Digitale Entwicklungen und Chancen im Bereich der kulturellen Bildung
Digital ist besser?! Zehn Thesen, warum die neuen Medien eine Chance für das Lesen sind
Die gute Nachricht gleich zu Beginn: Im digitalen Zeitalter wird gelesen. Andauernd und überall – auf Facebook und WhatsApp, beim Spielen von „League of Legends“ oder beim Surfen im Netz. Die neuen Medien sind also nicht das Ende der Lesekultur, sondern eine große Chance – auch oder gerade weil Lesen nicht mehr nur in Büchern stattfindet.
1. Digitales Lesen ist die Zukunft
Das Lesen in und mit elektronischen Lesemedien prägt schon heute den Alltag von Kindern und Jugendlichen – insbesondere das informelle Lesen bei der Nutzung von Social Media, beim Computerspielen oder dem Surfen im Internet. Es wird immer mehr an Bedeutung gewinnen. Bevorzugen bislang noch viele Menschen das Lesen von gedruckten Büchern, findet das digitale Lesen an Bildschirmen und auf mobilen Endgeräten bei den jüngeren Generationen immer mehr an Akzeptanz. Durch neue Textformen und crossmediales Geschichtenerzählen, das auf verschiedenen Plattformen Text, Film und Ton einsetzt und diese mit interaktiven Spielelementen und Echtzeiterlebnissen verbindet, wird sich das Leseverhalten und unser Verständnis vom Lesen langfristig verändern.
2. Im digitalen Zeitalter ist Lesen mehr denn je eine Schlüsselqualifikation
Um Medien kompetent nutzen und sich digitale Inhalte erschließen zu können, ist Lesefähigkeit zentral. Trotz audiovisueller Angebote und sprachgesteuerter Anwendungen basiert das Netz noch weitestgehend auf schriftlichen Informationen, die man sich nur lesend erschließen kann. Auch für viele komplexe Computerspiele ist es erforderlich, Einführungen und Erläuterungen zu lesen, um erfolgreich zu spielen. Doch neben der Fähigkeit zu lesen bedarf es in der digitalen Welt weiterer Kenntnisse: Aufgrund des unbegrenzten Zugangs zu Informationen ist es gerade bei der Nutzung digitaler Angebote relevant, diese recherchieren, filtern und bewerten zu können. Dafür ist Informationskompetenz erforderlich und der souveräne Umgang mit Medien und Technik. Da immer mehr Bildungs- und Informationsangebote ins Digitale verlagert werden, ist es im Sinne der Chancengleichheit und Teilhabegerechtigkeit geboten, hier entsprechende Zugänge zu ermöglichen und Fähigkeiten zu vermitteln.
3. Digitales Lesen ist anders
Die digitalen Medien stellen an die Lesekompetenz eigene Herausforderungen. Das Lesen am Rechner oder auf dem E-Reader funktioniert anders als das Lesen eines gedruckten Mediums. Es
bietet über Hyperlinks mehr Ausstiegsmöglichkeiten, ist weniger konzentriert, selektiver und meist nicht linear. Die digitalen Texte sind kürzer und enthalten mehr Bilder und Grafiken. Informationen müssen in den neuen Medien anders aufbereitet werden. Dennoch ist es wenig zielführend, dies zu qualitativ zu bewerten und digitales Lesen als weniger wertvoll anzusehen. Vielmehr erfordern die „neuen“ und „alten“ Medien unterschiedliche Techniken. Jeder Zugang zum Lesen sollte genutzt werden, wenn er aus Nichtleser/innen Leser/innen macht. Wichtig ist, dass es mehr anspruchsvolle digitale Angebote gibt, die Nicht- und Wenigleser/innen ansprechen und Wege zu intensiverem Lesen eröffnen.
4. Die neuen Medien bieten ein großes Potential, die Lesemotivation zu steigern
Gerade mit informellen digitalen Angeboten werden auch diejenigen erreicht, die bislang nicht gerne lesen und den Umgang mit Büchern eher scheuen. Insbesondere für Kinder und Jugendliche sind digitale Medien reizvoll. Social Media prägen ihre Kommunikation und ihr Sozialleben. An ihnen kann man nur partizipieren, wenn man lesen und schreiben kann. Wenn so deutlich wird, das Lesen Spaß macht, den eigenen Interessen dient und bereits selbstverständlicher Teil des eigenen Alltags ist, fördert das die Lust zu lesen und weckt im besten Falle auch das Interesse an weiteren Inhalten und Texten. Denn digitales Lesen ist cool und weit entfernt vom Klischee des blassen Bücherwurms.
5. Digitales Lesen kann ein Gewinn sein
Digitale Medien können Inhalte ganz anders aufbereiten und darstellen. Gute Angebote können einen Mehrwert gegenüber dem Lesen gedruckter Medien bieten, indem sie die Kreativität des Lesers bzw. der Leserin fördern, diesen einbeziehen und zum Mitmachen animieren. So bieten insbesondere mixed media vielfältige Möglichkeiten, Inhalte fesselnd zu präsentieren. Beispielsweise Bilderbuch-Apps, die zur Mitgestaltung der Geschichte einladen oder in die Spiele integriert sind, die zusätzliche Zugänge zum Inhalt des Buches eröffnen. Das hilft insbesondere schwächeren Leser/innen, die sich so unterstützt eine Geschichte einfacher erschließen können. Aber auch für anspruchsvolle und professionelle Leser/innen bietet digitales Lesen einen Mehrwert: das vernetzte Lesen und der Austausch mit anderen Leser/innen in Social-Reading-Plattformen ermöglicht ihnen, sich über ihr Leseerlebnis auszutauschen, es einfach zu dokumentieren und Teil eines breiteren Diskurses über Literatur zu werden, der nicht lokal gebunden ist.
6. Digitales Lesen braucht gute mediale Angebote
Die Akzeptanz dieses neuen Zugangs und des damit verbundenen Imagewandels birgt großes Potenzial, mehr Menschen für das Lesen und für Bücher zu begeistern. Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die E-Books lesen, auch mehr gedruckte Bücher lesen. Allerdings bedarf es dafür sowohl inhaltlich als auch technisch gut gemachte Angebote, die die neuen Möglichkeiten des Geschichtenerzählens ausschöpfen und nutzerfreundlich aufbereiten. Nicht alles, was auf dem digitalen Lesemarkt vorhanden wird, ist qualitativ hochwertig und empfehlenswert für die Leseförderung. Die Stiftung Lesen hat in ihrem Positionspapier zum digitalen Lesen hilfreiche Kriterien für gute Lesemedien entwickelt – von Zielgruppeneignung über Jugendschutzvorgaben und Bedienbarkeit bis hin zu Anforderungen an Multimedialität und der Einbindung interaktiver Elemente.
7. Für die Leseförderung sind digitale Medien eine Chance
Leseförderung funktioniert dann, wenn sie sich an dem Mediennutzungsverhalten der Lesemuffel orientiert und Freude am Lesen weckt. Dabei sollte jeder Zugang zum Lesen gefördert werden. Nichtleser/innen verbinden mit Lesen und Büchern meist Lernzwang und Schule, etwas auf das sie keine Lust haben und was sie im Zweifel schlecht können. Das Lesen von Texten bereitet vielen Schwierigkeiten, die wenig geübt sind. Der Zugang zu Büchern bleibt ihnen so versperrt. Ihr tägliches informelles digitales Lesen ist ihnen als solches nicht bewusst. Hier anzusetzen und zu vermitteln, dass Lesen sich mit vielem verbindet, was sie interessiert, bietet großes Potential, die Lesemotivation zu steigern und Selbstbewusstsein in Bezug auf die eigene Lesefähigkeit aufzubauen. Gleichzeitig machen gute digitale Lesemedien viel Spaß und bieten einen leichten, spielerischen Einstieg. Zeitgemäße Leseförderung muss hier ansetzen und entsprechende Vermittlungsformate entwickeln und anbieten.
8. Bildungs- und Kultureinrichtungen kommt eine Schlüsselrolle zu
Schulen aber auch Bibliotheken und andere Kultureinrichtungen müssen sich auf die Entwicklung einstellen und neuen Medien sinnvoll in ihre Bildungsarbeit integrieren. Denn digitale Angebote der kulturellen Bildung erreichen Kinder- und Jugendliche dort, wo sie sich ohnehin aufhalten und können ohne Schwellenangst informell genutzt werden. Erfolgreich sind diese Angebote dann, wenn sie von der Zielgruppe her gedacht sind und die digitalen Möglichkeiten auf der Höhe der Zeit einsetzen. Dafür bedarf es neben der Offenheit für die neuen Entwicklungen entsprechend ausgebildeten Personals, das über Kenntnisse im Bereich Leseförderung, Medienpädagogik und Informationskompetenz verfügt sowie die nötige technische Infrastruktur.
9. Für digitale kulturelle Bildung braucht es Investitionen
Gute digitale Angebote kosten Geld. Verlage müssen investieren und Nutzer/innen müssen bereit sein, einen angemessenen Preis zu zahlen. Damit öffentliche Einrichtungen digitale kulturelle Bildung umsetzen können, müssen ihre Träger die hierfür benötigten Ressourcen bereitstellen. Förderprogramme können helfen, hier entsprechende Impulse zu setzen. So fördert der Deutsche Bibliotheksverband e.V. in Zusammenarbeit mit der Stiftung Digitale Chancen in seinem Projekt „Lesen macht stark: Lesen und digitale Medien“ von 2013 bis 2017 außerschulische Maßnahmen der digitalen Leseförderung für Kinder und Jugendliche. Die Mittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ helfen, Projekte zum digitalen Lesen bundesweit anzustoßen. Für ein nachhaltiges Engagement
und eine Qualitätsentwicklung in der digitalen kulturellen Bildung müssen allerdings langfristig wirksame Konzepte erarbeitet und Strukturen geschaffen werden, die größere Investitionen erforderlich machen.
10. Digitales Lesen braucht einen sicheren rechtlichen Rahmen
Die jüngsten Skandale zur Überwachung digitaler Kommunikation machen deutlich, dass bei der Nutzung neuer Medien Fragen des Datenschutzes zentral sind. Bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen steht auch in der digitalen Welt der Jugendschutz an erster Stelle. Im Rahmen digitaler Leseförderung können und müssen Eltern und Kinder für den Umgang mit den neuen Medien sensibilisiert werden. Für die Vermittlung von Digital Literacy sind schulische und außerschulische Einrichtungen gefragt.
Bricht also ein neues Zeitalter an? Digitales Lesen wird die Lesekultur verändern, aber nicht ihr Ende sein. Wenn man bereit ist, die hierin liegenden Potentiale zu sehen und diese aktiv zu gestalten – durch kluge Konzepte und interessante Angebote der unterschiedlichen Akteure im Bereich der Leseförderung und Literaturvermittlung – wird das digitale Lesen mit seinen neuen Möglichkeiten des Schreibens, Erzählens und Gestaltens eine Bereicherung für die Leser/innen sein. Und mehr Menschen denn je zu solchen machen. Eine schöne Aussicht!
Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im März 2015.
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