Damenoberbekleidung ist politisch

Oder wer sollte unter seiner Burka hervorkommen

Kaum ein Thema hat in diesem Sommer für solches Rauschen im Blätterwald gesorgt wie die Damenoberbekleidung, womit einmal mehr bewiesen wird, das Private ist politisch und das gilt auch oder insbesondere für die Bekleidung von Frauen.

 

Blicken wir zurück: Über viele Jahrzehnte war es vor allem die mangelnde Bekleidung von Frauen, die ein „Aufreger“ war. Nach dem ersten Weltkrieg wurden Röcke und Kleider kürzer. Das Ende der Monarchie, die Demokratie war auch eine Befreiung vom Korsett, von langen Röcken und insbesondere bei älteren Frauen von dunklen Kleidern. Und quelle horreur, nicht nur die Kleider wurden kürzer, auch die Haare. Der „Bubikopf“ war ein Zeichen emanzipierter Frauen und manche Dame ginge gar soweit ein Beinkleid, vulgo Hose, zu tragen. In den 1960er Jahren sorgte der „Mini“, der kurze, teilweise auch sehr kurze Rock für Skandale. Der Bikini galt als unkeusch. Während in den 1970er Jahren in der Werbung noch der „Hüfthalter Frauen umbrachte“ und „Zauberkreuz-BHs“ für eine garantiert stramm nach vorne ragende Brust sorgen sollten, hatten Feministinnen sich solcher quälenden Unterwäsche längst entledigt. Die lockere, teilweise wallende Kleidung war auch eine Absage an ein Rollenmodell und stand für Emanzipation, für die berufstätige, ihr Leben in die eigene Hand nehmende Frau. Passend hierzu eine entsprechend pflegeleichte Frisur. Dennoch war es zumindest im ländlichen Raum üblich, dass Mädchen in schwarzem Rock, keusch das Knie bedeckt, und weißer Bluse zur Konfirmation gingen und das Tragen einer Hose als Verstoß gegen Anstand und gute Sitten galt.

 

Die Liste an Beispielen ließe sich noch lange fortsetzen. Und meist waren es konservative Kreise, die die sich verändernde Damenoberbekleidung als Angriff auf bestehende Werte und als Bedrohung ansahen. Sittenverfall ist nur eines der Stichworte, die in diesem Zusammenhang gefallen sind.

 

„Heute ist es die Verhüllung, die insbesondere Konservativen den Schweiß auf die Stirn treibt.“

 

Heute ist es die Verhüllung, die insbesondere Konservativen den Schweiß auf die Stirn treibt. Jene, die noch vor kurzem gegen Quoten für mehr Frauen in Führungsetagen waren, gegen die Betreuung von Kleinkindern in Kindertagesstätten opponierten und für die Betreuung zu Hause, am besten durch die ihre Erwerbskarriere unterbrechende Mutter, stritten, jene sind es nun, die sich als die Speerspitze für die Emanzipation von Frauen verstehen und gegen Burka, Niqab und Burkini zu Felde ziehen. Sie geben vor, für die Befreiung von verschleierten und verhüllten Frauen einzutreten und wollen sie aus ihrem „Gefängnis“ befreien.

 

Ja, schwarz gekleidete Frauen, deren Gesicht durch einen Niqab verhüllt ist, irritieren. Es ist ungewohnt, sie zu sehen. Erst recht, wenn sie auch schwarze Handschuhe tragen und nur manchmal ein Hauch von Haut zu sehen ist – dass diese Verhüllung ausgesprochen sexy sein kann und einige der sich verhüllenden Frauen, sich dessen sehr bewusst sind, sei nur am Rande erwähnt.

 

Und doch, wer offenen Auges durch die bundesrepublikanischen Städte und Gemeinden geht, wird kaum eine Burkaträgerin, jenes vor allem in Afghanistan getragene, zumeist blaue Frauengewand, das den gesamten Körper verhüllt, sehen. Um die Burka geht es also offenbar nicht! Und auch Niqab-Trägerinnen sind zwar häufiger in süddeutschen Großstädten mit exklusiven Geschäften anzutreffen, doch handelt es sich hierbei sehr oft um Saudi-Araberinnen, die exquisit einkaufen. Auch jene werden die Vorkämpfer für Frauenemanzipation weniger im Blick haben. Ein Massenphänomen sind Niquab-Trägerinnen in Deutschland jedenfalls nicht und auch in anderen europäischen Ländern, selbst Frankreich, wo ein Vollverschleierungsverbot besteht, waren auch vorher Frauen, die sich voll verschleiern, die Ausnahme und nicht die Regel.

 

Worum geht es also in dieser, teilweise aufgeheizten Diskussion, um die vermeintlich adäquate Damenoberbekleidung in Deutschland. Es geht, so meinen wir, um eine tiefe Verunsicherung von Teilen der Gesellschaft und es geht um die Lufthoheit insbesondere in konservativen Kreisen. Nur so lässt sich erklären, dass in der „Berliner Erklärung der Innenminister und -senatoren von CDU und CSU zu Sicherheit und Zusammenhalt in Deutschland“ vom 19. August 2016 folgendes zu lesen ist: „Vollverschleierung beeinträchtigt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie steht mit ihrer frauenverachtenden Symbolik im Widerspruch zur Gleichberechtigung und Würde der Frau. Sie leistet Parallelgesellschaften Vorschub und ist damit ein Integrationshemmnis. Die Vollverschleierung widerspricht unserem gesellschaftlichen Konsens. Wir lehnen sie daher ab und fordern, dass alle Menschen ihr Gesicht zeigen.“

 

Hieraus werden erforderliche rechtliche Konsequenzen abgeleitet, wie ein Vollverschleierungsverbot im öffentlichen Dienst, in Kindertageseinrichtungen, Schulen und Hochschulen, vor Gericht, bei Passkontrollen, bei Verkehrskontrollen, im Meldeamt, im Standesamt usw., bei Demonstrationen und im Straßenverkehr. Nach dieser Aufzählung drängt sich der Eindruck auf, dass es vielleicht besser wäre, gleich gesetzlich festzulegen, in welchen Fällen eine Vollverschleierung erlaubt wäre.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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