In Vielfalt geeint – Für ein offenes und großzügiges Europa

Ein Beitrag von Audrey Azoulay, Ministerin für Kultur und Kommunikation in Frankreich

Europa wird angegriffen. Frankreich ist ein weiteres Mal verwundet worden. Gewalt und Angst und zuweilen auch die Antworten darauf bringen unsere Demokratien ins Wanken. Gerade vor diesem Hintergrund ist und bleibt die Kultur eine wichtige Stärke.

 

Die Anschläge im Januar 2015 in Paris waren ein Angriff auf die Freiheit und die Brüderlichkeit. Am 13. November 2015, im Bataclan und den Pariser Straßencafés, wurden die Kultur und unsere Lebensweise getroffen. Am 14. Juli dieses Jahres, am französischen Nationalfeiertag, der für unseren Freiheitskampf durch die Jahrhunderte steht, sind Kinder, Frauen und Männer auf der Promenade des Anglais in Nizza einem unbeschreiblichen Gewaltakt zum Opfer gefallen. Unsere Freiheiten, unsere Momente der Brüderlichkeit sind die Zielscheiben des Terrors.

 

Unsere Herausforderung, unsere Pflicht in diesen Zeiten ist es, geeint zu bleiben und an unseren Werten festzuhalten; uns dem Zynismus und den Entgleisungen zu widersetzen, die unser Land schwächen würden; unsere Freiheiten und unsere Einheit zu schützen; dem kreativen Schaffen und der Fantasie ihren Raum zu bewahren. Diese Widerstandsfähigkeit findet ihre Grundfesten in der Kultur.

 

„Diese Widerstandsfähigkeit findet ihre Grundfesten in der Kultur.“

 

Gilles Deleuze hat einmal gesagt: „Nicht jeder Akt des Widerstands ist ein Kunstwerk, wenngleich dem in gewisser Weise doch so ist. Nicht jedes Kunstwerk ist ein Akt des Widerstands, doch in gewisser Weise ist dem so.“

 

Sinn und Zweck unseres Handelns im Kulturbereich ist es, die Werte unseres Landes zu verteidigen, das kreative Schaffen als verbindendes und die Gemeinschaft stärkendes Element zu bewahren, und dies in einem Bewusstsein der Freiheit und der Verantwortung.

 

In einem Moment, der sich für die französische Gesellschaft als Scheidepunkt erweisen kann, ist das kreative Schaffen, davon bin ich überzeugt, ein mächtiger Ort des Dialogs, während sich überall sonst der Ton verschärft. Mächtig deshalb, weil es uns da vereint, wo Spaltung droht; mächtig aber auch, weil hier das gesellschaftliche Imaginäre seinen Ursprung nimmt, weil es also der Ort ist, der das Objekt aller Begierde und Machtkämpfe ist, und weil dort die Werte entstehen, die unsere Gesellschaft ausmachen.

 

Genau deshalb dürfen wir heute bei den Kulturangeboten keine Zugeständnisse machen – ob Festivals, Museen oder auch Straßenkunst – und müssen zugleich einen verantwortungsvollen Umgang mit den Sicherheitsanforderungen pflegen. Kunst ist ein Ort der Begegnung. Kultur bedeutet immer ein Sich-Öffnen für das Andere.

 

Künstler setzen manchmal genau da an, wo es wehtut. Sie sorgen immer wieder für Polemik. Nicht alle Karikaturen von Charlie Hebdo bringen mich zum Lachen, sie alle jedoch sind für den Ausdruck unserer Meinungsfreiheit unerlässlich.

 

Das französische Parlament hat am 7. Juli 2016 mit dem „Gesetz über die Schaffensfreiheit, die Architektur und das Kulturerbe“ ein Regelwerk verabschiedet, das die Bedeutung von Künstlern und des kreativen Schaffens in unserem täglichen Leben bekräftigt.

 

Wir können stolz sein, dass in den ersten Artikeln dieses Gesetzes die Grundsätze Schaffensfreiheit, Verbreitungsfreiheit und freie Programmgestaltung festgeschrieben sind. Das Gesetz stellt jedoch nicht nur Grundsätze auf, es enthält greifbare und grundlegende Bestimmungen zugunsten des kreativen Schaffens. Nicht zuletzt im Bereich der Architektur.

 

Mit den Worten von Alejandro Aravena, Chefkurator der Architektur-Biennale Venedig: „Architektur ist viel mehr als ihre rein ästhetische und künstlerische Dimension. Sie umfasst ebenso das Alltägliche wie das Außergewöhnliche. Die Schwierigkeit der Architektur besteht darin, dieses Spektrum in seiner ganzen Breite abzudecken, vom Alltäglichen bis hin zum Außergewöhnlichen.“ Das beschlossene Gesetz zielt besonders auf die Förderung der alltäglichen Architektur ab.

 

Das Kulturerbe, das für unsere gemeinsame Geschichte steht, und das so vielen Menschen wie möglich zugänglich sein muss, wird nun stärker geschützt. Das Verständnis und die Kenntnis unserer gemeinsamen Geschichte und unserer Wurzeln sind entscheidend dafür, dass unsere Gesellschaft in ihrem Wesen bewahrt wird.

 

Nach den Zerstörungen in Mossul, Nimrud und Palmyra hat Frankreich beschlossen, verstärkt gegen den illegalen Handel mit Kulturgut vorzugehen, der allzu oft der Terrorismusfinanzierung dient. Das neue Gesetz eröffnet die Möglichkeit, gefährdete Werke in Krisenzeiten sicher aufzubewahren. Die Zerstörung von Denkmälern und Kunstwerken zielt darauf ab, ganze Bevölkerungsgruppen auszulöschen, indem ihre Geschichte, ihre Vergangenheit und all das vernichtet wird, was ihre Zivilisation und ihre Kultur ausmacht.

 

Ferner haben wir Überlegungen über die Zukunft unserer Museen angestoßen. Wie kann das Museum des 21. Jahrhunderts den Erwartungen der Besucher, den neuen Präsentationsformen von Werken, den neuen Möglichkeiten der Vernetzung von Sammlungen und den Entwicklungen der Berufe gerecht werden?

 

Das Museum des 21. Jahrhunderts kann erst dann Gestalt annehmen, wenn die bleibenden Fragen aus dem vergangenen Jahrhundert geklärt sind. So etwa die Frage der Rückgabe von NS-Raubkunst.

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