Marsch und Walzer
Musik in Fasching-Fastnacht-Karneval
Mitsingen, mitschunkeln: Ob Klassiker oder aktuelle Hits, ob Willi Ostermann oder die Höhner – die 5. Jahreszeit ist ohne Musik undenkbar. Maike Karnebogen spricht mit dem Leiter des Forschungsinstituts für Musiktheater an der Uni Bayreuth und gebürtigen Kölner Anno Mungen darüber, was ein Lied zum Karnevalslied macht, welche Themen im Mittelpunkt stehen und welche Rolle Dialekte spielen.
Maike Karnebogen: Herr Mungen, als Musik- und Theaterwissenschaftler beschäftigen Sie sich unter anderem mit der Operngeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, mit großen Komponisten wie Richard Wagner. Wie kommen Sie zum Thema Karneval?
Anno Mungen: Das überrascht vielleicht. Aber wir sind ein Institut für Musiktheaterforschung. Den Begriff Musiktheater kann man verschieden sehen, durchaus auch ausschließlich in Hinblick auf die klassischen Gattungen des Theaters wie Ballett, Oper, Operette, Musical etc. Aber als ich mit der Arbeit an der Universität in Bayreuth begann, dachte ich mir, es ist wichtig, den Begriff möglichst breit zu fassen. So wollte ich eine Definition finden, in der das Thema Musik, die Frage der Bildlichkeit und auch die gesellschaftliche Relevanz eine große Rolle spielen. Wenn wir solche Dinge mit einbeziehen, kommen wir zu dem, was wir als sogenannte Alltagsaufführungen bezeichnen. Diese finden eben nicht an den großen Opernhäusern oder Theatern statt, sondern tagtäglich. Dazu zählt auch der Karneval.
Welche Rolle spielt Musik im Karneval?
Lassen Sie mich vorausschicken: Es ist wirklich ein sehr großes Thema – auch historisch betrachtet. Im Kontext der Operngeschichte endete in allen katholischen Gebieten traditionell eine der Spielzeiten mit dem Karneval. Bis zum 19. Jahrhundert hatte der Karneval eine große kulturelle Bedeutung, da er stark an die Kirche geknüpft war. Noch schwerer ist es, aufgrund der großen zeitlichen Differenz und der Quellenlage, sich nach Florenz oder nach Venedig ins 18. Jahrhundert zu begeben und zu schauen, was es dort bedeutet – vor allem wenn wir an den Karneval als performatives Phänomen denken. Wenn man aber auf den Karneval als zeitaktuelles Phänomen schaut, kann man diese Frage natürlich ganz anders betrachten. Das war auch die Grundidee in unserem Forschungsinstitut: zu schauen, was für eine Rolle Musik im aktuell ausgeführten Karneval spielt.
Was macht ein Lied zum Karnevalslied?
Das Spannende ist, dass der Karneval ganz besonders im Sinne der Theatertheorie funktioniert. Es gibt das berühmte Modell der autopoietischen Feedback-Schleife im Theater von Erika Fischer-Lichte, das aufzeigt, dass das, was oben auf der Theaterbühne passiert, das Publikum beeinflusst. Wiederum beeinflusst das Publikum auch das, was auf der Bühne passiert. Und genau das ist im Karneval gang und gäbe. Das heißt, die Trennung von Zuschauer und Darsteller ist nicht mehr so streng gegeben, sondern es ist eine sehr kommunikative, dialogisierte Form des Austausches.
Da spielt wiederum die Musik eine ganz entscheidende Rolle. Wenn
z. B. bei einem Karnevalsumzug die Kapelle ein bestimmtes Musikstück anstimmt, fangen sofort die Leute auf der Straße an, mitzusingen oder mitzuschunkeln. Es erfolgt ein direktes Resultat darauf, was musikalisch passiert. Das lässt sich an sehr vielen Stellen im Karneval beobachten.
Es ist Musik zum Mitschunkeln. Kann man das auch musikalisch eingrenzen?
Die Karnevalsmusik, die man heute auf den großen Karnevalsveranstaltungen spielt, die ist im Grunde genommen recht einfach gemacht, sodass sie schnell auffassbar ist. Den Refrain kann man beim zweiten, dritten Mal schon mitsingen. Es gibt zwei Muster, die hier greifen. Das eine wäre ein Dreivierteltakt, also ein Walzerrhythmus. Das andere wäre ein Marschrhythmus, also ein Viervierteltakt. Das sind auch zwei Grundhaltungen im Karneval: Es wird marschiert oder es wird gewalzt, respektive geschunkelt.
Welche Traditionslieder gehören zur fünften Jahreszeit und wovon handeln sie?
Das ist regional natürlich sehr unterschiedlich. Ich denke auch, dass Karneval sich etwas verändert, weil er, wenn ich das richtig sehe, etwas austauschbarer wird, zumindest was bestimmte Arten von Stimmungsliedern betrifft. Ein wichtiger Repräsentant der kölnischen Karnevalsmusik wäre z. B. Willi Ostermann, der in den 1920er bzw. 1930er Jahren aktiv war, aber heute immer noch gespielt wird. Inhaltlich spielen die Regionalverbundenheit und die Identifizierung mit der Stadt eine große Rolle. Ein anderes großes Thema ist interessanterweise, und da kommen wir zur religiösen Bindung des Karnevals, der Tod. Der Karneval ist auch dafür gedacht, dass man sich seiner Existenz bewusst wird. Das geht natürlich am besten, wenn man an die eigene Sterblichkeit erinnert.
Welche Rolle spielen Texte in regionalen bzw. lokalen Dialekten?
Die Sprache spielt natürlich in der Tat hier im Kölner Raum eine sehr große Rolle. Man könnte so weit gehen, zu sagen, dass die Tradition des Karnevals in Köln auch ganz stark den Dialekt aufrecht hält. Warum ist der Dialekt so wichtig? Einmal wegen der Identitäts- oder Identifizierungsfrage. Aber andererseits auch, weil der Dialekt lautlich etwas möglich macht. Damit wird oft in den Texten gespielt, indem man sich auf bestimmte Lautlichkeiten einlässt, oftmals wiederholt und eine Art Wortwitz schöpft.
Vielen Dank.
Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.
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