für diesen Paradigmenwechsel steht Georg Baselitz, der im Sommer 2015 seine Leihgaben aus deutschen Museen – darunter in München und Dresden – zurückzog, nachdem der Entwurf zum Kulturgutschutzgesetz durchgesickert war. Der Künstler war in Sorge, dass seine Werke, sollten sie als nationales Kulturgut eingeordnet werden, künftig nicht mehr unbeschränkt gehandelt und exportiert werden könnten. Das würde ihren Marktwert mindern. Baselitz verzichtet fortan also lieber auf ein paar hunderttausend Besucher, nur um die Option auf ein paar hunderttausend Euro Mehrgewinn zu wahren. Er weiß, dass ein spektakulärer Preis einem Werk einen zusätzlichen Thrill verpasst, es geradezu unheimlich und erhaben erscheinen lässt. Daher wird die Aussicht, nationales Kulturgut zu sein, auf einmal als Nachteil – als Degradierung zum Untoten – und nicht als Privileg und Auszeichnung empfunden.

„Ist die Kunst erst einmal vornehmlich zur Privatsache geworden, wird die Kunst vielfach unsichtbar werden.“

Vermutlich hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters weder mit der Reaktion von Baselitz noch mit den vielen anderen Protesten gerechnet, die ihr Gesetzentwurf erfuhr. Selbst noch dem bildungsbürgerlichen Paradigma verbunden, hatte sie nicht bemerkt, wie sehr sich viele Akteure des Kunstbetriebs in den beiden letzten Jahrzehnten, in denen der Markt sich von Rekord zu Rekord boomte, bereits von der Idee der Kunst als einem öffentlichen Gut verabschiedet haben. Wer in den letzten Monaten mit Kunsttransporteuren sprach, blickte in zufriedene Gesichter. Nach eigener Aussage haben sie das erfolgreichste Geschäftsjahr ihrer Existenz, lassen viele Besitzer von Gemälden, Manuskripten, Möbeln oder Skulpturen ihre Schätze doch ins außereuropäische Ausland bringen, um ähnlich wie Baselitz sicherzugehen, auch künftig völlig ungehindert damit handeln zu können.

 

Selbstverständlich kann man fragen, ob es heute noch einen nationalen Begriff von Kulturgut braucht, man kann sich auch wundern, dass das geplante Gesetz als Richtgröße seinerseits gerade den Marktwert der betreffenden Werke nennt, aber umgekehrt ist nicht zu bezweifeln, dass die Kunst Schaden nimmt, wenn sie nicht mehr als öffentliches Gut hochgehalten wird, sondern eine Reprivatisierung erlebt. Und dies umso mehr, wenn sich sogar Künstler daran beteiligen. Tatsächlich wurde die Existenz staatlicher Museen ja immer damit begründet, dass Kunst über Fähigkeiten und Qualitäten verfügt, die sie von anderen Artefakten unterscheiden. Im Überschwang ging man dabei oft auch sehr weit, sprach von Läuterung oder Therapie, ja erhob die Kunst zum Allheilmittel für jede Art von gesellschaftlichem oder individuellem Missstand. Doch war auf diese Weise wenigstens klar, dass sie über eine ideelle Substanz verfügt, die so wichtig ist, dass sie der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden darf. Den Markt nun über das Museum zu stellen, heißt also, diese ideelle Substanz nicht mehr zu achten. Damit schwindet aber auch die Differenz zwischen Kunst und anderen Luxusgütern, die teuer und exklusiv sind, seien es Yachten, Diamanten oder besondere Weine.

 

Das wiederum bleibt nicht ohne Folgen für das, was fortan als Kunst produziert wird. Statt noch den hehren und idealistischen gesellschaftspolitischen Anspruch ihrer Vorgänger in der Avantgarde zu vertreten, orientieren sich gerade auf dem Markt besonders erfolgreiche Künstler lieber an den Interessen ihrer reichen Kunden und Auftraggeber. Und die sehen in der Kunst vor allem ein Statussymbol – am liebsten eines, mit dem sie sich besser als mit anderen Statussymbolen von der großen Mehrheit distanzieren und diese gar verunsichern und einschüchtern können. Besonders begehrt ist daher eine Kunst, die gegen allgemeine Geschmackskonventionen verstößt, die trashig oder ordinär ist oder deren Inhalt oder Aussehen möglichst unvereinbar mit dem hohen Preis erscheint. Denn mit ihr können sich diejenigen, die sie kaufen und um sich haben, viel cooler, geheimnisvoller und unnahbarer in Szene setzen als mit irgendetwas sonst, insbesondere auch als mit Kunst früherer Epochen oder aus den Zeiten, in denen sie für das Museum – für die Öffentlichkeit – geschaffen wurde. Zwar mochte es damals ebenfalls schon darum gegangen sein, den jeweils aktuellen Geschmack herauszufordern und infrage zu stellen, aber dahinter stand immer eine Idee von Aufklärung, Reinigung, Revolution, während heutige Künstler sich als Dienstleister gegenüber reichen Kunden verdingen, die es genießen, wenn andere schockiert sind über das, was sie für ihr Geld teuer kaufen.

 

Im Moment profitieren Künstler und ihre Kunden noch davon, dass die Kunst in den beiden letzten Jahrhunderten dank des Museums und der Idee des öffentlichen Guts einen enormen Nimbus erlangt hat. So ist denen, die sie kaufen, sammeln und privat besitzen, immer noch große Aufmerksamkeit sicher, viele Kunstinteressierte suchen auch in den Werken, die vornehmlich für Repräsentationszwecke produziert wurden, nach spirituellen und metaphysischen Kräften – und zweifeln eher an sich als an der Kunst, wenn sie sie nicht finden, was natürlich einmal mehr denen zugutekommt, die damit repräsentieren und die so erst recht als überlegen zur Geltung kommen. Und die Künstler wissen, dass es genügt, sich in Form oder Inhalt auf irgendwelche Heroen der Klassischen Moderne zu beziehen, um das phantastische Image der Kunst preis- und renommeesteigernd für sich nutzen zu können. Ein Blick auf die Werke der aktuell erfolgreichsten Künstler zeigt, wie sehr die meisten von Bildsprachen und -effekten aus der Zeit zehren, die im Rückblick mehr und mehr als die idealistische Periode der Kunst erscheint.

Wolfgang Ullrich
Wolfgang Ullrich ist freiberuflicher Kunstwissenschaftler, lebt in Leipzig und hat gerade im Verlag Klaus Wagenbach das Buch "Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust" veröffentlicht, in dem die Thesen dieses Beitrags in einem größeren Kontext verhandelt werden
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