Mahnmal und Hoffnungszeichen

Das Grüne Band als Erinnerungslandschaft

Erinnern ist die Basis jeglicher Weiterentwicklung. Um die Gegenwart zu verstehen und um Zukunft positiv gestalten zu können, braucht es das Kennen der Geschichte. Wie kaum ein anderes Projekt ist das Grüne Band dazu geeignet, sowohl als Mahnmal einer dunklen, menschenverachtenden Vergangenheit als auch als Hoffnungszeichen für die friedliche Überwindung derselben und für die Vielfalt und Schönheit der Natur – von der wir ein Teil sind – zu dienen. All dies ist nur möglich durch das Nicht-Vergessen dessen, was dort einmal war.

 

Das Grüne Band ist ein Natur- und Kulturerbe, das sich während der Jahrzehnte dauernden Teilung unseres Landes entwickelt hat und auf 1.393 Kilometern in Deutschland einer großen Vielzahl von gefährdeten Tier- und Pflanzenarten Heimat bietet. Es ist der einzige existierende länder-übergreifende Lebensraumverbund in Deutschland und ein lebendiges Denkmal an die überwundene deutsche Teilung, ein Mahnmal an die Opfer dieser grausamen Grenze. Es verbindet Ost und West und lädt zur Begegnung ein: zum Erfahren und Begreifen unserer gemeinsamen Geschichte und unseres gemeinsamen Naturerbes.

 

Bereits eineinhalb Jahrzehnte vor der Grenzöffnung, seit Mitte der 1970er Jahre, hatten junge Ehrenamtliche des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im nordbayerischen Grenzgebiet von Westseite aus mit der Datensammlung über die Arten im innerdeutschen Grenzstreifen begonnen – siehe Artikel von Kai Frobel in dieser Ausgabe. So wurden wir auf die einmalige Naturvielfalt im Schatten des Eisernen Vorhangs aufmerksam. Durch mein Engagement als Beauftragter für Nordbayern des BUND Naturschutz (BUND Landesverband Bayern) setzten wir uns schon seit Ende der 1980er Jahre für den Erhalt wertvoller Biotope im Land der Grenze ein, die durch die Grenzanlagen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Allein aufgrund politischer Spitzengespräche mit Vertretern der DDR hatten wir 1986 als einziger westdeutscher Naturschutzverband die Möglichkeit bekommen, offizielle Kontakte zur Naturschutzabteilung des Kulturbundes der DDR aufzunehmen. Diese führte in der Folgezeit zu zahlreichen gegenseitigen Informationsbesuchen. Diese direkten Kontakte zu DDR-Naturschützerinnen und -schützern waren ein wesentlicher Faktor, dass wir gleich nach dem Fall der Mauer und der Öffnung der innerdeutschen Grenze ein erstes gesamtdeutsches Naturschutztreffen am 9. Dezember 1989 in Hof umsetzen konnten, bei dem das Grüne Band offiziell aus der Taufe gehoben wurde.

 

Seit dieser Zeit nimmt sich der BUND des innerdeutschen Grünen Bandes federführend an, in Zusammenarbeit mit vielen Partnern: Bundes- und Länderbehörden, Kommunen, Kreisen, Verbänden und Stiftungen, Landwirten sowie zahlreichen Aktiven vor Ort. Doch gerade in der Nachwendezeit war das Grüne Band alles andere als ein Selbstläufer! Die schlimmsten Jahre waren von 1990 bis 1993: Die Schutzidee war jung, und die Naturschutzbehörden in Ostdeutschland erst im Aufbau, sodass innerhalb von kurzer Zeit auf fast 2.000 Hektar Biotope und Grenzrelikte im Grünen Band unter dem Pflug verschwanden und zu Acker wurden. Mitte der 1990er Jahre stellte uns das sogenannte Mauergrundstücksgesetz vor große Herausforderungen. Danach konnten die bundeseigenen Flächen, immerhin die Hälfte des Grünen Bandes, auf dem freien Grundstücksmarkt verkauft werden. Wir forderten damals diese mit Zweckbestimmung Naturschutz als Teil des Nationalen Naturerbes an die Bundesländer zu übertragen. Es bedurfte zwölf Jahre an Hartnäckigkeit, Geduld und Kreativität, bis dies tatsächlich geschah. Die von uns mit durchgesetzte Übertragung der Bundesflächen im Grünen Band an die ostdeutschen Bundesländer wurde damit zu einem Meilenstein für die Sicherung des Grünen Bandes in Deutschland.

 

Ergänzend zu der politischen Lobbyarbeit, kaufte und kauft der BUND bis heute – unterstützt durch viele Spenderinnen und Spender – Flächen im Grünen Band, bisher über 1.000 Hektar, an. Wir setzen hier Maßnahmen um, um die einzigartige Lebenslinie durch Deutschland möglichst wieder lückenlos zu machen und in die Fläche zu vernetzen, um Pflanzen und Tieren einen ausreichend großen Lebensraum zu schaffen, der ihnen dauerhaft das Bestehen überlebensfähiger Populationen ermöglicht sowie genügend Wanderkorridore bietet. Dies trägt auch aber dazu bei, das historische Erbe für die kommenden Generationen zu sichern. Nur dort, wo man das Grüne Band als Spur in der Landschaft sieht und erfahren kann, wird die Erinnerung an eines der prägendsten Kapitel der deutschen Geschichte erhalten. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass zahlreiche Spenderinnen und Spender, die selbst durch die deutsch-deutsche Trennung leidvolle Erfahrungen damit machen mussten, das Grüne Band explizit auch für ihre Kinder und Enkel erhalten wollen – als Ort der Erinnerung. Als lebendiges Denkmal ist damit das Grüne Band heute für viele Menschen ein ganz persönlicher Erinnerungsort, der ihre eigene Familiengeschichte erzählt.

Hubert Weiger
Hubert Weiger ist Ehrenvorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
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