David Johst - 5. Mai 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Ost-West-Perspektiven

Schwieriges Erbe


Der Umgang mit politischen Denkmälern der DDR nach 1989

Die politischen Denkmäler der DDR zeugten nach 1989 aufgrund ihrer Materialität und Zentralität vom Legitimationsanspruch des DDR-Staates, sie ließen sich nicht wie die zahlreichen Traditionskabinette, Porträts, Fahnen und Wimpel geräuschlos und ohne großen Aufwand beiseite räumen und sie stehen in vielen Fällen heute noch an ihrem Ort.

 

Die gesellschaftliche Debatte um den richtigen Umgang mit diesen Denkmälern hält an, auch wenn sich der Ton verändert hat, in dem über 30 Jahre nach der politischen Wende über DDR-Denkmäler diskutiert wird, der Ton ist sachlicher geworden, der Umgang gelassener. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die unvoreingenommene Neugierde einer Generation, für die die DDR längst Geschichte darstellt. Ganz anders stellte sich die Situation kurz nach der Wende dar. Viele Menschen fühlten sich von den sichtbaren Zeichen des untergegangenen SED-Staates provoziert, andere wiederum sahen im Ruf nach Abriss und Beseitigung einen Angriff auf ihre ostdeutsche Herkunft, ihre Identität.

 

Der Umstand, dass unter jenen, die am nachdrücklichsten die Beseitigung forderten, viele aus den alten Bundesländern kamen, trug zusätzlich dazu bei, die Debatte emotional aufzuladen.

 

Im Gegensatz zu anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks richtete sich der Volkszorn in Deutschland nicht gegen die Denkmäler, sondern gegen andere Manifestationen des SED-Regimes wie die Stasi-Zentralen oder die Berliner Mauer. Die politischen Denkmäler blieben zunächst meist unbeachtet oder wurden mithilfe von Spraydose oder Hammer und Meißel neu interpretiert. Am bekanntesten ist vielleicht jenes Graffiti am Berliner Marx-Engels-Denkmal. „Wir sind unschuldig“ war dort eine Zeit lang auf dem Sockel zu lesen und auf der Rückseite: „Beim nächsten Mal wird alles besser“.

 

Wo die Denkmäler fielen, fielen sie nicht spontan, sondern durch politischen Beschluss und oftmals auf die Initiative einzelner Politiker hin. Und in zahlreichen Fällen fielen die Denkmäler nicht, sondern wurden versetzt, kommentiert oder eingelagert.

 

Die völlige Zerstörung, wie etwa im Fall des Halleschen Monuments der revolutionären Arbeiterbewegung, stellt eine Ausnahme dar. Dieser Befund steht im Gegensatz zu dem bis heute verbreiteten Topos der „abgeräumten DDR“. Der Grund hierfür ist wahrscheinlich in der selektiven medialen Aufmerksamkeit zu sehen. So prägten in den ersten 15 Jahren nach dem Mauerfall vereinzelte Ereignisse die öffentliche Rezeption des Umgangs mit dem Denkmalerbe.

 

Das mit Abstand prominenteste Beispiel ist sicherlich der Abriss des Berliner Lenindenkmals. Die 19 Meter hohe Statue aus ukrainischem Granit wurde 1970 eingeweiht und knapp 20 Jahre später, im Spätherbst 1991 abgerissen. Helmut Engel, zu diesem Zeitpunkt oberster Denkmalschützer der Stadt, kritisierte den Abriss als Versuch, den Sozialismus mit der Abrissbirne zu bekämpfen. Die regionale und überregionale Presse berichtete ausführlich über das Ereignis. Es gab Proteste und spontane Denkmalbesetzungen. Das Bild des an Kranketten hängenden Lenins hatte eine hohe Symbolkraft und eignete sich für viele Ostdeutsche als Sinnbild des abrupten politischen Übergangs und des von vielen als gewaltsam empfundenen Verlustes ihrer Identität. In den politischen Denkmälern der DDR verdichtete sich eben nicht nur der Herrschaftsanspruch des untergegangenen DDR-Staates, sondern sie dienten auch als Projektionsfläche und Anker lebensgeschichtlicher Erfahrungen.

 

Das Beispiel des Berliner Lenin-Denkmals zeigt indessen auch, dass Beseitigung nicht immer gleichbedeutend mit Vernichtung war. Das Denkmal sollte nach seiner Demontage eingelagert werden, wurde dann aber aufgrund seiner Größe in einer Kiesgrube abgelegt und später dort vergraben. Einige Denkmäler, wie beispielsweise das Kampfgruppendenkmal in Berlin oder das Denkmal des kleinen Trompeters in Halle, wanderten in die Magazine der Museen. Andere Denkmäler, wie das Lenin-Denkmal in Riesa, wurden verschoben. Weitere Denkmäler, wie beispielsweise das Fahnenmonument in Halle, wurden umgestaltet. In der deutlichen Mehrheit blieben die politischen Denkmäler der DDR jedoch erhalten.

 

Manchmal geben die notwendigen Sanierungsarbeiten und die damit verbundenen Kosten Anlass für eine erneute Abrissdiskussion – so erst jüngst im Fall des Ernst-Thälmann-Denkmals in Berlin. Doch insgesamt hat sich ein politisch unaufgeregter Umgang mit dem Denkmalerbe der DDR durchgesetzt. Stände das Berliner Lenindenkmal noch, wäre ein Abriss heute vermutlich nicht mehr vermittelbar. Andererseits lässt sich auch die These formulieren, dass die medienwirksame Beseitigung der monomentalen Plastik damals eine kathartische Wirkung hatte. Nachdem man das sichtbarste und größte Denkmal beseitigt hatte, konnte man die vielen kleineren Denkmäler weitgehend stehen lassen. Ganz konkret veranlasste der Abriss des Lenin Denkmals den Berliner Senat dazu, im darauffolgenden Jahr eine „Kommission zum Umgang mit den politischen Denkmälern der Nachkriegszeit im ehemaligen Ost-Berlin“ zu berufen. Die Kommission setzte sich aus Vertretern der DDR-Opposition, prominenten Zeithistorikern, namhaften DDR-Künstlern und Denkmalpflegern zusammen. Für jedes der insgesamt 400 erfassten Ost-Berliner Denkmäler wurde nach intensiver Diskussion eine von einem Mehrheitsvotum getragene Empfehlung abgegeben.

 

Die Kommission stellte unter anderem fest, dass es sich bei der Mehrheit der Objekte um Denkmäler handelt, die an Personen und Ereignisse vor Beginn der SED-Herrschaft erinnern, diese Erinnerung jedoch der Traditionsbildung und Legitimation der SED verpflichtet war. Für diese Denkmäler empfahl die Kommission einen besonders behutsamen Umgang, da sie immer auch an die demokratischen und sozialistischen Traditionen sowie an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnern würden.

 

In jedem Einzelfall, so heißt es im Bericht, müsse daher geprüft werden, ob die Geschichte, an die erinnert werden soll, hinter der politischen Überformung hinreichend sichtbar werde bzw. sie wieder sichtbar gemacht werden könne. Diese Grundhaltung erklärt, warum in Berlin nur solche Denkmäler beseitigt wurden, die sich ausschließlich auf die DDR-Zeit bezogen, wie das Denkmal für die Kampfgruppen oder das Denkmal für die getöteten DDR-Grenzsoldaten.

 

Die von der Berliner Denkmalkommission ausgesprochenen Empfehlungen spiegeln eine mittlerweile breit geteilte Auffassung wider, wonach die politischen Denkmäler der DDR wichtige Zeugnisse der deutschen Geschichte darstellen und Sanierung und Erhalt keineswegs mit einer unkritischen Rezeption oder gar eine Apologie des SED-Regimes gleichzusetzen sind. Im Gegenteil haben sich durch die politischen Veränderungen auch Funktion und Bedeutung der überlieferten Denkmäler verändert. Aus einem Symbol der Macht, heißt es im Bericht der Berliner Denkmalkommission, könne auch ein Zeichen der Ohnmacht, aus einer Drohgebärde ein Ausdruck der Hilflosigkeit, aus einer Siegergeste ein Bild der Niederlage werden.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.


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