Gabriele Schulz - 25. Februar 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kolonialismus-Debatte

Eine Debatte hat begonnen


Bericht zur Bundestagsdebatte zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Am 21. Februar fand im Plenum des Deutschen Bundestages eine Debatte zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten statt. Grundlagen waren der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Zur kulturpolitischen Aufarbeitung unseres kolonialen Erbes“ (Drucksache 19/7735) und die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der AfD-Fraktion „Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe in Museen und Sammlungen“ (Drucksache 19/3264 und Drucksache 19/6539). Fast alle Rednerinnen und Redner unterstrichen, dass diese Bundestagsdebatte erst der Anfang einer intensiven Befassung mit dem Thema sein kann und weitere Beratungen im Ausschuss für Kultur und Medien, im Deutschen Bundestag und in der Gesellschaft folgen müssen.

 

Kirsten Kappert-Gonther, MdB (Bündnis 90/Die Grünen) bescheinigte der deutschen Gesellschaft eine koloniale Amnesie. Sie bezeichnete den Kolonialismus als ein verdrängtes Kapitel der deutschen Geschichte, das unter anderem darauf zurückzuführen sei, dass viele meinen, Deutschland habe nur eine unbedeutende Kolonialgeschichte. Sie lobt, dass die Regierungskoalition im Koalitionsvertrag vereinbart hat, den Kolonialismus aufzuarbeiten, kann aber derzeit nur wenige Handlungen erkennen. Kappert-Gonther unterstrich, dass die Rückgabe von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten ein Bestandteil der Debatte sei, der aber längst nicht ausreiche. Demut und Dialog sind ihres Erachtens gefordert und kein Moralismus. Als wesentlich erachtete sie, einen sichtbaren Ort als Stätte des Lernens und Erinnerns an den Kolonialismus unabhängig vom Humboldt Forum zu schaffen. Die Debatte um den Umgang mit der Vergangenheit muss ihrer Ansicht nach in Zukunft auf Augenhöhe mit den Ländern des globalen Südens geschehen.

 

Auch Ansgar Heveling, MdB (CDU/CSU) forderte einen Dialog. Bestandteile dieses Dialoges sind seines Erachtens eine verstärkte kulturelle Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten, ein vermehrter Austausch mit den Herkunftsgesellschaften und die Digitalisierung von Museumsbeständen. Er erinnerte daran, dass im Leitfaden des Deutschen Museumsbundes zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten herausgearbeitet wurde, dass unterschiedliche Museen und Sammlungen vom Thema betroffen sind, und die Debatte nicht auf ethnologische Sammlungen verkürzt werden darf. Ebenso sei, so Heveling, nicht allein der Bund, sondern auch die Länder und Kommunen gefordert. Er ist der Idee einer Erinnerungsstätte an den Kolonialismus gegenüber nicht abgeneigt, sieht das aber nicht als ersten Schritt. Heveling führte an, dass im Haushalt 2019 erstmals ein eigener Etat für die Provenienzforschung zu diesem Sammlungsgut im Deutschen Zentrum Kulturgutverluste bereitsteht und seit Oktober letzten Jahres eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu dem Thema tagt, die sich auf mit der Rückgabe von Kulturgut einhergehenden rechtlichen Fragen befasst. Weiter erwartet er Aufschlüsse aus der zweiten Fassung des erwähnten Leitfadens des Deutschen Museumsbundes, der in Zusammenarbeit mit internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erstellt wird.

 

Marc Jongen, MdB (AfD) befürchtet, dass die Bundesregierung Museen und Sammlungen zur Rückgabe von Sammlungsgut bewegen will und sieht in dieser Rückgabe den Anfang vom Ausverkauf des Landes. Seines Erachtens wird im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen Moralismus über Recht gestellt. Die AfD, so Jongen, wird sich dem entschieden entgegenstellen. Die Antworten der Bundesregierung auf die genannte Große Anfrage der AfD-Fraktion bezeichnete er als dürftig und unzureichend. Die Verantwortung werde auf die Stiftung Preußischer Kulturbesitz abgeschoben. Den in den Museen befindlichen Objekten werde, so Jongen, keine Wertschätzung entgegengebracht. Damit würde ein „Schuldkomplex der Kolonialgeschichte kultiviert“, der zur „psychopolitischen Grundlage der Massenmigration“ nach Deutschland diene. Es würde sich auf ein hohes moralisches Ross gesetzt, womit die Leerräumung der deutschen Museen gerechtfertigt werde. Jongen stellt nicht in Abrede, dass im Rahmen des europäischen Kolonialismus schlimme Verbrechen begangen wurden, führt aber auch an, dass der Kolonialismus zur Stabilisierung der Lebensverhältnisse in den Kolonien geführt habe. Jongen empfiehlt, von der moralischen Überfrachtung der Kolonialismusdebatte Abstand zu nehmen. Dem­gegenüber unterstrich Helge Lindh, MdB (SPD), dass es bei der Diskussion um Kolonialismus um die Wertschätzung gegenüber Menschen, den Opfern und den Nachgeborenen der Kolonisierten gehe. Er sieht als größte Aufgabe und Herausforderung in Deutschland, die Kontrolle über die Objekte und die Debatten um Kolonialismus aufzugeben. Daraus folgt aus seiner Sicht, dass die konservatorische Aufbewahrung von Objekten keine Bedingung für Rückgabe sein darf. Viele Objekte seien eben keine Kunstgegenstände, sondern in Rituale eingebettet. Als Nachfahren der Profiteure des Kolonialismus sei es nicht an uns, so Lindh, Bedingungen zu stellen, vielmehr müsse es darum gehen, den Kolonialismus im Kopf zu überwinden. Hierfür brauche es ein Gesamtkonzept. Die Rückgabe von zurückgefordertem Sammlungsgut müsse ein Bestandteil dieses Gesamtkonzeptes sein. Als vordringlich erachtet er die Rückgabe menschlicher Überreste. Der von Bündnis 90/Die Grünen geforderten Gedenkstätte stehe er positiv gegenüber, sieht sie aber nicht am Anfang, sondern am Ende eines Prozesses. Aus Sicht von Lindh solle die Debatte um Kolonialismus nicht so sehr unter dem Aspekt des Verlustes von Sammlungsgut, sondern unter der Perspektive des Gewinns und des gemeinsamen Lernens mit den Gesellschaften im globalen Süden gesehen werden.

 

Hartmut Ebbing, MdB (FDP) zeigte sich erfreut, dass der Raubkunstthematik mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, bedauerte aber, dass immer die Opposition mit Anträgen in Vorleistung gehe und von der Regierung wenig käme. Er betont, dass das Thema Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten komplex sei und es einer gründlichen Bearbeitung bedürfe. Die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte kam in der deutschen Erinnerungskultur bislang zu kurz. Als Beispiel führt er das Deutsche Historische Museum an, das dieses Thema zu knapp behandele. Am Antrag von Bündnis 90/Die Grünen kritisierte er, dass eine Beweislastumkehr eingeführt würde, die die gesamten Sammlungen zunächst unter Generalverdacht stelle. Weiter stellt sich für ihn die Frage, an wen restituiert werden solle. Was ist unter Herkunftsgesellschaften zu verstehen? Sind es Individuen, sind es Religionsgemeinschaften, sind es heutige Staaten? Diesen Fragen müsse sich gewidmet werden, bevor restituiert werde. Ebbing resümierte, dass der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ein sinnvoller Diskussionsanstoß sei, jetzt aber zunächst vertiefende Diskussionen anstünden.

 

Auch Brigitte Freihold, MdB (Die Linke) sprach bei der deutschen Kolonialgeschichte von einem verdrängten Kapitel deutscher Geschichte, das bearbeitet werden müsse. Hierzu gehöre die Anerkennung, dass ein Teil der deutschen Kolonialgeschichte der Genozid an den Herero und Nama war. Hier müsse eine Wiedergutmachung erfolgen. Freihold unterstrich, dass der Kolonialismus nicht mit dem NS-Unrecht verglichen werden dürfe. Doch sei der Genozid an den Herero und Nama die Vorgeschichte der Schoah. Freihold lastet der Bundesregierung an, dass sie kein Konzept für die schulische, kulturelle und politische Bildung zum Kolonialismus habe und sich hinter der Zuständigkeit der Länder für diese Fragen verstecke. Sie forderte ein solches Konzept ein. Denn bestehender Rassismus sei auch eine Folge der fehlenden Aufarbeitung des Kolonialismus. Die Rückgabe von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten müsse auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgen. Freihold hebt insbesondere die Leistung der Schwarzen Community in Deutschland hervor, die eine Diskussion über Kolonialismus erst angestoßen habe.

 

Volker Ullrich, MdB (CDU/CSU) stimmte den Vorrednerinnen und Vorrednern zu, die ausgeführt haben, dass die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus überfällig sei. Das Thema sei zu lang in der Erinnerungskultur ausgeblendet gewesen, so Ullrich. Kolonialismus beschreibt er als Fremdherrschaft und Unrecht, die mit Rassismus und Genozid verbunden sind. Das Unrecht wieder gut zu machen, ist eine Frage der Wertschätzung. Dabei gehe es auch darum, mit den Sammlungsgütern Identität zurückzugeben. Insofern sei, so Ullrich, die Rückgabe der grundsätzlich richtige Ansatz, jedoch sei eine jeweilige Einzelfallprüfung vonnöten. Nicht jedes in einer Sammlung befindliche Objekt ist geraubt worden. Es geht auch um Objekte, die gekauft oder getauscht wurden. Doch was heißt Tausch oder Kauf in einer Situation der Fremdherrschaft und ungleichen Machtverhältnisse? Dies alles müsse nach Auffassung von Ullrich abgewogen werden. Zudem muss der rechtliche Rahmen weiterentwickelt werden. Das gilt auch für das Kulturgutschutzgesetz, mit dem die in deutschen Museen befindlichen Objekte unter Schutz gestellt wurden. Hier stelle sich nun die Frage, was dies für die Restitution von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten bedeute. Auch müsse stärker in internationalen Kontexten gedacht werden und die Vielfalt afrikanischer Staaten berücksichtigt werden. Bei der in Berlin durchgeführten Afrikakonferenz 1884/85 waren die zerstrittenen europäischen Staaten sich laut Ullrich in einer Sache einig, nämlich dass der afrikanische Kontinent kolonisiert werden müsse. Aus der Afrikakonferenz erwachse heute die Verpflichtung, sich zu erinnern und nunmehr eine Politik mit und nicht für Afrika zu entwickeln. Es gehe um gemeinsame Perspektiven.
Die Bundestagsdebatte hat eine schmerzliche Lücke in der Erinnerungskultur offengelegt und zugleich einige der nun anstehenden Diskussionen aufgezeigt. Fast alle Rednerinnen und Redner haben betont, dass es auch um die Rückgabe von Objekten geht. Vordringlich ist die Rückgabe menschlicher Überreste. Genauso deutlich wurde aber auch, dass sich des Themas mit der Rückgabe von Objekten nicht so schnell entledigt werden kann. Es geht vielmehr um die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und seinen Nachwirkungen bis heute. Für künftige Debatten wäre zu wünschen, dass mit Blick auf die Zukunftsperspektiven die Frage eines gerechten Welthandels als eine veränderte Haltung gegenüber dem globalen Süden eine stärkere Rolle spielt. Das hieße, Künstlerinnen und Künstlern sowie Unternehmen der Kulturwirtschaft aus den Ländern des globalen Südens einen besseren Zugang zu unseren Märkten zu ermöglichen. Auch gilt es den Blick über die Museen hinaus zu weiten auf Bibliotheken, Archive und kirchliche Einrichtungen. Das Gute ist, die Diskussion hat gerade erst begonnen. Einmischung ist gefordert.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2019.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/erinnerungskultur/kolonialismusdebatte/eine-debatte-hat-begonnen/