Michael Euler-Schmidt - 11. Februar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturerbe Fasching-Fastnacht-Karneval

Eine zweite Heimat


Der Brauchkomplex Karneval aus Kölner Sicht

In Köln „feiert man Carneval des Jahres 1823. Ganz Deutschland hörte von ihm. In den damals gelesenen Zeitungen und Zeitschriften, wie unter andren in der Abendzeitung, der Zeitung für die elegante Welt, in der Morgenzeitung und dem Freimüthigen, erschienen darüber Berichte, die voll des Lobes waren und zur Nachahmung aneiferten.“

 

Die Festordnung des Kölner Karnevals im Jahre 1823 durch ein Festordnendes Comitee schlug damals wie eine Bombe ein. Ausgehend von dieser neuen Strukturierung entwickelten sich ab den frühen 1820er und 1850er Jahren unter anderem in den Städten Aachen, Bonn, Düsseldorf und Mainz traditionelle Brauchstrukturen, die Strahlkraft weit über die jeweiligen Stadtgrenzen und das Rheinland hinaus hatten.

 

Im Übrigen feierte man damals auch im gesamten deutschen Südwesten „Carneval“ nach dem Kölner Vorbild und kehrte erst um die Wende zum 20. Jahrhundert im schwäbisch-alemannischen Raum wieder zu den alten Fastnachtformen zurück, wie sie vor 1800 üblich gewesen waren. Die Wurzeln dieses vielschichtigen Brauchkomplexes „Karneval“ reichen aber zurück bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts. So ist Karneval von seiner Grundidee ein Schwellenfest im christlichen Festkalender, und man bereitet sich in der Gemeinschaft auf die vorösterliche Fastenzeit vor. In der Nacht vor Fasten wurde im 13. Jahrhundert noch einmal deftig gefeiert, und vor allem wurden dabei leicht verderbliche Lebensmittel verzehrt. Nach und nach kamen Tanz, Musik und viele andere Festelemente hinzu.

 

In den darauffolgenden Jahrhunderten kam es, bedingt durch gesellschaftliche Entwicklungen, zu zwei ganz wesentlichen Veränderungen in diesem Festbrauch. So begann im 15. und 16. Jahrhundert die Kirche das mittlerweile ausschweifende Fest didaktisch-pädagogisch als Symbol für das sündhafte, irdische Leben zu sehen und stellte diesem die Fastenzeit als Symbol für das himmlische Reich Gottes gegenüber. Zentrale Figur dafür wurde der gottesferne Narr. Es gab in der Folge in ganz Europa Narrenkönige, die für eine begrenzte Zeit bis Aschermittwoch regierten. Sie und auch kostümierte Jecken stellten in der Karnevalszeit die gesellschaftliche Ordnung infrage und auf den Kopf: Reich wurde zu arm, dünn zu dick, Frau zu Mann oder Mann zu Frau. Man zeigte damit an: Nicht das irdische Leben ist wichtig, sondern das himmlische.

 

Die zweite große Veränderung vollzog sich Anfang des 19. Jahrhunderts, in dem sich eine neue, nun bürgerliche und zunehmend säkularisierte Form des Karnevals entwickelte. Die bisherigen, vielfältigen Festformen wurden nun zentralisiert und geordnet.

 

Doch, was war um 1823 in Köln dafür der Auslöser?

 

Mit dem Einzug der Franzosen 1794 und dem Ende der Freien Reichsstadt änderte sich das gesellschaftliche Gefüge in Köln.

 

Der Karneval musste neue Formen finden, denn das Fest war durch das Verbot der Preußischen Besatzer ab 1814/15 in seinem Fortbestand gefährdet. Kölns Bürger, teils Intellektuelle, die dem Gedankengut der Romantik nachhingen, gründeten deshalb ein ordnendes Comitee. Die zentrale Figur bei den Verhandlungen war der 1823 erste Präsident des Festkomitees, Heinrich von Wittgenstein. Er überzeugte die Besatzer davon, dass es galt, Rücksicht auf lokale Traditionen zu nehmen.

 

Erstaunlich bleiben aus heutiger Sicht die inszenatorischen Ergebnisse, vor allem der Rosenmontagszüge, die von Wittgenstein ausgehandelt hatte. Oberflächlich gesehen, kann man diese ersten Züge ab 1823 als Darstellung kollektiver Erinnerung bewerten. Hinterfragt man die Zusammenstellung aber unter dem Gesichtspunkt der Demonstration von alter Kölner Macht und Stärke, dann ist z.B. die Darstellung der alten Kölner Stadtsoldaten, den Roten Funken, aus der Zeit der Freien Reichsstadt – und das trotz des allgemeinen Uniformverbotes – überaus bemerkenswert.

 

Der Prinz Carneval war zunächst ein König und die Colonia, die zur jungfräulichen Verkörperung der Colonia Agrippina wird, deren Mauern als sinnfälliges Zeichen ihrer Autonomie standgehalten haben, reiht sich hier ebenso ein wie auch der Kölner Bauer mit den 1288 zu Köln-Worringen tapfer verteidigten Stadtschlüsseln Stärke und Reichstreue symbolisierte.
Wohl verpackt war die ganze Szenerie mit Elementen des venezianischen, höfisch geprägten Karnevals, mit dem man sich schon auf einer Stufe sah. Das Gedankengut der Romantik lag als Mantel über allem, streng nach Novalis: „Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder…“.

 

Aber die Preußen gingen auf Nummer sicher. Sie saßen nicht nur am Vorstandstisch des Comitees, ja, sie erfanden auch die Kölner Karnevalsmütze als Sinnbild der Gleichheit der Narren.

 

Rasch wurde der Kölner Karneval zu einem Selbstläufer und zu einem ernst zu nehmenden Touristenfaktor. In Köln wurden die Dächer der Häuser am zentralen Festplatz, dem Neumarkt, abgedeckt, um Platz für die Zuschauer zu finden.

 

Die frühen Festordner spürten zudem die vom Fest ausgehende ungeheure Wucht und Wirkung für die Identitätsbildung von Stadt und Region. Gerade der partizipatorische Charakter und das Feiern in der Gemeinschaft wurde immer mehr zu einem gesellschaftlichen Faktor.

 

Quasi per Kulturtransfer verbreiteten sich die Kölner Brauchformen in ganz Deutschland, denn wie sagten doch die Kölner Zuggestalter 1859: „Unser Karneval war stets, wie früher mehrmals gesagt worden, ein Kind seiner Zeit: In ihm spiegelte sie sich ab, und daher kam es denn auch, das in seinem öffentlichen Auftreten die jeweilige Zeitlage… eine hervorragende Stelle einnahm.“

 

Diese frühe Erkenntnis gilt im Übrigen durch die Jahrhunderte bis heute, denn der Brauchkomplex Karneval ist immer noch ein Spiegelbild der jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse. Der Brauchkomplex reagiert darauf und verändert sich ohne Frage. Aber die Brauchtumshüter müssen darauf achten, dass die Ursprünglichkeit der Brauchformen nicht verwässert, sondern erhalten bleibt. So vor allem die Brauchgrenzen, denn: „Weihnachten ist schließlich auch nicht an Ostern.“

 

Insofern war es richtig und wichtig, dass die Jecken des Rheinischen Karnevals und die schwäbisch-alemannische Fastnacht den Brauchkomplex Fasching-Fastnacht-Karneval mit Kenntnis des Bund Deutscher Karneval zum immateriellen Kulturerbe vorgeschlagen haben und nun das Logo tragen dürfen, denn gewürdigt und mit Inhalt gefüllt wurden bei der Bewerbung unter anderem folgende Aspekte: die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichende Geschichte des Festes; seine große Verbreitung und Wirkkraft; die ungeheure Vielzahl an Bräuchen und Wissensformen in Musik, Sprache, Tanz, Theater, bildender Kunst und Kunsthandwerk etc., die von Generation zu Generation weitergegeben wird; die große Bedeutung des Festes – sowohl als Wirtschafts- und Tourismusfaktor als auch die Identitätsbildung der Region; die vielen Festformen und Bedeutungsinhalte, speziell für Kinder, die mit dem Brauch vertraut gemacht werden; die Gefährdung des Brauchs durch Globalisierung und Kommerzialisierung; der selbstkritische Umgang mit Fehlentwicklungen in Vergangenheit und Zukunft: hier die Aufarbeitung des Nationalsozialismus; Gewährleistung globaler Standards, insbesondere der Menschenrechte, d. h. Gendergerechtigkeit, das selbstverständliche Mitwirken von Menschen aller Glaubensrichtungen, Frauen und Männer aller sozialen Schichten, aller Nationalitäten, hetero- und homosexueller Karnevalisten.

 

Fasching-Fastnacht-Karneval sind drei Begriffe für ein kulturelles Phänomen und das Fest ist längst zum Spiegelbild einer interkulturellen Gesellschaft geworden, und das Brauchtum ist für viele Menschen auch eine „Zweite Heimat“.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.


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