Urbane Kunst
Die Bildende Künstlerin Dagmar Schmidt im Gespräch
Spricht man über Planung und Gestaltung von urbanen Räumen, ist Kunst im öffentlichen Raum ein wichtiges Element. Wieso gehört die Kunst in Stadt und Land? Warum braucht es Kunst im öffentlich zugänglichen Raum? Theresa Brüheim spricht mit der Bildenden Künstlerin Dagmar Schmidt.
Theresa Brüheim: Frau Schmidt, als Künstlerin befassen Sie sich mit Kunst im öffentlichen Raum und Kunst am Bau. Wie sind Sie zu diesem Fokus in Ihrer Kunst gekommen?
Dagmar Schmidt: Das hat mit der besonderen Herausforderung an die Kunst draußen zu tun. Mich interessiert, wie die Kunst im Alltag des urbanen Lebens ankommt, wie sie wahrgenommen und wie damit umgegangen wird. Das beinhaltet die klassische Kunstbetrachtung, pragmatische Benutzung und den Umgang mit aus anderen Epochen „geerbten“ Kunstwerken, die Wertschätzung, die Beschädigung oder gar Vernichtung oder Kontextualisierung und Neuinterpretation. Es ist aufschlussreich zu beobachten, was passiert, was vergessen oder unterlassen wird. Menschen sind dabei ein Teil der Wirkkräfte. Fauna, Flora, Witterung und Umwelteinflüsse kommen hinzu.
Ein Beispiel Ihrer Arbeit ist die begehbare Bodeninstallation GRABUNGSSTAEDTE in Halle (Saale), die auch mit dem „mfi Preis Kunst am Bau“ ausgezeichnet wurde. Was sind die Besonderheiten dieses Kunstwerkes?
Städte sind organische Wesen – sie entstehen, wachsen oder schrumpfen, verschwinden gar. Die Silberhöhe war während der Entstehungszeit
der GRABUNGSSTAEDTE ein schrumpfender Stadtteil. Das Schrumpfen fokussiert auf den Stadtumbau als künstlerisches Thema – eine besondere Situation für ein Kunstwerk – und so entstand die Idee für diese Zeitkapsel. Die Grundmauern von einem zum Abriss vorgesehenen Wohngebäude wurden erhalten und die – nun nach oben offenen, ebenerdig zugängigen – Räume mit Betonmöbeln ausgestattet, so wie die Räume in den Etagen darüber einst möbliert waren.
Die Bodeninstallation „öffnet das Private – den Wohnraum – der Öffentlichkeit, während die umliegenden Häuser verschlossen bleiben“, wie das Preisgericht des mfi Preises unter Vorsitz von Tony Cragg urteilte. Die Preisverleihung führte zu einer für Kunst am Bau eher untypisch breiten nationalen und internationalen Rezeption. Damit wurde GRABUNGSSTAEDTE zu einem Bild für den Stadtumbau und zu einem Erinnerungsort für das Wohnen in standardisierten Bauten.
Menschen benutzen und verändern das Kunstwerk, Tier und Pflanze besiedeln nach und nach die GRABUNGSSTAEDTE, das Wetter wirkt auf das Gebaute ein. Das schrittweise Verändern gehört ins künstlerische Konzept, und ich begleite es in einer künstlerischen Rezeptionsforschung, in der Indizien gesammelt, dokumentiert, kartiert werden. Das Verschwinden der GRABUNGSSTAEDTE ist einkalkuliert, und vielleicht wird sie irgendwann wiederentdeckt und ausgegraben.
An welchen Kunstprojekten für den öffentlichen Raum arbeiten Sie gerade?
Bildende Kunst im Stadtumbau ist in ihrer Vielfalt hochinteressant. Mich beschäftigt die künstlerische Rezeptionsforschung, auch mit und über die GRABUNGSSTAEDTE, z. B. am Tag des offenen Denkmals. Im Magdeburger Stadtteil Neu Olvenstedt begleite ich mehrere künstlerische Vorhaben für die freifallenden Kunstwerke, also für Kunst-am-Bau-Werke, die durch Sanierung oder Abriss ihren angestammten Platz verlieren. In einem umfangreichen Beteiligungsverfahren wird – falls geboten, angemessen und finanzierbar – der Umzug des Kunstwerks an eine andere Stelle geplant. Im interdisziplinären Projekt MAPPING OLVENSTEDT dokumentiere und kartiere ich die Kunst im öffentlichen Raum und deren Potenziale für eine gleichnamige Onlinedatenbank und eine Faltkarte. Magdeburg plant eine Ausweitung dieses Projekts auf weitere Viertel. Derartige partizipativ angelegte Kunst-am-Bau-Maßnahmen ermöglichen und erfordern eine breite Mitwirkung insbesondere der Einwohnerinnen und Einwohnern. Daher lassen sich dort wichtige Rückschlüsse auf die Wirkungsmöglichkeit von Kunst in der Stadt ziehen, die in meine weitere Arbeit einfließen.
Worin sehen Sie die Bedeutung von Kunst am Bau für die Stadtkultur?
Kunst bereichert den urbanen Raum. Die oft überraschenden Begegnungen mit der Kunst hier finden in nicht extra für die Kunst reservierten Räumen statt, wie im White Cube eines Museums, in dem Kunstwerke ganz für sich wirken. Der Kontext Stadt selbst ist nicht nur „Leinwand“, „Sockel“ oder „Bühne“, sondern selbst künstlerisches Medium. Es ist willkommener „brachliegender“ Raum, der sich aufdrängt für einen künstlerischen Eingriff, auf Dauer oder als Zwischenintervention. Das urbane Umfeld ist unverzichtbarer Teil der Kunst und deren Narration, manchmal wie die „geborgte Landschaft“ der japanischen Gartenkunst, manchmal als umgestaltende Kraft. Besondere Orte, aber auch Fehlstellen werden gekennzeichnet, häufig neu interpretiert und so in die allgemeine Wahrnehmung gerückt. Menschen kommen darüber ins Gespräch.
Ausgehend von der Kunst am Bau, in der die Kunstwerke über ein anteiliges Budget mit festgelegten Prozentwerten aus der Bausumme finanziert werden, begann Bremen in den 1970er Jahren damit, Projekte im öffentlichen Raum aus einem von den konkreten Baumaßnahmen getrennten Fonds zu finanzieren und Kunstwerke dort zu realisieren, wo die Stadtgesellschaft es bedurfte. Neben der öffentlichen Hand hat sich seit den 1990er Jahren zuerst in Frankreich der Versuch entwickelt, Teile der Stadtgesellschaft selbst – freie Gruppen, Vereine, Interessierte – zu „Neuen Auftraggebern“ zusammenzuschließen. Moderiert und unterstützt in Deutschland durch die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber, „beauftragen (sie) Künstlerinnen und Künstler damit, Kunstwerke zu entwickeln, die in ihrer Stadt oder ihrem Dorf Antworten auf drängende Fragen geben.“
Frei von der Erwartungshaltung einer Auftraggeberin besetzt die Streetart öffentliche Räume. Sie trägt politische, ästhetische, provokante oder auch nur freundliche Gesten in die Öffentlichkeit und inkludiert auch eine Institutionskritik. Damit trotzt sie dem Straftatbestand Sachbeschädigung und schafft Graffiti-Kunst, interveniert durch Hinzufügen von Objekten oder Weglassen von Bauteilen.
Sie sind auch Sprecherin des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler. Welche politischen Forderungen richten Sie in diesem Kontext von Kunst am Bau an Bund und Länder als Bauherren?
Es lohnt sich für die Gesellschaft immer, öffentlich zugängliche Kunst-am- Bau-Werke zu realisieren. Die meisten Bundesländer und viele Kommunen haben das erkannt und beauftragen Kunstschaffende. Der Bund tut das vorbildlich bei allen Bundesbaumaßnahmen des Hochbaus und auch bei Zuwendungsbauten, deren Finanzierung er wesentlich bezuschusst. Zur Optimierung der Abläufe fordern wir aber eine in Bauplanung und -realisierung möglichst frühzeitige Beteiligung Bildender Künstlerinnen und Künstler ebenso wie die Erprobung kooperativer Verfahren. Dass ein Flächenland wie Niedersachsen bei seinen Landesbauten keine Kunst am Bau realisieren, muss sich ändern.
Vielen Dank.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.
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