Georg Kindt - 9. Juli 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturelle Bildung & Schule

Das Schulfach Musik


Allgemeines
Musikunterricht in der allgemeinbildenden Schule ist ein unverzichtbarer Bestandteil kultureller Bildung. Das Schulfach Musik als solches muss in allen Schularten und Schulstufen verbindlich im allgemeinbildenden Fächerkanon verankert sein und darf nicht zum Spielball kultur- und schulpolitischer Auseinandersetzungen experimentierfreudiger Interessengruppen werden.

 

Die Bedeutung des Faches Musik
Die Bedeutung des Musikunterrichts in der allgemeinbildenden Schule erschließt sich durch die herausragende Stellung von Musik im Leben eines Menschen jeden Alters. Musik begleitet uns zu jeder Zeit, nicht selten gegen unseren Willen, sie ist überall verfügbar und prägt unser Leben auf besondere Weise. Um einer Reizüberflutung durch Musik zu entgehen, bedarf es komplexer Kenntnisse über das Medium Musik. Je früher Musikerziehung im eigentlichen Sinn beginnt, desto besser gelingt die Vorbereitung auf einen bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit der musikalischen Umwelt.

 

Aufgaben und Ziele des Faches Musik
Ausgehend von der Erkenntnis, dass Musik für Schülerinnen und Schüler außerhalb des Schulalltags eine herausragende Rolle spielt und je nach Grad der Beschäftigung mit ihr auch den eigenen Sozialisierungsprozess prägt, kommt dem Schulfach Musik eine zentrale Bedeutung zu. In keinem anderen Schulfach prägen eigene Erfahrungen in so starkem Maße die Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem musikalischen Phänomen. Musikunterricht hat zunächst die Aufgabe, die Schülerinnen und Schüler zu erziehen, der Musik aufmerksam zuzuhören und sich mit ihr auseinanderzusetzen, um so dem rein passiven Musikkonsum entgegenzuwirken. Bei der handlungs- und erlebnisorientierten Beschäftigung mit Musik sollen Schülerinnen und Schüler etwas über sich selbst erfahren und Orientierungen gewinnen.

 

Junge Menschen haben häufig ausgeprägte Vorerfahrungen und Vorlieben für bestimmte Arten von Musik. Im Unterricht gilt es, diese Erfahrungen ernst zu nehmen, aufzugreifen und in neue Zusammenhänge zu stellen. Neben der Behandlung von Themen aus der Welt der Jugendlichen gilt es aber, die Vermittlung anerkannter kultureller Werte so einzubeziehen, dass ein nachvollziehbares Fundament musikalischer Wertvorstellungen entsteht, das den Schülerinnen und Schülern Orientierung zu geben vermag. So bewegt sich der Musikunterricht in einem sich ständig verändernden Prozess der eigenen Erfahrungen und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler und den gesellschaftlichen Ansprüchen, die sich in den allgemeinen Lehrplänen widerspiegeln.

 

Für alle Schulformen und Schulstufen gilt, den Schülerinnen und Schülern ein altersgemäßes und verständliches Spektrum musikalischer Bildung zu vermitteln. Es gilt zu beachten, dass bereits die Auswahl eines Musikstücks ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen in die Psyche der Jugendlichen voraussetzt. Es muss gewährleistet sein, dass musikalische Abläufe erfasst und verstanden werden können, damit Musikhören zum Erlebnis wird und ein musikalisches Gedächtnis entstehen kann. Die Beschäftigung mit „Peter und der Wolf“ in der Grundschule oder der „Italienischen Sinfonie“ in der Sekundarstufe II unterscheidet sich zwar grundsätzlich in der Herangehensweise und Komplexität der Fragestellung, dennoch gilt im einen wie im anderen Fall: der Hörerinnen und Hörer hat seine ureigenen Erfahrungen, die er einbringen kann, damit am Schluss das Hörerlebnis Musik zu einer ganz eigenen subjektiven Wahrnehmung führt.

 

Dass jegliche Art von Musik ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten hat und auf Ordnungen beruht, führt zu der Erkenntnis, dass die Vermittlung dieser Ordnungsprinzipien immer Bestandteil eines fundierten Musikunterrichts sein muss, ganz gleich, welcher musikalische Gegenstand im Mittelpunkt steht. Klangerfahrungen und Kenntnisse von Formen und Strukturen ermöglichen einen sachkundigen Einblick und ein besseres Verständnis in komplexe musikalische Zusammenhänge.

 

Inhalte des Musikunterrichts
Die Lehrpläne aller Schulformen und Schulstufen sind so angelegt, dass die Schülerinnen und Schüler mit den Umgangsweisen der verschiedenen Unterrichtsbereiche vertraut gemacht werden und auf diese Weise ein fundiertes Wissen zum Verstehen von Musik erwerben. Dazu gehören Gestaltungsregeln, Interpretationsfragen, geschichtliche Zusammenhänge und Funktionen von Musik. Je nach Altersstufe der Schülerinnen und Schüler werden geeignete Musikwerke ausgewählt und die Zugangsweisen modifiziert.

 

Die nachfolgende kleine Auswahl von Themen ist gut geeignet, um die Jugendlichen emotional anzusprechen und mit eigenen Erfahrungen zu konfrontieren:

 

  • Tiere in der Musik (Instrumentenkunde am Beispiel „Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saens)
  • Musik und Wasser (Händel: „Wassermusik“, Smetana: „Die Moldau“, „Aquarium“ aus „Karneval der Tiere“)
  • Nationalhymnen (z.B. „Deutschlandlied“, Charakter und Wirkung, Anlässe, vokale und instrumentale Versionen)
  • Musik mit Alltagsgegenständen (Papier, Plastikflaschen, Glas, Besen, Töpfe)
  • Musik und Malerei (Mussorgsky: „Bilder einer Ausstellung“)
  • Musik und Text (Schubert: „Erlkönig“)
  • Programmmusik (Dukas: „Zauberlehrling“, R. Strauss: „Till Eulenspiegel“)
  • Filmmusik („Club der toten Dichter“, „Forrest Gump“)

Musikpraxis
Ein besonders wichtiger Bereich des Musikunterrichts ist die regelmäßige Einbeziehung des praktischen Umgangs mit musikalischen Phänomenen. An primärer Stelle ist das Singen in allen Klassenstufen unverzichtbar. Der bewusste Umgang mit der eigenen Stimme schafft Nähe und baut Brücken. Das verfügbare Repertoire umfasst deutsche und internationale Lieder, einstimmig und mehrstimmig, traditionelle und populäre Kategorien. Eigene rhythmische Begleitungen (Klatschen, Stampfen, Body-Percussion, Rhythmusinstrumente) und die Hinzunahme einfacher instrumentaler Stimmen (Orff-Instrumente, Klavier, beliebige Instrumente) erhöhen den Ausdruckswert durch eigene Gestaltungsvarianten.

 

Seit vielen Jahren verbreitet und beliebt ist das Klassenmusizieren mit Streich- oder Blasinstrumenten, vereinzelt auch mit Keyboards. Dieses musikpraktische Angebot wird i.d.R. in der Erprobungsstufe (Jahrgang 5 und 6) durchgeführt und findet an Stelle des regulären Musikunterrichts statt. Ein Vorteil dieses musikpraktischen Unterrichts ist die Möglichkeit, schon früh ein Instrument zu erlernen und das Zusammenspiel in der Gruppe zu pflegen. Ensemblespiel macht Schülerinnen und Schülern viel Spaß und die intensive Beschäftigung mit Musik ganz unterschiedlicher Stilrichtungen bewirkt, dass die eigene Lebenswelt immer wieder neu erfahren wird. Ein Nachteil ist, dass die anderen wichtigen Aspekte des regulären Musikunterrichts (s.o.) in dieser Zeit entweder überhaupt nicht oder nur am Rande behandelt werden können.

 

Schließlich werden an vielen Schulen in Deutschland Musik-Arbeitsgemeinschaften angeboten, die allerdings selten in den normalen Unterrichtsablauf integriert werden können, sondern wegen des Prinzips klassenübergreifender Organisation außerhalb der allgemeinen Schulzeit stattfinden müssen. In Chören, Instrumentalensembles, Bands, Musical-AGs und AGs für Neue Musik können interessierte Schülerinnen und Schüler ihr musikalisches Hobby je nach Zeit und Lust pflegen. Ein nicht unerheblicher Eingriff in die vielfältige AG-Landschaft erfolgte durch die Umstellung auf die 8-jährige Schulzeit. Wenn der reguläre Unterricht bis in den späten Nachmittag stattfindet, besteht einerseits kaum zeitlicher Spielraum für AG-Angebote, andererseits nehmen nicht mehr so viele Interessenten daran teil, da sie dann noch weniger Zeit für ihre privaten Aktivitäten haben, wozu nicht selten auch der Sport gehört. Um die entstandenen Probleme zu lösen und die Musik-AGs zu retten, müssen neue Wege gesucht und gefunden werden. Die Einführung von Projekttagen an Wochenenden hat sich mancherorts bereits bewährt.

 

Fachlehrer Musik – fachfremder Unterricht
Seit Jahrzehnten besteht ein eklatanter Mangel an ausgebildeten Musiklehrerinnen und Musiklehrern in der Grundschule. Der Unterricht wird mit bis zu 80% fachfremd erteilt. Dabei wäre es gerade in diesem Kindesalter besonders wichtig, einen qualifizierten Musikunterricht zu erhalten, werden doch in dieser Zeit wichtige Weichen in der Persönlichkeitsentwicklung gestellt. In den Studiengängen hilft man sich z.T. mit dem Zusammenlegen von künstlerisch-musischen Fächern, was aber an der Mangelsituation nichts ändert, da die Studentinnen und Studenten in keinem der betroffenen Fächer eine solide und grundständige Ausbildung erhalten.

 

Die Situation in den weiterführenden Schulen ist sehr unterschiedlich, verlässliche Zahlen sind nicht mehr aktuell, wenn sie veröffentlicht werden. Auf diese Weise ist ein aktueller Bedarf schwer zu ermitteln. Viele Faktoren sind verantwortlich für die uneinheitliche Lehrerversorgung: Pensionierungen führen oft zu Engpässen, die teilweise erst nach einigen Jahren durch Neueinstellungen ausgeglichen werden können. Auch Standortfragen spielen keine unerhebliche Rolle (Schulen in attraktiven Großstädten können wegen besserer Infrastruktur leichter versorgt werden). Schulen mit musischem Schwerpunkt werden von jungen Lehrerinnen und Lehrern bevorzugt ausgewählt, da sie hier bessere Chancen für eine vielseitige musikalische Betätigung sehen.

 

Um den Fachlehrermangel zu lindern, sind schon viele Versuche unternommen worden. So wurden Weiterbildungsmaßnahmen für Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer sowie Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker angeboten, die sich jedoch alle als wenig geeignet darstellten, die solide und vielseitige pädagogische und künstlerische Ausbildung der Schulmusikerinnen und Schulmusiker auch nur annähernd zu erreichen. Die bessere Alternative ist: in den Schulen und Musikschulen früh anzufangen, junge Menschen für den Musiklehrerberuf zu begeistern. Die Hochschulen und Universitäten bieten eine attraktive Ausbildung auf hohem Niveau, das ist eine hervorragende Voraussetzung für einen guten Start in ein sicheres Berufsfeld.

 

Zukünftige Anforderungen an das Schulfach Musik
Die Schullandschaft unterliegt einem ständigen Wandel durch immer wieder neue Verordnungen und Bestimmungen. Da ist das Unterrichtsfach Musik genauso betroffen wie alle anderen Fachbereiche. Die gültigen Rahmenrichtlinien sind so angelegt, dass sie nur einen relativ beschränkten Anteil an obligatorischen Inhalten festlegen. Das bedeutet, dass die Musiklehrerinnen und Musiklehrer für einen Teil ihres Unterrichts zwar die allgemeinen Richtlinien beachten müssen, aber bei der Wahl weiterer Inhalte eigene Vorlieben einbringen können. Außerdem bleibt ausreichend Freiraum, um auf aktuelle Beispiele der Musik und auf spezielle Wünsche der Schülerinnen und Schüler einzugehen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im November 2013.


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