Jörn-Heinrich Tobaben - 5. Mai 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Industriekultur

Die über 500-jährige Geschichte stärker bewusst machen


Industriekultur in der Metropolregion Mitteldeutschland

Im länderübergreifenden Netzwerk der Metropolregion Mitteldeutschland engagieren sich aktuell über 50 strukturbestimmende Unternehmen, sieben Städte und acht Landkreise, Kammern und Verbände sowie Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für die nachhaltige Entwicklung und Vermarktung des Standortes Mitteldeutschland. Der Zusammenschluss will das Thema Industriekultur aus der musealen Ecke holen und länderübergreifend gestalten. Der Geschäftsführer Jörn-Heinrich Tobaben beantwortet Politik & Kultur fünf Fragen zum Thema.

 

Was kennzeichnet die Industriekultur in Mitteldeutschland?
Jörn-Heinrich Tobaben: Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verfügen über eine über 500-jährige Geschichte als Industrieregion. Entsprechend zahlreich sind die Quellen, aus denen sich diese Geschichte speist: Das mittelalterliche „Berggeschrey“ im Erzgebirge, der Maschinen- und Fahrzeugbau in Chemnitz, Magdeburg und Zwickau, die Chemieregion Halle-Leipzig oder der Braunkohlebergbau in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier sind nur einige Beispiele dafür. Zu dieser wechselvollen Geschichte gehören auch viele Strukturbrüche und Transformationsprozesse. Die Region, ihre Unternehmen und Menschen haben sich immer wieder erfolgreich neu erfunden. Heute bildet Mitteldeutschland wieder den wirtschaftlich stärksten Standort in Ostdeutschland.

 

Welchen Stellenwert hat das Thema heute?
Die Beschäftigung mit der Industriekultur in Mitteldeutschland gewinnt zunehmend an Bedeutung. Eine Vorreiterrolle nimmt dabei Sachsen ein, das in diesem Jahr 500 Jahre Industriegeschichte mit einem großen Themenjahr feiert. Hier gibt es bereits seit fast zehn Jahren eine zentrale Koordinierungsstelle für Industriekultur, die seit 2015 bei der Kulturstiftung Sachsen angesiedelt ist.
So weit sind Sachsen-Anhalt und Thüringen strukturell noch nicht, aber auch hier rückt das Thema verstärkt in den Fokus von Politik und Verwaltung. So erarbeitet die Landesregierung Sachsen-Anhalts aktuell ein eigenes Konzept zur Industriekultur. Und auch in Thüringen existiert ein lebendiges Netzwerk zivilgesellschaftlicher Akteure, dessen Aktivitäten zunehmend stärker wahrgenommen werden.

 

Unter dem Dach der Europäischen Metropolregion Mitteldeutschland arbeitet seit 2017 eine Projekt-gruppe „Industriekultur“. Welche Akteure kommen in diesem Rahmen zusammen?
Die Projektgruppe setzt sich aus interessierten Akteuren aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zusammen. Dazu gehören unter anderem Vertreter von Städten und Landkreisen, von Industriekultur-Vereinen, Unternehmen und Hochschulen sowie Akteure aus den Bereichen Tourismus und Museen. Darüber hinaus ist auch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen vertreten.

 

Was sind die Aufgaben der Projektgruppe?
Mit der Projektgruppe bieten wir eine Plattform, auf der sich die mitteldeutschen Akteure über die Grenzen der drei Bundesländer hinaus vernetzen, Erfahrungen austauschen sowie länderübergreifende Themen und Projekte initiieren können. So wollen wir die reiche, gemeinsame Industriekultur der Region stärker bewusst und nutzbar machen.
Ein wichtiges Anliegen der Projektgruppe ist es, den Begriff Industriekultur über die museale Präsentation vergangener Epochen hinaus zu erweitern. Industriekultur ist für uns auch die aktive Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen. Etwa dem Strukturwandel im Energiesektor und der Automobilindustrie oder der Frage, welchen Beitrag die Kreativwirtschaft zur Revitalisierung des ländlichen Raums leisten kann. Dieser Fokus auf Gegenwart und Zukunft ist auch eine der zentralen Aussagen in den Handlungsempfehlungen „Industriekultur in Mitteldeutschland“, welche die Projektgruppe Ende 2019 veröffentlicht hat.

 

Worum geht es in diesem Papier und welche Ziele verbinden sich damit?
Mit den Handlungsempfehlungen möchten wir regionalen Akteuren aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft eine Grundlage für die Planung und Umsetzung ihrer Strategien, Strukturen und Projekte an die Hand geben.
Dazu sind in dem Papier drei Kernthemen definiert und mit entsprechenden Thesen und Empfehlungen untersetzt: das „Bewahren und Erforschen“ des industriekulturellen Erbes, das „Erleben und Vermitteln“ von industriekulturellen Angeboten sowie das „Gestalten und Weiterentwickeln“ der heutigen und zukünftigen Industriegesellschaft. Wichtig ist mir zu betonen: Die Handlungsempfehlungen sind ein Arbeitspapier, das den aktuellen Stand der Diskussion abbilden soll und das wir gemeinsam mit unseren Partnern in Mitteldeutschland zukünftig weiterentwickeln wollen. Denn nur der konsequente Austausch wird uns weiterbringen.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.


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