Michael Kißener - 11. Februar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturerbe Fasching-Fastnacht-Karneval

Die Fastnacht der "Volksgemeinschaft"


Zur Umdeutung von Fasching-Fastnacht-Karneval im Nationalsozialismus

Die Mainzer Fastnacht ist seit alters her ein Volksfest, bei dem die Menschen, lustig verkleidet, die Alltagssorgen vergessen, Standesschranken überwinden und tagelang fröhlich gemeinsam in geselliger Runde feiern. In der Zeit des Nationalsozialismus erschien genau das den Machthabern überaus geeignet, um aller Welt zu demonstrieren, wie eine unter dem neuen Reichskanzler Adolf Hitler 1933 angeblich geeinte deutsche „Volksgemeinschaft“ zusammensteht und sich auf den Weg macht, allen Herausforderungen zu trotzen.

 

Kein Wunder daher, dass das NS-Regime und seine für Freizeitgestaltung zuständige Organisation „Kraft durch Freude“ Fasching-Fastnacht-Karneval förderten wie nie zuvor. Die Mainzer Fastnachter und ihre Vereine, die zum Teil am Ende der Republik wirtschaftlich kaum mehr überlebensfähig gewesen waren, erfreuten sich nach 1933 einer nie gekannten staatlichen Unterstützung und konnten in Sonderzügen herbeigebrachten „Volksgenossen“ ihr Fest nahebringen. Selbst den armen „Volksgenossen“ wurde es durch Zuschüsse möglich, beim Rosenmontagszug einmal für einige Stunden ihre Sorgen zu vergessen. So wurde die Mainzer Fastnacht in der NS-Propaganda schnell zum Demonstrationsobjekt der nun scheinbar verwirklichten, lebendigen »nationalsozialistischen Volksgemeinschaft«, die schon immer wesentlicher Bestandteil der NS -„Weltanschauung“ gewesen, aber auch von vielen in den Jahren der wirtschaftlichen und politischen Krise von Weimar heiß ersehnt worden war.

 

Doch für all das war ein Preis zu bezahlen: Die neue, nationalsozialistische Volksgemeinschaft forderte den Ausschluss aller „Gemeinschaftsfremden“ – Juden hatten die Vereine zu verlassen, waren nunmehr beim Feiern unerwünscht, selbst wenn sie seit Jahrzehnten sich Verdienste um die Fastnacht erworben hatten. Politisch Andersdenkende wurden verdrängt, Vereine, die im Verdacht standen, mehrheitlich eine nicht nationalsozialistische Gedankenwelt zu vertreten, wurden behindert oder gar verboten. Fasching-Fastnacht-Karneval wurden in absurder Weise im Sinne des Regimes umgedeutet als germanische Brauchtumstraditionen und die Vorstände und Komitees von Vereinen und Garden zunehmend mit zuverlässigen Nationalsozialisten besetzt, die ihre Tätigkeit im Sinne des Regimes sicherstellen sollten.

 

Die Folge war, dass mehr und mehr auch im Mainzer Fastnachtsumzug Wagen zu sehen waren, mit denen Juden verhöhnt oder der aggressiven Außenpolitik des Regimes Respekt gezollt wurde. Sogar die Reichspogromnacht fand in einer Mainzer Büttenrede 1939 lobende Zustimmung.

 

Allerdings: Eine völlige Gleichschaltung gelang nicht. Die politische Büttenrede, wie sie seit jeher die Mainzer Fastnacht ausgezeichnet hatte, wurde immer wieder zum Stein des Anstoßes, obwohl der Pressebeauftragte der NSDAP in Mainz, Gustav Staebe, mehrfach betonte: „Wir sind keine Trübsalblaser. Wir wollen Deutsche haben, die lachen können … Wir sind aber der Meinung, daß weltanschauliche Frozzeleien und Hinterhältigkeiten, die Stimmungsmache gegen den Nationalsozialismus bezwecken, nicht aus der ‚Bütt‘ gesprochen werden dürfen. Der Nationalsozialismus hat dem Karneval allen Schutz angedeihen lassen und hilft, wo er kann. Diese verächtliche Stimmungsmache hat aber zu unterbleiben.“

 

Im Blick hatte er dabei Fastnachter wie etwa Seppel Glückert, einen geprägten Katholiken und Zentrumsmann, der schon 1931 in der Bütt gereimt hatte: „Heil ruft man hier, Heil ruft man dort/ Ein Silbchen nur fehlt diesem Wort/ In allen unseren deutschen Landen/ Ist Unheil nur daraus entstanden.“ Auch nach 1933 formulierte er manch kritische Bemerkung über den Nationalsozialismus, zeigte aber auch Anpassungsbereitschaft, etwa wenn er in der Fastnachtszeit für das Winterhilfswerk sammelte. Erhaltene politische Zeugnisse von Mainzer Parteistellen über ihn zeigen, dass man ihm einen Gesinnungswandel freilich nie abnahm. 1939 trat er schließlich zurück, weil ihm die Gefahr, zum Opfer nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen zu werden, wie es einigen anderen Fastnachtern und Karnevalisten widerfuhr, offenbar zu groß wurde.

 

Mit dem Krieg wurde das öffentliche Fastnachtfeiern weitgehend eingestellt. Manch ein Fastnachter half noch bei der moralischen Aufrüstung der kämpfenden Truppe durch Frontbesuche und aufmunternde Vorträge. Nach 1945 erfolgte unter den Mainzer Fastnachtern ebenso wenig eine wirkliche Aufarbeitung dieser Vergangenheit wie in der Gesamtgesellschaft, aber immerhin erinnerte Glückert in seinen ersten Nachkriegsreden auch an das Versagen der politischen Mainzer Fastnacht. Erste volkskundliche Aufarbeitungsversuche erfolgten in den 1970er Jahren, doch viele Zusammenhänge bedürfen bis heute noch einer historischen Aufarbeitung.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.


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