Reinhard Müller & Theresa Brüheim - 5. Mai 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Industriekultur

80 Meter über Berlin


Der Gasometer in Schöneberg weist den Weg in die energieeffiziente Zukunft

Der Gasometer ist ein Wahrzeichen des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg. 2008 erwarb Reinhard Müller das Gelände rund um das Industriedenkmal. Heute steht der Gasometer auf dem EUREF-Campus, der als „Reallabor der Energiewende“ gilt. Der Gasometer ist geschichtsträchtiges Denkmal der Energieindustrie und imposantes Symbol des zukunftsgewandten Stadtquartiers.

 

Theresa Brüheim: Herr Müller, was ist ein Gasometer?
Reinhard Müller: Der Gasometer – in Berlin-Schöneberg etwas über hundert Jahre alt – ist eigentlich eine Lagerstätte für Gas. Früher wurde aus Steinkohle, die im Übrigen auf der Zeche Zollverein in Essen gebrochen wurde und mittels Zügen nach Berlin kam, Gas produziert. Dafür brauchte man eine Lagerstätte: den Gasometer. Hier wurde das produzierte, gewaschene, gesäuberte Gas gelagert. Der Gasometer hier war mit 160.000 Kubikmetern einer der größten seiner Art in Europa. Er versorgte Teile Schönebergs. Es gab in Berlin, 30, 40 weitere Gasometer.

 

Wie lange wurde er genutzt?
Bis 1995, dann kam das russische Erdgas.

 

Seitdem steht der Gasometer auch unter Denkmalschutz. Welche Besonderheiten bringen sein Erhalt und seine Pflege als Industriedenkmal mit sich?
Es gibt verschiedene Gasometer, dieser hier ist ein Teleskop-Gasometer gewesen, der außen an einer Stahlkonstruktion befestigt war. Eine Erfindung einer englischen Firma, die europaweit diese Gasometer gebaut hat. Die Stahlkonstruktion ist sehr sensibel. Besonders jetzt, da sie über hundert Jahre alt ist und kontinuierlich der Witterung ausgesetzt ist. Hinzu kommt, dass der Gasometer in den Nachkriegszeiten verändert worden ist. Man hat ein Treppenhaus eingebaut. Die dabei verwendeten Stahlteile waren sehr, sehr schlecht – es war eben Mangelwirtschaft. Dieser nachträglich eingebaute Stahl beschädigt die historische Konstruktion erheblich. Daher sprechen wir jetzt mit der Denkmalpflege und anderen Institutionen darüber, diese nichthistorische Fassung von den Störquellen zu befreien. Wir versuchen die Anbauten der Nachkriegszeit zu entfernen, weil das für den Erhalt des Gasometers langfristig nicht gut wäre.

 

Man kann den Gasometer erklimmen und geführte Spaziergänge auf ihm machen.
Rund 400 Stufen geht es hoch, aber dieses in der Nachkriegszeit angebaute Treppenhaus wird, wie gesagt, entfallen. Dann wird man wahrscheinlich mit einem Aufzug hochfahren. Von der oberen Ebene aus hat man in ca. 80 Meter Höhe eine wunderbare Sicht über die Stadt. Wir beschäftigen einen Stadtführer, der in einer Stunde 360-Grad-Ausblicke über Berlin gewährt. Man sieht alles, was das neue Berlin prägt: den Potsdamer Platz, die neue Mitte, den Teufelsberg, das Flugfeld des historischen Flughafens Tempelhof …

 

Der Gasometer ist auch Schauplatz von Romanen, er wurde oft gemalt, unter anderem von Lyonel Feininger … Wie wird aktuell Kunst und Kultur am und im Gasometer betrieben? Was gibt es, was machen Sie möglich?
Der Gasometer steht auf dem EUREF-Campus und zu so einem großen Campus gehört auch Kunst. Wir haben einige Künstler, die hier auch ausstellen, teilweise im öffentlichen Raum, z. B. Ewerdt Hilgemann, Albrecht Gehse oder Detlef Waschkau. Waschkau hat viele Motive mit dem Gasometer angefertigt und Ausstellungen hier gehabt.

 

Den Gasometer kennt mittlerweile auch ganz Deutschland. Nämlich als Schauplatz von Günther Jauchs wöchentlicher Polit-Talkshow. Mittlerweile gibt es die nicht mehr. Inwieweit hat der Gasometer dennoch langfristig davon profitiert?
Das war Zufall. Es begann damit, dass ich die Kuppel des Gasometers, die ursprünglich anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 vor dem Reichstag stand und für ein Jugendparlament genutzt wurde, gekauft habe. Sie wurde gemäß dem Vorbild der Kuppel von Sir Norman Foster, die oben auf dem Reichstag steht, gebaut. Diese Kuppel habe ich in den Gasometer reingesetzt. Zwei Jahre später kam Günther Jauch und sagte: „Ich mache meine Talkshow hier.“ Und er hat auch gesagt: „Ich brauche eine Kuppel über der Kuppel.“ Denn bei Regen wäre es – da es eine Membrane ist – zu laut gewesen. Deswegen habe ich eine 38 Meter hohe Traglufthalle darüber gebaut. Was Sie von außen sehen, ist die größte Traglufthalle der Welt. Sie wissen, der EUREF-Campus ist auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Das gilt auch für die Traglufthalle. Wir brauchen nur 200 Euro pro Jahr für grünen Strom, um diese größte Traglufthalle der Welt seit fast zehn Jahren am Leben zu erhalten. Diese Kuppel wird heute immer wieder „Jauch-Kuppel“ genannt – so weit geht das. Aber auch das ist verständlich, Günther Jauch hat fast fünf Jahre die Talkshow bei uns gemacht. Wir haben ihm unfassbar viel an Aufmerksamkeit, an Akzeptanz, an Besuchern zu verdanken.

 

Inwieweit wird der Gasometer heute für andere TV-Produktionen genutzt?
Sie kennen vielleicht das Musikvideo „Lila Wolken“ von Materia, Miss Platnum und Yasha. Das wurde auf dem Gasometer gedreht. Es gibt auch andere, die den Gasometer als Schauplatz nutzen, aber für eine große Fernsehsendung wird er aktuell nicht genutzt. Nach dem großen Erfolg der Talkshow von Jauch ist er so behaftet, dass wir gerade kein neues Format reinholen wollen.

 

Sie haben es bereits erwähnt: Der Gasometer befindet sich heute auf dem EUREF-Campus, der sich besonders Zielen des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit verschrieben hat. Nehmen Sie uns mit auf einen kurzen Rundgang über den Campus?
Ich bin Architekt und habe vor elf Jahren dieses Gelände erworben. Wir haben hier einen Ort gebaut, an dem wir zeigen, dass die Energiewende machbar und bezahlbar ist. Seit 2014 erfüllen wir die Vorgaben, die in Paris bei der Klimaschutzkonferenz von 192 Staaten festgelegt worden sind, ohne jemals einen Cent Zuschuss bekommen zu haben. Das ist das Besondere daran. Hier auf dem Campus sind Wirtschaft und Forschung zu den Themen Klimaschutz, Energie- und Mobilitätswende angesiedelt. Die TU Berlin betreibt vier Masterstudiengänge rund um die Themen Stadt und Energie hier, die sind so erfolgreich, dass die inzwischen zweimal im Jahr beginnen. Aktuell sind hier 150 Firmen und fast genauso viele Start-ups angesiedelt. Wir haben hier z. B. Climate-KIC vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Der Elektroroller Emmy ist hier in einer Garage entstanden. Oder auch der Fahrdienst CleverShuttle. Die größten Firmen auf dem Campus sind Schneider Electric, ein internationales Unternehmen mit 150.000 Mitarbeitern in 150 Ländern, und die Deutsche Bahn, aber nur der Bereich der Digitalisierung und Innovation ist hier angesiedelt. GASAG wird bald einziehen. Im Prinzip ist es ein Themencampus, wo sich etablierte Firmen und junge Start-ups connecten, neue Ziele definieren und auch Sachen ausprobieren.

 

Vielen Dank.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/heimat/industriekultur/80-meter-ueber-berlin/