Christian Böhm & Theresa Brüheim - 1. Februar 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Ost-West-Perspektiven

Qualität steht im Vordergrund


Der Deutsche Werkbund

Synonym für deutsches Qualitätsdesign steht der Deutsche Werkbund. In den über 100 Jahren seit seiner Gründung hat er wesentliche Impulse zur Industrie- und Gestaltungskultur in Deutschland und der Welt gegeben. Theresa Brüheim spricht mit dem Vorsitzenden Christian Böhm über Qualitätsverständnis, Entwicklung und mehr.

 

Theresa Brüheim: Wie versteht sich der Deutsche Werkbund selbst? Was macht ihn aus?

Christian Böhm: Der Deutsche Werkbund ist eine Vereinigung von Menschen aus allen Berufsgruppen, die sich für die gute, qualitätsvolle Gestaltung unserer Umwelt einsetzen – in allen Feldern und Facetten. Wir sind kein Berufsverband, sondern eine disziplinenübergreifende Vereinigung. Bei uns kommen Gestalter, Architekten, Handwerker, Maschinenbauer, Juristen, Journalisten und viele andere zusammen. Aus diesen unterschiedlichen Richtungen setzen wir uns für gute Gestaltung, für ein besseres Leben ein: Das reicht von Umweltbelangen über Materialgerechtigkeit bis hin zu sozialer Gerechtigkeit und Arbeit gegen Ausgrenzung. Uns eint das für den Werkbund typische Qualitätsverständnis. Wir versuchen so, gesellschaftspolitisch wirksam zu sein.

Um in allen Bereichen voranzukommen, bricht es sich regional herunter in eine ganze Reihe sehr, sehr unterschiedliche Projekte. Über Qualität kommen wir beim Werkbund zu guten Ergebnissen.

 

1907 gegründet, unter den Nationalsozialisten gleichgeschaltet, 1938 formal aufgelöst, 1947 dann erste Gründungen in den Bundesländern und 1950 offiziell wiedergegründet. Die Geschichte reicht bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück und ist bewegt. Im Rahmen der Beitragsreihe Ost-West-Perspektiven werfen wir einen Blick auf die Entwicklung nach 1950 in Westdeutschland – wie sah diese denn aus?

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte ein kompletter Neuanfang. Es gab in vielen einzelnen Städten Neugründungen. Das Thema der Gestaltung unserer Umwelt wurde wiederaufgenommen. Man hat nach Wegen gesucht, die ursprünglichen Gründungsziele neu zu beleben. Es gab sehr früh Ansätze für Umweltschutz; schon zu Zeiten, wo das noch lange nicht in aller Munde war, haben sich Werkbundmitglieder dafür eingesetzt.

Nach 1950 hat sich auch die heutige föderale Struktur mit den sehr unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in den einzelnen Werkbünden etabliert. 1972 wurde dann das Werkbund-Archiv in West-Berlin gegründet, 1986 die Werkbund Werkstatt Nürnberg und 2000 die Werkbundakademie Darmstadt. 1977 wurde die Werkbund-Siedlung in Oberhausen geplant und gebaut.

Heute gibt es zehn Werkbünde auf Länderebene. Der Deutsche Werkbund e.V. ist die Dachorganisation; unter dieser haben sich nach Jahren der Entzweiung – 1997 waren die Landesbünde Nord, Berlin und Bayern aus dem Dachverband ausgetreten – wieder alle regionalen Werkbünde im Vorfeld des 100. Jubiläums vereint.

Über Deutschland hinaus gibt es einen Werkbund in der Schweiz und in Italien. Der Werkbund ist ein Netzwerk, das über die Bundesrepublik hinausgeht.

 

Welche Schwerpunkte werden aktuell in den Bundesländern gesetzt?

Beispielsweise versucht der Werkbund Baden-Württemberg mit einem sogenannten Werkbund-Label, das er regelmäßig verleiht, innovative Ideen, Konzepte, Ansätze zu fördern in Tradition des Qualitätsverständnisses des Werkbundes. Viele Werkbünde beschäftigen sich mit Fragen des Wohnens in den unterschiedlichsten Aspekten – von der Gestaltung über soziale, ökologische und wirtschaftliche Fragen bis hin zur Materialgerechtigkeit. In Tradition der Werkbundsiedlungen aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts wird gefragt: Wie sollte moderner Städte- und Wohnungsbau aussehen? Was kann man besser machen? Wie wollen wir wohnen? Wie bauen wir? Was sind Perspektiven für die Zukunft? In diesem Sinne hat der Werkbund Bayern Anfang der 2000er Jahre das Modellprojekt Werkbundsiedlung Wiesenfeld in München mit einem gesamtheitlichen, stark sozial und ökologisch geprägtem Qualitätsansatz vorangetrieben. Auch der Werkbund Berlin hat in den letzten Jahren mit der WerkbundStadt ja von sich reden gemacht; der Schwerpunkt dort lag allerdings klar anders als in München, die architektonische und städtebauliche Gestalt standen im Mittelpunkt.

Da zeigt sich deutlich die föderale Struktur des Werkbunds, bei der es auch zu starken Diskussionen und zum Streit um die beste Lösung kommen kann. Wir können uns nicht auf rein theoretische Diskussionen zurückziehen, sondern wir wollen beweisen, wie es geht. Neben den regionalen Schwerpunkten ist ein gemeinsamer Bereich aller Werkbünde: die Diskussion und Bildung im Bereich der Umweltgestaltung.

 

Wie erwähnt, gibt es auch in der Schweiz und in Italien einen Werkbund. Inwieweit überschneiden sich die Ziele mit denen des Deutschen Werkbunds?

In der Vorkriegszeit gab es noch in vielen anderen Ländern einen Werkbund – z. B. in Österreich und in Tschechien. Auch heute verfolgen alle Werkbünde im Grunde sehr ähnliche Zielsetzungen. Wobei wir immer drüber sprechen und streiten: Was will der Werkbund? Was ist unser Qualitätsverständnis? Was sind Forderungen dazu? Wo wollen wir hin? Es gibt kein abgeschlossenes Werkbund-Manifest, in dem das geregelt ist. Mit den sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern sich die Antworten auf unsere Fragestellungen und natürlich auch die Arbeitsschwerpunkte. Der Werkbund schwelgt nicht in seiner Geschichte, wir versuchen, an aktuellen Themen dranzubleiben. Und dieses kontinuierliche Fragen vor den Hintergrund des Qualitätsverständnisses, das eint alle Werkbünde.

 

Dennoch hat der Werkbund eine beeindruckende Geschichte, die auch das deutsche Design geprägt hat: Auf Bestreben des Deutschen Werkbundes wurde unter anderem der Rat für Formgebung gegründet. Außerdem gründeten Mitglieder des Deutschen Werkbundes die HfG Ulm, die als international bedeutendste Design-Hochschule nach dem Bauhaus gilt.

Natürlich, Mitglieder des Werkbunds haben Design geprägt und prägen es auch immer noch. Zwei Beispiele aus der Geschichte nach der Wiedergründung sind: Erstens, Anton Stankowski, der auch das Werkbund-Logo entwickelt hat, hat auch das bis heute von der Deutschen Bank verwendete Logo entworfen. Seine Person ist vom Werkbund nicht zu trennen. Zweitens, sind wir anlässlich der Olympischen Spiele 1972 in München in unseren Archiven auf frühe Korrespondenz zwischen Jochen Vogel, dem damaligen Münchner Oberbürgermeister, und Werner Wirsing, dem Vorsitzenden des Bayerischen Werkbunds, gestoßen. Da fragt z. B. Vogel Wirsing: Was machen wir mit diesen Olympischen Spielen? Und Wirsing formuliert für den Bayerischen Werkbund sehr schnell die Forderung nach offenen und demokratischen Spielen – ganz im Gegensatz zu den Spielen der Nazizeit in Berlin. Später entwickelt Otl Aicher dann das Gestaltungskonzept für die Olympischen Spiele. Und Wirsing baut das Sportlerdorf, was heute Studentisches Dorf ist. Natürlich sind dann sowohl Aicher als auch Wirsing mit ihren eigenen Büros aufgetreten, aber ihre Arbeit lässt sich nicht vom Werkbund trennen. Der Werkbund wirkt bis heute durch die Arbeit seiner Mitglieder.

 

Ab 1992 kam mit dem Werkbund Sachsen der erste Landesverband in den neuen Bundesländern hinzu. Wie hat sich dann die Zusammenarbeit im Werkbund mit den neu gegründeten Landesverbänden gestaltet? Gibt es Unterschiede?

Es ist ein sehr befruchtendes Miteinander. Allerdings gibt es in den neuen Bundesländern nicht so viele Werkbünde. Neben Sachsen gibt es noch Sachsen-Anhalt und dann Berlin – der ursprüngliche Westberliner Werkbund, jetzt aber mit einem größeren Einzugsbereich. Heute arbeiten alle regionalen Werkbünde völlig unterschiedsfrei zusammen und diskutieren miteinander auf Augenhöhe.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.


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