Ulrich Ruh - 11. Februar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturerbe Fasching-Fastnacht-Karneval

Die schwäbisch-alemannische Fastnacht


Ortstypische Kostüme, traditionelle Holzmasken, feste Regeln

Die schwäbisch-alemannische Fastnacht hat eine eigene Prägung, die sie von anderen Spielarten der deutschen Karnevals- bzw. Faschingslandschaft unverkennbar abhebt: Ihre Narrengestalten sind nicht einfach nach individuellem Gusto verkleidet, sondern tragen meist ortsspezifische Kostüme eines einheitlichen Typs, ihre Masken sind in der Regel aus Holz geschnitzt, für das fastnächtliche Treiben an den Tagen vor dem Aschermittwoch gibt es feste Regeln. Praktiziert wird diese besondere Ausprägung der Fastnacht vor allem in traditionell katholisch geprägten Städten und Dörfern Südwestdeutschlands, in den südlichen Teilen von Baden und Württemberg.

 

Die jetzige „Fasnet“ – so heißt die Fastnacht normalerweise im schwäbisch-alemannischen Raum – hat eine wechselvolle Geschichte. Narrenkostüme und Masken lassen sich in manchen Städten Jahrhunderte zurückverfolgen und verraten insgesamt vor allem barocke Züge, etwa Einflüsse aus der italienischen Commedia dell‘Arte. Die ins katholische Kirchenjahr eingebundenen und im reichstädtischen Zunftwesen verankerten Fastnachtsrituale gerieten im Zeichen von Aufklärung und Auflösung der alten Sozialordnungen in eine Krise: Die neuen Staaten, das Großherzogtum Baden und das Königreich Württemberg verboten Anfang des 19. Jahrhunderts sogar das traditionelle Narrentreiben. Auch in dessen bisherigen Kernregionen ging vor allem das Bürgertum im Lauf des Jahrhunderts dazu über, mit Maskenbällen und Umzügen nach rheinischem Vorbild Fastnacht zu feiern.

 

Etwa ab den 1880er Jahren kam es dann im deutschen Südwesten zu so etwas wie einer „fastnächtlichen Konterrevolution“ – so formuliert der Freiburger Volkskundler und Fasnetkenner Werner Mezger. Die alten Kostüme und Masken wurden wieder geschätzt und auch getragen; es bildeten sich eigene Narrenzünfte, die die Pflege des Brauchtums zu ihrer Sache machten. Als Reaktion auf Fasnetverbote und -einschränkungen unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg wurde dann im November 1924 in Villingen die später so benannte „Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte“ gegründet, der anfangs 18 Zünfte angehörten. Es kam in den 1920er und 1930er Jahren daraufhin zu einer ersten Expansionswelle der schwäbisch-alemannischen Fastnacht durch die Schaffung von neuen Narrengestalten nach traditionellen Vorbildern oder ortstypischen Eigenheiten; gleichzeitig fanden die ersten überörtlichen Narrentreffen von verschiedenen Zünften statt.

 

Aber erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die schwäbisch-alemannische Fastnacht sozusagen zu einer flächendeckenden Angelegenheit. Inzwischen gibt es im deutschen Südwesten fast in jedem Ort Narrengestalten in mehr oder weniger großer Anlehnung an die Fastnachtstradition und Narrenvereinigungen, die in verschiedenen Dachorganisationen zusammengeschlossen sind; das gilt auch für früher praktisch „fastnachtsfreie“, weil evangelisch geprägte Städte und Dörfer. Auch das regionale Fernsehen hat die Fasnet längst für sich entdeckt und überträgt an den Sonntagen vor dem Aschermittwoch stundenlang Umzüge von Narrentreffen.

 

Nicht zuletzt durch ihre Expansion in den letzten Jahrzehnten ist die schwäbisch-alemannische Fastnacht heute ein ausgesprochen vielfältiges und vielgestaltiges Phänomen. Da gibt es die alten Zünfte mit ihren traditionellen Masken, Kostümen und Abläufen, aber auch viele neue Gruppierungen, die von den älteren eher von oben herab betrachtet werden. Manche Zünfte sind nach ihrer Mitgliederzahl der weitaus größte Verein am Ort und die Fasnet ist ein wichtiges Element der jeweiligen lokalen Identität und wird entsprechend hoch gehalten; in anderen Fällen ist die Narrenzunft ein Verein unter vielen anderen, der nur eine Minderheit in der Einwohnerschaft überhaupt interessiert. Mancherorts wird streng auf die Einhaltung der festgelegten Kostümierungsvorschriften und Bräuche geachtet, anderswo ist man in dieser Beziehung weniger streng. Manche Fastnachtsstädte ziehen Jahr für Jahr sehr viel auswärtiges Publikum an, in anderen ist die Fastnacht dagegen ein rein lokales Ereignis.

 

Es gibt in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht zwar keine Büttenreden und Prunksitzungen, wohl aber spielt überall das humorvolle oder auch bissige Kommentieren örtlicher Geschehnisse und Personen, oft in Reimform, eine unverzichtbare Rolle im Ablauf der jeweiligen Fastnacht, auch dort, wo es kein förmliches „Narrengericht“ gibt. Der oder die Betroffene sei „in der Fasnet gewesen“ heißt es dann. Allerdings ist auch die schwäbisch-alemannische Fastnacht von den gesellschaftlich-kulturellen Veränderungen hierzulande nicht unbeeinflusst geblieben: Angesichts einer permanenten Event- und Spaßkultur hat die Fastnacht auch in ihren traditionellen Hochburgen ihre frühere Funktion als einmaliges soziales Ventil ein Stück weit verloren. Feiern kann man inzwischen praktisch immer und überall, dazu wird die Fastnacht nicht mehr gebraucht. Um ihre Zukunft braucht man sich aber keine wirklichen Sorgen zu machen: Es fehlt zumindest nicht an Jüngeren, die sie mittragen und auch aktiv mitgestalten; ihre spezifische Faszination in der Verbindung von traditionellen Masken, Kostümen und Bräuchen, Ortsidentität, Spaß und Klamauk ist allem Anschein nach ungebrochen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.


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