Lutz Scherling - 10. Februar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturerbe Fasching-Fastnacht-Karneval

Die fünfte Jahreszeit in der nordöstlichen Diaspora


Karneval in Mecklenburg-Vorpommern

Eine Diaspora ist dort gegeben, wo kleine zerstreute Gemeinschaften auch außerhalb des „heiligen Landes“ leben. Auf das karnevalistische Brauchtum bezogen, sind die bekennenden Narren im Nordosten Deutschlands sicher eine Minderheit. Andererseits fallen die bunten Farbtupfer der Vereinsbanner, Veranstaltungen und Umzüge während der 5. Jahreszeit in einem Land mit einer Bevölkerungsdichte von nur 69 Einwohnern je Quadratkilometer sehr wohl ins Auge. Gerade in den Dörfern und kleinen Städten auf dem Lande sind die Karnevals- und Faschingsvereine oft eine Institution. Sie bereichern nicht nur das Leben während der närrischen Zeit, sondern sind neben der freiwilligen Feuerwehr ehrenamtlicher Garant dafür, dass Dorffeste, sportliche und kulturelle Veranstaltungen über das ganze Jahr hinweg organisatorisch überhaupt geleistet werden können.

 

Die Fastnacht hat auch in Mecklenburg und Pommern traditionelle Wurzeln, die bis ins Mittelalter zurückreichen. In der Geschichtsschreibung wird die Fastnacht erstmals im 14. Jahrhundert erwähnt. Erst mit dem Bekenntnis der Landesfürsten von Mecklenburg und Pommern zur Reformation und somit zum evangelisch-lutherischen Glauben im 16. Jahrhundert hat das Fastnachtstreiben nachgelassen. Selbst Verbote der Kirche und der Landesfürsten konnten die Lust der Menschen am närrischen Treiben nicht brechen. So beweist ein Dokument des Jahres 1540 in den Archiven der Hansestadt Stralsund, dass alle in den „Bann getan wurden“, die den Fastelabend begingen. Der Kirchenvorstand aus Wismar bittet am 20. Februar 1568 den Rat der Stadt, zu Fastnacht den Ratskeller nicht zu öffnen, weil „Huren und Saufen zur Fastnacht der Würde des Menschen nicht angetan seien“.

 

Das Fastnachtstreiben hat nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon und der Bürgerlichen Revolution von 1848 eine Wende genommen. Das aufstrebende Bürgertum hat diesen Brauch aus ihren Zünften und Gilden übernommen. So wurden Kostümfeste, Maskenbälle und Festsitzungen in den Städten gefeiert, auf den Dörfern blieben den Menschen jedoch die traditionellen Fastelabende, Fasching und Faslam karnevalistische Tradition. Ein Schriftstück über die Bestellung des Fastnachtskomitees im Kaufhaus zu Tripkau an der Elbe vom 10. Februar 1861 belegt eine sehr lange neuzeitliche Tradition auch im Mecklenburgischen.

 

Ein Aufschwung des rheinisch geprägten Karnevals mit Prinzen, Garden und Elferrat erfolgte im ersten Teil des 20. Jahrhunderts, als für den Sand- und Kiesabbau in Deutschland Bergleute aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet in Mecklenburg angesiedelt wurden. Typisches Beispiel dafür ist der Radener Carneval Club e.V., der 2020 sein 90-jähriges Bestehen feiert und somit der älteste Mitgliedsverein im Karnevallandesverband Mecklenburg-Vorpommern (KLMV) ist. Auch die Flüchtlingsströme nach dem Zweiten Weltkrieg und die staatlich gelenkte Ansiedlung von Armee und Wirtschaft in der DDR brachten freiwillig oder gezwungenermaßen „Zuwanderer“ in den Norden. Deshalb gibt es bei uns Rheinischen Karneval ebenso wie Fasching oder Fastnacht.

 

Eine ausschließliche Tradition im Norden Deutschlands ist jedoch der Faslam, der in Woosmer an der Elbe begangen wird. Dabei ziehen Narren noch immer, wie einst im Mittelalter die Mägde und Knechte, von Hof zu Hof und verlangen nach lautem Vortrage süße Speisen und vor allem Hochprozentiges.

 

Was für all unsere Vereine gilt: Es gibt keine professionellen Künstler. Bei uns wird Karneval von den Leuten für die Leute gemacht. Dieses gewollt „Unkommerzielle“ ist typisch für den Karneval im gesamten Osten. Ein zahlenmäßig relativ kleiner Verband hat durchaus Vorteile, weil die „närrische Familie“ viel gemeinsam unternehmen kann.

 

So gibt es wohl nur in Mecklenburg-Vorpommern eine landesweite Eröffnung der fünften Jahreszeit am 11.11., jeweils in einer Stadt oder Gemeinde im Land für alle Karnevalisten im Land. Dazu wird eigens ein Sessionsorden geprägt, der das Wappen des Landkreises oder der kreisfreien Stadt trägt, in der der ausrichtende Verein beheimatet ist.

 

Wir wählen seit dem Jahr 2008 jährlich in einer Gala unser Landesprinzenpaar, welches das närrische Volk regiert und den Verband unter anderem beim Tollitätenempfang im Bundeskanzleramt repräsentiert. Seit 2005 verleihen wir den Spaßvogelorden an Menschen des öffentlichen Lebens, die den Karneval im Land uneigennützig unterstützen. Die Landesmeisterschaft im karnevalistischen Tanzsport in Demen zählt ebenso zu den Höhepunkten des Verbandslebens wie unsere Männerballettmeisterschaft in Demmin und der Jugendkunstpreis in Goldberg.

 

Unser Landespräsidententreffen am Aschermittwoch ist eine Tradition, die sich in der DDR entwickelt hat. Die „Arbeitskreise Karneval“ auf DDR-, Bezirks- und Kreisebene luden direkt nach der Session die Präsidenten zu einem „staatlich verordneten“ Erfahrungsaustausch ein. Das haben wir augenzwinkernd in die Zeit nach der politischen Wende mitgenommen und treffen uns mit bis zu 1.000 Aktiven aus dem ganzen Bundesland zu einem bunten, fröhlichen und erfahrungsreichen Abschluss der fünften Jahreszeit. Bei uns werden die Kappen erst 15 Uhr abgesetzt, auch wenn das viele Narren im „heiligen Land“ wohl nicht verstehen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.


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