Kreative Zukunftsorte für den Green Deal
Zur neuen europäischen Bauhausbewegung der EU-Kommission
Gedichte ändern wohl nicht die Welt, aber sie ändern das In-der-Welt-Sein.“ Ein Gedicht ist für Paul Celan dabei ein Ort der Begegnung, es „will zu einem Anderen, es braucht dieses Andere, es braucht das Gegenüber“. Nur wenige haben auch nur annähernd ähnlich poetisch komplex, dicht und kontrovers über die Rolle der Kunst – und der Kultur – in der Gesellschaft geschrieben und gesprochen wie er: Die Kunst braucht die Gesellschaft als Gegenüber – und die Gesellschaft braucht die Kunst, die Kreativen und Anders-Denker, um sich selbst beobachten und entwickeln zu können.
Ursula von der Leyen hat im September letzten Jahres bei ihrer ersten „Rede zur Lage der Europäischen Union“ deutlich gemacht, dass sie gerade auch die Kultur, die Kunst, die Architektur und das Design zur Erreichung der Ziele des Green Deals in die Pflicht nehmen möchte. Bei ihrer „NextGenerationEU“ geht es – ganz im Sinne von Celan – nicht nur um „ein Umwelt- oder Wirtschaftsprojekt“, sondern eben auch um „ein neues Kulturprojekt für Europa“. Sie hat dafür ein medienwirksames Codewort genutzt – das Bauhaus: „Jede Bewegung hat ihr eigenes Gefühl. Wir müssen dem Systemwandel ein Gesicht verleihen – um Nachhaltigkeit mit einer eigenen Ästhetik zu verbinden. Deshalb werden wir ein neues Europäisches Bauhaus errichten – einen Raum, in dem Architekten, Künstler, Studenten, Ingenieure und Designer gemeinsam und kreativ“ am Ziel einer „NextGenerationEU“ arbeiten. „So schaffen wir die Welt von morgen.“
In diesen Tagen hat die EU-Kommission nun konkretisiert, wie sie die von ihr initiierte „neue, in die Moderne gewendete, europäische Bauhausbewegung in Gang setzen“ will. Eine Bewegung, „die Moderne, Nachhaltigkeit, Einklang mit der Natur, Kunst und Kultur vereint.“ Und darin Stärken bündelt: „Und zwar den Ehrgeiz in der Klimapolitik, aber auch die Kreativität beim digitalen Wandel und die kulturelle Tiefe, die unser Europa auszeichnet.“ Im Zuge einer Gestaltungsphase „soll in einem partizipativen Prozess das Konzept der Initiative ausgearbeitet werden. Dafür werden Ideen ausgelotet, die dringendsten Erfordernisse und Herausforderungen ermittelt und interessierte Kreise vernetzt. Im Rahmen der Gestaltungsphase wird die Kommission in diesem Frühjahr erstmals den Preis zum neuen Europäischen Bauhaus“ entlang der Werte Nachhaltigkeit, Ästhetik und Inklusivität ausschreiben.
Im Herbst dieses Jahres werden dann Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen veröffentlicht, mit denen Ideen für das neue Europäische Bauhaus an mindestens fünf Orten in den EU-Mitgliedstaaten mit
EU-Mitteln auf nationaler und regionaler Ebene umgesetzt werden können.
Das neue Europäische Bauhaus versteht sich als eine Kreativitätsinitiative, mit der die Grenzen zwischen Wissenschaft und Technologie, Kunst, Kultur und sozialer Inklusion überwunden und mithilfe von Design Lösungen für Alltagsprobleme erarbeitet werden. Auf der eigens eingerichteten Webseite europa.eu/new-european-bauhaus können Kunstschaffende, Designer, Ingenieure, Wissenschaftler, Unternehmer, Architekten, Studierende und alle Interessierten sich über Beispiele für inspirierende Leistungen für das neue Europäische Bauhaus austauschen und ihre Ideen für dessen Gestaltung und Entwicklung sowie ihre Bedenken und die Herausforderungen, vor denen sie stehen, teilen.
Dies ist der für EU-Verhältnisse sehr ungewöhnliche Auftakt zu einem innovativen und partizipativen Prozess. Organisationen, die sich in diesem Projekt stärker einbringen wollen, können sich den „Partnern des neuen Europäischen Bauhauses“ anschließen, indem sie der auf der Website veröffentlichten Einladung folgen.
In der Umsetzungsphase der Initiative werden dann anhand von fünf Pilotprojekten neue nachhaltige und integrative, aber gleichzeitig ästhetische Lösungen erarbeitet. Ziel der dritten Phase – der Erweiterungsphase – ist es, die Ideen und Konzepte für die neue europäische Bauhausbewegung durch neue Projekte, Vernetzung und Wissensaustausch in Europa und darüber hinaus zu verbreiten.
Die neue Haltung der EU-Kommission, Kultur als einen wesentlichen Aspekt der eigenen Arbeit zu begreifen und zu befördern, hat in Deutschland insbesondere die Kreativdisziplinen wie Architektur und Design elektrisiert. Nach der in den letzten Jahren erfolgten Öffnung von Förderprogrammen auch für nicht technische Investitionen geht Europa damit sehr neue, unerprobte Wege. Wird aus der primär bei vielen Bürgern als regelungs- und bürokratiewütig erlebten Finanz- und Wirtschaftsunion doch noch ein kulturelles Projekt – gerade um die beiden großen existenziellen Krisen Corona und Klima zu bewältigen? Vielerorts finden aktuell sowohl in Deutschland wie auch in der ganzen EU Findungs- und Kooperationsgespräche sowie -workshops statt.
So hat z. B. die Bundesarchitektenkammer eine Resolution verabschiedet, mit der die Initiative eines neuen Europäischen Bauhauses „geradezu enthusiastisch“ begrüßt und spontan die uneingeschränkte Unterstützung angeboten wird. Der Spitzenverband der Designorganisationen und -institutionen, der Deutsche Designtag, organisiert in Verbindung mit der europäischen Vertretung BEDA die Sammlung konkreter Vorschläge und Projekte sowohl in Deutschland wie auch länderübergreifend.
Die Idee eines neuen Europäischen Bauhauses wird natürlich auch kritisch gewürdigt, insbesondere der namensgebende Bezug zur vor mittlerweile über 100 Jahren gegründeten Schule wird vielfach als eher kontraproduktiv empfunden. Aber das gehört ureigenst zur Kultur- und Kreativwelt dazu, dass jegliche Aktivität kritisch hinterfragt wird – nur so entsteht, ganz im Sinne Celans, gesellschaftliche Selbstvergewisserung im Abgleich mit dem Anderen.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.
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