Ursula Lenz - 6. Juli 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturelle Bildung digital

Digitale Angebote und Lernplattformen für ältere Menschen


1959, als ich Schülerin einer Zwergschule in der Eifel war, in der mein Vater bis zu 60 Kinder vom 1. bis zum 8. Schuljahr in einem Raum unterrichtete, gehörten Sprichwörter wie „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ noch zum alltäglichen Sprachschatz. Als 62-Jährige freue ich mich, dass es so nicht stimmt.

 

Selbstverständlich ist es sinnvoll, die besondere Plastizität des Gehirns kleiner Kinder, ihre unbändige Wissbegier und ihre Lernfreude zu nutzen. Und es bezweifelt niemand, dass es für Kinder und ihre Entwicklung wichtig ist, bereits in den ersten Lebensjahren nicht nur kognitive Kompetenzen, sondern auch soziale Fähigkeiten zu erwerben. Aber es ist gut zu wissen, dass die Fähigkeit, sich neues Wissen anzueignen, nicht auf Kindheit und Jugend begrenzt ist. Dies haben zahlreiche Untersuchungen, insbesondere der Gerontologie und der Geragogik, eindeutig nachgewiesen und viele wissensdurstige und bildungshungrige ältere Menschen bestätigen es.

 

Lebenslanges Lernen
In einer Gesellschaft des langen Lebens, die außerdem durch eine rasante Entwicklung – nicht nur in technologischer Hinsicht – gekennzeichnet ist, hat das Lernen eine große Bedeutung. Wollen Menschen auch im Alter möglichst selbstständig leben und gesellschaftlich integriert sein, dann ist das lebenslange Lernen ein Muss. Aber Lernen, sich bilden ist viel mehr: Es trägt zum gesundheitlichen Wohlbefinden bei – für die meisten besonders dann, wenn sie nicht nur im stillen Kämmerlein „büffeln“, sondern gemeinsam mit anderen, die ebenso wissbegierig sind.

 

In den letzten Jahren haben sich für das gemeinsame Lernen – wenn auch nicht an einem Ort – zahlreiche neue Möglichkeiten ergeben, die zunehmend von älteren Menschen genutzt werden. Allerdings ist die Gruppe der über 70-Jährigen, was die Internetnutzung angeht, noch deutlich unterrepräsentiert. Um denjenigen, die dem Internet durchaus positiv gegenüber stehen und auch seine Chancen sehen, Ängste zu nehmen und den Einstieg zu erleichtern, hat die BAGSO mit Unterstützung des Bundesverbraucherministeriums den „Wegweiser durch die digitale Welt“ herausgegeben, der seit 2007 eine ungebrochen große Nachfrage erlebt.

 

Projekte wie die „Senioren Technik Botschafter – Wissensvermittlung von Älteren an Ältere zu neuen Informations- und Kommunikationstechnologien“ und die „Sprechstunde Internet“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros zielen in die gleiche Richtung, das heißt, sie vermitteln die Kompetenz, das Internet sinnvoll, kritisch und sicher zu nutzen.

 

Studien zeigen, dass ältere Menschen das Internet an erster Stelle nutzen, um über E-Mails Kontakte zu ihrer Familie, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zu pflegen, gefolgt von der Suche nach Informationen, um etwas über bestimmte Krankheitsbilder und Therapien zu erfahren,

Reisevorbereitungen zu treffen, aktuelle Nachrichten zu lesen oder im virtuellen Lexikon etwas nachzuschlagen. Darüber hinaus besuchen sie spezielle Plattformen, die der Unterhaltung, Information und dem Austausch mit Gleichaltrigen und Gleichgesinnten dienen. So hat feierabend.de, der Online-Dienst für Seniorinnen und Senioren, eine stetig wachsende Fan-Gemeinde. Interessant ist, dass bereits nach kurzer Zeit bei vielen Mitgliedern der Wunsch auftauchte, die virtuellen Kontakte dahin gehend zu erweitern, dass man sich in der realen Welt trifft, um gemeinsam etwas zu unternehmen. So sind inzwischen bundesweit 112 Regionalgruppen entstanden.

 

Insbesondere älteren Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind oder die in kleineren Orten leben, in denen es zum Beispiel keine Bibliothek, aber auch keine Seniorenberatungsstelle gibt, bietet das Internet hervorragende Möglichkeiten, sich zu informieren. Sie können in Vorbereitung einer Reise einen virtuellen Rundgang durch ein Museum machen, sich auf der Internetseite der Städte, die auf dem Reiseplan stehen, schon im Vorfeld Fahrpläne der Bahnen und Busse herunterladen. Es ermöglicht aber auch, Genaues über die Leistungen der Pflegeversicherung zu erfahren, ausfindig zu machen, welche Beratungs- und Entlastungsangebote es gibt, und sich mit Problemen, die sich aus der Pflege von Angehörigen ergeben, an ein geschultes Team zu wenden, von dem man innerhalb von 24 Stunden per E-Mail eine Antwort erhält.

 

Insofern sind diese Internetseiten, die den Menschen wichtige Informationen bieten, auch Lernplattformen. Es gibt jedoch auch solche, die nicht nur Auskünfte erteilen, sondern darüber hinaus Raum geben zum Austausch über das, was man erfahren, gelesen, gelernt hat. Das sind zum Beispiel Ringvorlesungen, die den Hörsaal sozusagen ins Wohnzimmer bringen, in die man sich einklicken, zu denen man Fragen stellen und über die man diskutieren kann. Sind diese Nutzungsformen zurzeit noch eher auf diejenigen begrenzt, die in einen Zirkel besonders interneterfahrener Seniorinnen und Senioren eingebunden sind, so wird sich das in den nächsten Jahren mit der Generation der Älteren, die PC und Internet bereits intensiv im Beruf genutzt haben, ändern.

Aus der Vielzahl der inzwischen existierenden Lernplattformen seien die Angebote zweier Verbände, die der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) angehören, dargestellt:

 

Virtuelles und reales Lern- und Kompetenz-Netzwerk älterer Erwachsener – ViLE e.V.
Der Verein wurde bereits 2002 von Seniorinnen und Senioren sowie Mitarbeitenden in Weiterbildungsinstitutionen gegründet, um es an Weiterbildung interessierten älteren Menschen zu ermöglichen, auf den verschiedensten Interessensgebieten zusammenzuarbeiten, sich gegenseitig zu unterstützen und ihre Kompetenzen anderen zur Verfügung zu stellen. Die neuen Techniken werden genutzt, um an gesellschaftlichen Entwicklungen teilzuhaben, aber auch, um sie kritisch zu begleiten. Das LernCafe ist das erste deutsche Online-Journal für bildungsinteressierte Seniorinnen und Senioren. Die ausschließlich über das Internet kooperierende Redaktion besteht aus circa 25 ehrenamtlich arbeitenden älteren Menschen aus ganz Deutschland, die Spaß am Recherchieren, Schreiben und Redigieren haben. Jede Ausgabe des viermal jährlich erscheinenden Magazins steht unter einem Schwerpunktthema, auf das sich die Redakteurinnen und Redakteure geeinigt haben wie „Frauenbilder“, „Deutsche Nachkriegsliteratur“, „Kleider machen Leute“, „Kulturraum Europa“ und „Alter(n) – eine Herausforderung“. Sie recherchieren, was es dazu an interessanten Webangeboten und Projekten gibt. Für jede Ausgabe gibt es eine andere „Chefredaktion“. 2011 erhielt das Angebot im Wettbewerb „Deutschland – Land der Ideen“ einen Preis als einer der „365 Orte im Land der Ideen“. Die aktuelle Ausgabe sowie das Archiv mit allen früheren Ausgaben sind unter www.lerncafe.de zu finden, außerdem kann das kostenlose LernCafe unter abo@lerncafe.de bestellt werden.

 

Senioren-Lernen-Online
Auch die ehrenamtlich von Seniorinnen und Senioren organisierte Plattform hat sich dem lebenslangen Lernen unter Nutzung des Internets verschrieben und bietet Workshops, Stammtische und Einzelhilfen an. Die Treffen finden nur virtuell statt, wobei zum Beispiel SKYPE und Google HANGOUTS für die Kommunikation genutzt werden, zurzeit experimentieren die Online-Senioren mit FUZE, einem neuen kostenfreien Interaktionsprogramm.

 

Die Angebote werden nach dem folgenden Konzept organisiert:

 

1. Inhalt: Die Teilnehmenden erhalten Informationen (Texte, Musterbilder, Videos usw.), die sie zu Hause im Selbststudium bearbeiten.

 

2. Kommunikation: Die Mitmachenden erhalten online Unterstützung durch Tutorinnen und Tutoren.

 

3. Aufgaben: Da Lernen nicht nur Lesen und Diskutieren bedeutet, enthalten alle Angebote Übungen und/oder praktische Aufgaben.

 

Einer der Stammtische „Kunst – surfen, betrachten, diskutieren“ trifft sich monatlich, um berühmte Museen, große Kunstwerke und die Schätze des europäischen Kulturerbes gemeinsam im Internet aufzusuchen und sich darüber auszutauschen. 2012 erhielt Senioren-Lernen-Online bei dem von der Deutschen Telekom durchgeführten Wettbewerb „Internet: Keine Frage des Alters!“ in der Kategorie „Angebote im Netz“ für das Kunstsurfen den 1. Preis.

In dem Stammtisch „Wie geht das? – Wir testen, diskutieren, helfen“ findet ein Erfahrungsaustausch über Windows-Computer und Internet statt. Dabei kommen sowohl Fragen zu Online-Office, Online-Bildbearbeitung und Online-Videobearbeitung zur Sprache als auch Themen wie Weblogs, Podcasts, Twitter usw. Der Stammtisch „Mobile Web“ dient in erster Linie dem Erfahrungsaustausch mit Smartphones und Tablets. Das neueste Angebot: ein Englisch-Workshop, der Gelegenheit bietet „fast Vergessenes zu erinnern und lange nicht Praktiziertes zu üben“ und sich so zum Beispiel auf eine Reise vorzubereiten. Diese Form des Lernens – zunächst zu Hause, wenn man Ruhe und Lust hat, im eigenen Tempo und mit so vielen Wiederholungen, wie man braucht, dann im fachlich begleiteten Austausch mit anderen – hat sich auch in der Arbeit mit älteren Menschen bewährt.

 

LernHaus – Nie zu alt zum Lernen
In einem Modellprojekt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit 13 Mehrgenerationenhäusern (MGH) wurde das Lernen mit Hilfe einer Lernplattform, LernHaus genannt und auf die Rahmenbedingungen vor Ort zugeschnitten, erprobt und evaluiert. Das Resultat war überaus positiv: Von 255 Seniorinnen und Senioren, die an dem Kurs teilnahmen, haben ihn 254 erfolgreich abgeschlossen. Das LernHaus steht nun allen MGH zur Erweiterung ihres Portfolios zur Verfügung.

Unsere Erfahrung in der BAGSO – aus vielen Gesprächen sowie Mails und Briefen, die wir erhalten: Haben Ältere einmal den vielfältigen Nutzen des Internets erfahren, erlebt, wie hilfreich es auch bei der Bewältigung der kleineren und größeren Probleme des täglichen Lebens ist und dass Lernen online Spaß macht, dann ist ihre Begeisterung so groß, dass sie selbst die wohl unvermeidlichen technischen Tücken des WWW in Kauf nehmen. Oder sich auf einer Lernplattform schlau machen, wie man damit umgeht.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im März 2015.


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