Sybille Linke & Kristin Bäßler - 9. Juli 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturelle Bildung & Schule

Kulturagenten für kreative Schulen


Freiräume für kulturelle Bildung in Schulen und Kultureinrichtungen

„Ein künstlerisch-kulturelles Profil entwickeln, die Partizipation aller am Schulleben Beteiligten fördern, fächerübergreifende Projekte durchführen, Kulturschaffende in die Schularbeit einbinden, das Schulgelände als Ort der Kunst nutzen“: So oder ähnlich formulierten die Schulleiter und Lehrer ihre Ziele und Wünsche, die sie mit der Teilnahme am Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“ verbinden. Über 250 Schulen haben sich im Jahr 2011 für das Programm beworben, 46 Netzwerke mit jeweils drei Schulen konnten ausgewählt werden.

 

Seither arbeiten 138 Schulen in fünf Bundesländern mit Unterstützung von 46 Kulturagentinnen und Kulturagenten daran, Freiräume für künstlerische Bildungsprozesse zu schaffen und Formate zu entwickeln, um die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur in ihrer Schule systematisch zu verankern. Neben Stundentafeln, Lehrerkonferenzen, Elternabenden, Korrekturen und Schulveranstaltungen ist das für eine Schule in Zeiten hoher Anforderungen durch Politik und Gesellschaft nicht immer leicht zu verwirklichen.

 

Als das Programm „Kulturagenten für kreative Schulen“ von der Kulturstiftung des Bundes und der Stiftung Mercator entwickelt wurde, ging es darum, Schulen und Kultureinrichtungen stärker zusammenzubringen, um Kindern und Jugendlichen die selbstverständliche Teilhabe an Kunst und Kultur in hoher Qualität zu ermöglichen. Dafür wurden Mittel für künstlerische Projekte zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus sollten nachhaltige Strukturen für Kooperationen mit Kultureinrichtungen aufgebaut werden, die die Angebote kultureller Bildung in Schulen erweitern. Mit Unterstützung von Kulturagentinnen und Kulturagenten werden Prozesse in Gang gesetzt, die die praktische und reflektierende Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur zum Bestandteil des Lern- und Lebensraums Schule machen. Kultureinrichtungen sollen bei der Verstetigung kultureller Angebote in Schulen als langfristige Partner und professionelle Impulsgeber miteinbezogen werden.

 

Um ein solches Programm in einem föderalen System umzusetzen, braucht es Verbündete. Neben den Schulministerien der fünf beteiligten Bundesländer, die sich mit einer erheblichen Ko-Finanzierung und Beratung am Modellprogramm beteiligen, speisen Fachpartner ihre langjährige Expertise im Feld der kulturellen Bildung und der Schulentwicklung in das Programm ein: Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung sowie conecco UG, Management städtischer Kultur gestalten das Programm in den Ländern aus und stellen in den so genannten Länderbüros ein Unterstützungssystem für Kulturagenten und Schulen bereit.

 

Projekte und Modellprogramme wie „Künstler und Schüler“ (1976 – 1979), „Jedem Kind ein Instrument“ (2004 – 2008) oder das Britische Programm „Creative Partnerships“ (2002 – 2006) haben gezeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Künstlern bzw. Kultureinrichtungen spezielle Rahmenbedingungen benötigt, um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen setzt das Modellprogramm einerseits auf die neuartige Funktion des Kulturagenten, der als Bindeglied zwischen den Schulen und Kultureinrichtungen fungiert; andererseits setzt das Programm auf die Kreativität der Schulen, die gemeinsam mit den Kulturagenten und Kultureinrichtungen Projektideen entwickeln und somit einen wesentlichen Einfluss auf die Ausgestaltung der künstlerischen Angebote in und außerhalb ihrer Schulen haben. Je passgenauer ein Projekt in den Schulen umgesetzt wird, desto nachhaltiger lässt es sich etablieren. Zusätzlich fließt die Expertise professioneller Künstler, Kulturschaffenden und Institutionen in Konzeption und Umsetzung der Angebote ein und sichert die künstlerische Qualität der Projekte.

 

Kulturagentinnen und Kulturagenten bearbeiten die Schnittstelle von Bildung und Kunst. Deshalb müssen sie in beiden Systemen zuhause sein. Fast alle Kulturagenten haben einen künstlerischen Hintergrund, z.B. als Schauspieler, Bildende Künstler, Bühnenbildner, Regisseure, Architekten, Autoren oder Kunstvermittler. Zudem sind sie Experten in der Arbeit mit Schulen. Aber wie genau sieht der Alltag eines Kulturagenten aus? Die Kulturagenten entwickeln gemeinsam mit den Schulen Ideen für ein fächerübergreifendes kulturelles Angebot, sie initiieren künstlerische Impulsprojekte und nehmen Kontakt zu Kultureinrichtungen und Künstlern auf, mit denen die Schulen längerfristig zusammenarbeiten möchten. Kulturagenten begleiten und moderieren alle damit verbundenen Prozesse und stoßen in den Schulen die nötige Reflexion über die Qualität der künstlerischen Angebote an. Sie benennen die erforderlichen Freiräume und sorgen gemeinsam mit Schulleitung und den kulturbeauftragten Lehrern für die strukturelle Verankerung von künstlerischen Prozessen im Schulalltag.

Um die kulturellen Anliegen der Schulen in das Lehrerkollegium hineinzutragen, hat jede Schule einen sogenannten kulturbeauftragten Lehrer benannt, der als Ansprechpartner für Kulturagenten, das Kollegium, Schülerinnen und Schüler, Eltern und die Kulturpartner Ideen, Themen und Aktivitäten bündelt. Hier laufen die Fäden zusammen. Er oder sie gewinnt Kollegen für fächerübergreifende künstlerische Projekte und die Schulleitung für schulübergreifende Veranstaltungen. Er entwickelt gemeinsam mit dem Kulturagenten Konzepte für die Zusammenarbeit mit Kultureinrichtungen und führt Gespräche mit Kunstvermittlern.

 

Diese Aufgaben erledigen sich nicht von selbst, auch sie benötigen Freiräume, vor allem aber Zeit. Mit Unterstützung der beteiligten Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen erhalten die kulturbeauftragten Lehrer ein bis zwei Freistellungsstunden pro Woche. Ohne wäre ihre Aufgabe nicht machbar, denn diese Form der kulturellen Lobbyarbeit braucht Aufmerksamkeit, Engagement und spezielles Know-how. Deshalb werden die Kulturbeauftragten mehrmals im Jahr in regionalen Qualifizierungen der Länderbüros zu den Themen Prozessbegleitung/Projektmanagement, Finanzmanagement, kreative Dokumentation, Ideenentwicklung oder Qualitätssicherung fortgebildet.

 

Nach und nach haben sich nun in den beteiligten 138 Schulen feste Gruppen von Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und Schülerinnen und Schülern zusammengefunden, die sich für die kulturelle Bildung an ihrer Schule einsetzen. Diese „Kultur-Lobby“ trifft sich regelmäßig in Kultursteuergruppen, die die Kulturagenten in den Schulen initiiert haben. An einer Hamburger Schule hat sich aus der Kultursteuergruppe eine Kulturkonferenz entwickelt, die nun vier Mal im Jahr tagt, um zu verschiedenen Themen und Leitzielen Einzelmaßnahmen, konkrete Schritte und Zeitpläne zu diskutieren und zu beschließen. Als gemeinsame Arbeitsgrundlage dient ihnen der sogenannte Kulturfahrplan. Der Kulturfahrplan, an dem die Kulturagentenschulen eineinhalb Jahre gearbeitet haben, bündelt die vielfältigen Aktivitäten der Schule im Bereich der kulturellen Bildung. In ihm werden Qualitätskriterien entwickelt und Ziele und Maßnahmen zur Umsetzung der Projekte formuliert.

 

Ihr kulturelles Schulprofil können sich viele Schulen nicht mehr ohne die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern und Kulturinstitutionen vorstellen. Zahlreiche Kooperationen wurden bereits aufgebaut, darunter unter anderem mit den Deichtorhallen Hamburg, der Kulturfabrik Kampnagel, dem Theater Baden-Baden, der Popakademie Mannheim, dem Bode-Museum Berlin, der Deutschen Oper, dem Theater Nordhausen, der Jenaer Philharmonie, den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen, der Kunsthochschule Weißensee oder dem Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen. Die Kooperationen reichen von Aufführungs-, Konzert- und Ausstellungsbesuchen, über die Konzeption gemeinsamer längerfristiger Projekte bis hin zur Entwicklung passgenauer Vermittlungsformate, wie es derzeit beispielsweise ein Berliner Schulnetzwerk aus dem Märkischen Viertel mit dem Bode-Museum erprobt.

 

Damit aber aus impulsgebenden Projekten Verstetigung erwächst, sind Kommunikation, Reflexion und eine gemeinsame Projektentwicklung wesentliche Voraussetzungen für Nachhaltigkeit. Eine intensive Verständigung darüber, was die Schule und was die Kultureinrichtung leisten kann, welche Schwerpunkte für den jeweils anderen wichtig sind und mit welchen pädagogischen und künstlerischen Vermittlungsmethoden die Kooperation umgesetzt wird, ist notwendig. Nur so können künstlerische Prozesse in Bildungsprozesse einfließen und diese verändern, nur so entstehen Freiräume für Kreativität, nur so wird Kontinuität gewährleistet. Auch in diesem Prozess fungieren die Kulturagenten als Moderatoren und „Brückenbauer“. Der Weg von ersten Projektideen hin zu verstetigten und in der Schulkultur verankerten Projekten kostet Zeit, weshalb das Programm „Kulturagenten für kreative Schulen“ auf vier Jahre angelegt ist.

 

Bildungsprozesse benötigen Zeit, Aufmerksamkeit, Mut, Expertise, Reflexion, Geduld, Neugier, adäquate Ausstattung, Forschergeist, Erfindungsgabe, spielerische ebenso wie systematische Herangehensweise, Flexibilität, Kreativität und vieles mehr. Darin ähneln sie künstlerischen Prozessen. Solche Prozesse benötigen Freiräume, die in institutionalisierten Strukturen schwer zu schaffen sind. Diese Diskrepanz ist eine kontinuierliche Herausforderung für alle, die kulturelle Bildung in Schulen fördern wollen.

 

Das Programm „Kulturagenten für kreative Schulen“ läuft noch bis 2015. Das Ziel der Kulturagenten und Schulen ist es bis dahin, Formate und langfristige Kooperationen mit Theatern, Museen, Orchestern, Opernhäusern, Jugendkunstschulen, Musikschulen, Kulturzentren und Künstlern aufgebaut zu haben, auf die sie auch nach Programmende zurückgreifen werden. Ihre Erfahrungen werden in der wissenschaftlichen Begleitforschung des Kulturagentenprogramms durch die Universität Gießen und die Universität Hildesheim evaluiert. Das im Modellprogramm generierte Wissen darüber, wie eine Schule ein kulturelles Profil entwickelt, wie man langfristige Kooperationen mit Kulturinstitutionen aufbaut und neue Wege der Kunstvermittlung in Schule und Kultureinrichtungen angeht, wird dann exemplarisch anderen Schulen und Kultureinrichtungen, aber auch Kommunen und Verbänden, zur Verfügung stehen. Die beteiligten Akteure und insbesondere die Kulturagentinnen und Kulturagenten werden dabei als Multiplikatoren zukünftig eine wichtige Rolle spielen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im November 2013.


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