Ohne Gerechtigkeit keine Zukunft

Deutschland muss seinen verbliebenen Kolonialbesitz zurückgeben

Das zivilgesellschaftliche Bündnis „DECOLONIZE Berlin“ begrüßt die aktuellen „Vorschläge zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ des Deutschen Kulturrates zu der von uns seit Langem geforderten öffentlichen Debatte über Deutschlands Besitz von Objekten sowie von menschlichen Gebeinen und anderen Körperteilen Kolonisierter. Wir erkennen an, dass der Deutsche Kulturrat hierbei „nicht allein die Sammlungen im Humboldt Forum, sondern viele Museen sowie einige Bibliotheken und öffentliche, private sowie universitäre Sammlungen“ und auch den privaten Handel in der Verantwortung sieht, der noch immer die Köpfe Kolonisierter zum Kauf anbietet.

 

Sehr zu begrüßen ist die Forderung, die Provenienzforschung an Objekten und sterblichen Überresten „energisch“ zu betreiben und für maximale „Transparenz“ zu sorgen, wobei dieses unserer Meinung nach nicht durch die besitzstandswahrenden Sammlungen selbst, sondern nur durch unabhängige transnationale Forschungsteams gewährleistet werden kann. Schließlich halten auch wir ein von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden erarbeitetes Gesamtkonzept zur Dekolonisierung der Bundesrepublik für wünschenswert – allerdings nur dann, wenn Nachkommen Kolonisierter im In- und Ausland maßgeblich an seiner Erstellung beteiligt sind.

 

Koloniale Kontexte sind immer „problematisch“

 

In entscheidenden Punkten stimmen wir als Aktionsbündnis, das wesentlich vom Engagement und von den Perspektiven afrikanischer bzw. schwarzer Menschen geprägt ist, mit dem Deutschen Kulturrat jedoch nicht überein. Zwar teilen wir die Ansicht, dass ein kolonialer Kontext nicht nur bei den zahlreichen Objekten und menschlichen Überresten gegeben ist, die aus Gebieten stammen, welche unter deutscher Kolonialherrschaft standen. Den Besitz von Hunderten Benin-Bronzen, die 1897 im britischen Kolonialgebiet geplündert wurden, halten wir für genauso problematisch wie Baden-Württembergs langjährigen Anspruch auf das erbeutete Privateigentum Hendrik Witboois, das erst vor wenigen Tagen an Namibia zurückgegeben wurde. Diese begründete Erweiterung der Kategorie „Kolonialkontext“ darf vom Deutschen Kulturrat jedoch nicht zu ihrer vollständigen Aufweichung genutzt werden. Seine vom Deutschen Museumsbund übernommene Differenzierung im Sinne der Behauptung, dass „ein kolonialer Kontext von Sammlungsgut nicht automatisch eine problematische Herkunft bedeutet“, bagatellisiert das kolonialrassistische Unrechtssystem.

 

Das Wort „Sammlungsgut“ ist ein eurozentrischer Euphemismus

 

Kurzgefasst bezeichnet Kolonialismus ein rassistisch, kulturell und/oder religiös legitimiertes und von einer landesfremden Minderheit mit Gewalt durchgesetztes Herrschaftsverhältnis. Im Machtbereich eines Kolonialregimes hat es entsprechend ein ethisch unproblematisches „Sammeln“ nicht gegeben. Natürlich hat jedes menschliche Haupt und jedes Objekt Kolonisierter in deutschen Museums- und Universitätsdepots seine eigene Herkunftsgeschichte. In den europäischen Kolonien wurde nicht nur gestohlen, erpresst und geplündert. Ein Teil des deutschen Kolonialbesitzes geht auch auf Tausch, Kauf oder Schenkung zurück. Aber ist denn beispielsweise das »Sammeln« von 200 menschlichen Schädeln, die ruandische Kinder gegen den Willen ihrer Gemeinschaft der „Deutschen Zentral-Africa-Expedition“ für einige Glasperlen überließen, als fairer „Tausch“ zu bezeichnen? Kann denn der nach langjährigem Druck durch das Kolonialregime an den deutschen Kaiser gesandte Thron des Königs Njoya aus Kamerun tatsächlich als eine unproblematische „Schenkung“ betrachtet werden? Die Gebeine der Ahnen, die heiligen Statuen und rituellen Masken der Kolonisierten wurden nicht „gesammelt“. Die im Kolonialkontext agierenden Militärs, Beamten, Missionare, Forscher und Händler nutzten ihre Machtpositionen, um sich anzueignen, was von Wert und Interesse schien.

 

Es braucht ein verbindliches und effektives Restitutionsgesetz

 

Entsprechend kann es jetzt auch nicht die Aufgabe der Kulturministerkonferenz sein, aus der Position legitimer Eigentümer heraus intern über den weiteren „Umgang“ mit menschlichen Gebeinen und Objekten Kolonisierter zu beraten. Vielmehr muss nun unter maßgeblicher Einbeziehung ihrer Nachkommen im In- und Ausland ein transparentes und effektives Verfahren entwickelt werden, das eigentumsrechtliche und wenn gewünscht auch physische Rückgaben an die Herkunftsstaaten und/oder -gemeinschaften gewährleistet. Der auf das subsaharische Afrika beschränkte Bericht und die Empfehlungen von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy sollten als Grundlage der Rückgaberegelungen für Deutschlands verbliebenen Kolonialbesitz genutzt werden. Dabei steht die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) als bundesunmittelbare Institution in besonderer Verantwortung und wegen der anstehenden Eröffnung des Humboldt Forums auch unter einem besonderen Erwartungsdruck. Ihrem Stiftungsrat fällt daher die Aufgabe zu, durch die zeitnahe Rückgabe „ihrer“ mehr als 1.000 menschlichen Gebeine aus Ruanda und Tansania sowie der seit Langem zurückgeforderten Benin-Bronzen aus Nigeria ein Zeichen zu setzen, das die Welt von Deutschlands aufrichtigem Bemühen um postkoloniale Gerechtigkeit überzeugt. Die niederländischen Staatsmuseen haben die Rückgabe „ihrer“ Benin-Bronzen bereits angeboten. Auch die SPK wäre gut beraten, das zu realisieren, bevor das Humboldt Forum im Palast der deutschen Kolonialherrscher eröffnet wird.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2019.

Mnyaka Sururu Mboro, Tahir Della und Christian Kopp
Mnyaka Sururu Mboro, Tahir Della und Christian Kopp sind Sprecher des NGO-Bündnisses "DECOLONIZE Berlin".
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