Noa K. Ha - 10. Februar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturerbe Fasching-Fastnacht-Karneval

Schluss mit lustig


Stereotype und ethnisierende Kostüme sind rassistisch

An Karneval tauchen in gewohnter Wiederkehr und, leider auch, in gewohnter Arglosigkeit, eine Reihe von Kostümen auf, die Menschen als „Andere“ verkleiden – und zwar nicht als andere berühmte Personen, sondern als eine stereotype Darstellung von nichteuropäischen Menschen bzw. „Völkern“ – wie den „Afrikanern“, den „Chinesen“ oder den „Indianern“. Es sind diese Kostüme, die einem Kinderbuch oder einem ethnologischen Museum entsprungen zu sein scheinen, in die sich die Karnevalslustigen hineinstecken und mit der entsprechenden Hautfarbe schminken: schwarz, gelb oder rot.

 

Und schon sind wir mittendrin angekommen: bei der Frage, was unterscheidet Menschen voneinander, wie sehen unterschiedliche Menschengruppen aus und warum meinen wir zu wissen, dass es unterschiedliche Menschengruppen, nämlich Menschen“rassen“ gibt, die sich aufgrund von Hautfarbe, Haarfarbe oder Augenfarbe voneinander unterscheiden? Und warum meinen wir, dass es eine gute und lustige Verkleidung ist, sich ein stereotypisiertes Kostüm der vermeintlich nichteuropäischen Anderen überzuziehen – und sich nicht zu fragen, was dieser Akt der Verkleidung mit Kolonialismus und Rassismus zu tun haben könnte?

 

Diese Stereotypen und ethnisierenden Kostüme führen von Jahr zu Jahr zu einer Diskussion darüber, ob Kostüme rassistisch sein können – und es tut mir leid, dass es sich hier um keinen Spaß mehr handelt, denn ja, diese Kostüme sind rassistisch. Warum? Weil sie eine Geschichte der Plünderung und der kulturellen Enteignung reproduzieren. Eine Geschichte, die bis heute nicht abgeschlossen ist, weil wir bis heute darüber debattieren, wem denn all die Objekte in den europäischen ethnologischen Museen gehören und wem sie zurückgegeben werden sollten, wenn sie unrechtmäßig erworben wurden – oder um es drastischer zu formulieren: Bénédicte Savoy sprach davon, dass an diesen Objekten Blut hängt. Daher brauche es eine Auseinandersetzung mit der deutschen und europäischen kolonialen Vergangenheit.

 

Es ist dieser historische Kontext, auf den ich mich beziehe, um die ethnisierenden Kostüme zu problematisieren und das rassistische Gepäck aus dem Karnevalskoffer zu holen. Denn zur Zeit der Aufklärung wurde zwar die europäische Idee der Gleichheit aller Menschen postuliert, aber auch und zugleich die hierarchische Einteilung von Menschen in „Rassen“ vorgenommen. Diese Einteilung wurde mit der Vermessung der Welt und mit der Vermessung von Schädeln sowie der Kartierung von Haut-, Haar- und Augenfarben scheinbar wissenschaftlich bewiesen. Zur Geschichte der europäischen Moderne gehört sowohl die Darstellung von anderen Kulturen, ihrer Traditionen und ihrer Kleidung in ethnologischen Museen als auch die Zuweisung spezifischer geographischer Regionen zu spezifischen Kulturräumen und Menschen“rassen“, eine Vorstellung, von denen weiterhin so manches ethnologische Museum bis heute bewohnt wird. Mit dieser Einteilung wurde ganzen Menschengruppen das Mensch-Sein abgesprochen und sie wurden zu „Anderen“ – zu „Edlen Wilden“, „Primitiven“, „Barbaren“, „Naturmenschen“ unter anderem gemacht.

 

Bis heute ist so manches ethnologische Museum in Deutschland und Europa nach den Kontinenten der Welt organisiert und besitzt umfängliche Sammlungen aus nichteuropäischen Ländern. Sammlungen, die im Zuge des europäischen Kolonialismus unter nicht gänzlich geklärten Umständen nach Europa gelangten, und bisher sind ein Teil der Objekte weder aus den Kisten entpackt noch katalogisiert worden. Das Ausmaß der Sammlungen in Europa ist so groß, dass auf dem afrikanischen Kontinent Museen als Behausungen für verlorene und geraubte Objekte gebaut werden und andere Museen leer stehen, weil der Kontinent seiner Kulturgüter und einer eigenen Erzählung der Kulturgeschichte beraubt wurde, wovon beispielsweise das fast leere Nationalmuseum Tansanias zeugt. Ein Ausmaß, von dem wir in Europa erst langsam beginnen zu realisieren, wie groß die Gewalt und Plünderung in den europäischen Kolonien war – aber bis heute gibt es keinen Konsens über die Unrechtmäßigkeit des europäischen Kolonialismus – und bis heute erinnern die Grenzen von 1884/85 auf dem Kontinent an die Konferenz in Berlin zur Aufteilung Afrikas unter den europäischen Mächten.

 

Vor diesem Hintergrund ordne ich die ethnisierenden Karnevalskostüme ein, die aus kleinen Kindern und großen Erwachsenen „Chinesen“, „Indianer“ oder „Afrikaner“ machen. Eine Tradition, die von der Routiniertheit und Gewissenlosigkeit des europäischen Kolonialismus zeugt, weil sie verklärt wurde und unter der Prämisse einer „Zivilisierungsmission“ sich in das europäische Selbstverständnis als scheinbar legitimes Unterfangen eingeschrieben hat – und bis heute die Benennung von Rassismus als Erbe des Kolonialismus schwer benennbar macht. So führen alle Jahre wieder der Verweis auf die kolonialen Kontinuitäten dieser Karnevalskostüme zu einer vehementen Debatte darüber, ob diese Kostüme nun rassistisch seien oder nicht. Nun, sie sind rassistisch, weil sie ethnisieren und die koloniale Idee der Menschen“rassen“ fortschreiben.

 

Auch wenn diese Feststellung Gefahr läuft, den Spaß zu verderben, weil die Gegenwart unkomfortabel wird und gewohnte Handlungen als unmoralisch bewertet werden – so bin ich dennoch überzeugt, dass wir in der Lage sind, Kostüme an Karneval zu tragen, die nicht rassistisch sind, sondern solche Kostüme tragen können, die dem Leben mit Humor, Respekt und Toleranz begegnen – sei es als Spazierstock, Lachmöwe oder Musikkassette.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.


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