TTIP – Warum ein Abkommen mit den USA Sinn ergibt
Selten wurde ein Handelsabkommen in Deutschland so intensiv diskutiert wie die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP. Es ist gut, dass wir uns gründlich mit dem bisher größten bilateralen Freihandelsabkommen weltweit auseinandersetzen. Der transatlantische Markt steht für etwa 47 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), knapp ein Drittel des Handels und gut 60 Prozent der ausländischen Direktinvestitionsbestände weltweit.
TTIP ist zwar nicht das erste Freihandelsabkommen der EU, in dem es um Regulierungskooperation und viele andere sogenannte Handels-Plus-Themen wie Investitionen, Wettbewerb, öffentliche Auftragsvergabe oder auch Nachhaltigkeit geht. Seit ihrer Handelsstrategie „Global Europe: Competing in the World“ aus dem Jahr 2006 verhandelt die EU mit zahlreichen Ländern weitreichende Handels- und Investitionsabkommen. TTIP ist aber das bislang ambitionierteste unter ihnen.
TTIP hat dafür gesorgt, dass heute in der Handelsnation Deutschland auch über Handel öffentlich diskutiert wird. Das ist gut so. Deutschlands Außenhandelsquote (Waren und Dienstleistungen) ist seit dem Jahr 1991 von 48 Prozent auf 84,7 Prozent im Jahr 2014 angestiegen. Mit einer Exportquote von 45,7 Prozent im Jahr 2014 gehört Deutschland zu den exportstärksten Volkswirtschaften weltweit. Rund jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt direkt oder indirekt am Export.
Dennoch scheinen sich die Positionen der Befürworter und Kritiker von TTIP häufig unversöhnlich gegenüberzustehen. Ein genauerer Blick zeigt aber, dass die Gräben gar nicht so tief und erst recht nicht unüberwindbar sind.
Was für ein TTIP wollen wir?
Der BDI unterstützt ein ambitioniertes Handels- und Investitionsabkommen. Neben Zöllen sollten nicht-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden; Zollverfahren und Ursprungsregeln sollten vereinfacht werden, die öffentlichen Beschaffungsmärkte in den USA stärker geöffnet und der Dienstleistungshandel liberalisiert werden. Zudem sollte TTIP ein Kapitel zu einem modernisierten Investitionsschutz sowie ein Nachhaltigkeitskapitel zu Arbeitsstandards und Umweltschutz enthalten. Die Interessen mittelständischer Unternehmen sollten besondere Berücksichtigung finden.
„Deutsche und US-amerikanische Unternehmen gehören zudem zu den wichtigsten Investoren im jeweils anderen Markt.“
Beim Handel geht es schon lange nicht mehr nur um den Austausch von Waren. Der Dienstleistungshandel gewinnt immer mehr an Bedeutung; gehandelt wird zunehmend auch digital. Sich nur auf den Warenhandel und den Abbau von Zöllen zu beschränken, würde den heutigen Realitäten des Welthandels nicht mehr genügen. Moderne Handelsabkommen brauchen moderne Regeln, um freien und gleichzeitig fairen Handel sicherzustellen.
Warum TTIP?
Die genauen Effekte von Handelsabkommen sind schwer vorherzusagen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, wie wichtig Handel für Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland ist. Die Industrialisierung in Deutschland im 19. Jahrhundert wäre nicht ohne die Schaffung des Deutschen Zollvereins 1834 möglich gewesen. Der Wiederaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg hätte sicherlich deutlich länger gedauert, hätten Länder wie die USA nicht ihre Märkte für deutsche Produkte unter dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) geöffnet. Und schließlich hat die europäische Integration nicht nur für Wohlstand in Europa, sondern auch Frieden und Stabilität gesorgt.
Der beste Weg, den Welthandel zu liberalisieren und zu regeln, wird auch in der Zukunft über die Welthandelsorganisation (WTO) führen. Seit Abschluss der Uruguay-Runde 1994 ist es den WTO-Mitgliedern jedoch mit wenigen Ausnahmen nicht gelungen, sich auf weitere Marktöffnungen zu verständigen. In Abkommen wie TTIP können die Verhandlungspartner ihre Märkte gegenseitig öffnen und das Regelwerk für den Handel weiterentwickeln. Sie sind keine Alternative zur WTO, aber eine sinnvolle Ergänzung.
„TTIP bietet die Chance, die Globalisierung mitzugestalten (…)“
Die USA sind für uns ein besonders wichtiger Partner. Im ersten Halbjahr 2015 sind sie zum wichtigsten Exportmarkt für deutsche Waren geworden – noch vor Frankreich. Pro Tag werden im transatlantischen Markt Waren und Dienstleistungen im Wert von etwa zwei Milliarden Euro gehandelt. Deutsche und US-amerikanische Unternehmen gehören zudem zu den wichtigsten Investoren im jeweils anderen Markt. Da hat schon der Abbau vermeintlich kleiner Handelshemmnisse spürbare Effekte.
Doch braucht man hierfür ein umfassendes Handelsabkommen? Die Erfahrung legt das nahe: Seit über 20 Jahren gab es in der transatlantischen Wirtschaftszusammenarbeit nur wenige Erfolge beim Abbau von nicht-tarifären Handelshemmnissen. Der Transatlantic Economic Council, wurde 2007 auf Initiative von Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Leben gerufen, hat aber nur punktuell Ergebnisse geliefert, etwa im Bereich der Elektromobilität. Durch ein klares politisches Mandat, Zielvorgaben und Überprüfungsmechanismen in TTIP würde die transatlantische Kooperation verbindlicher werden. Ein institutioneller Rahmen kann die Prozesse offener, inklusiver und transparenter machen.
TTIP bietet die Chance, die Globalisierung mitzugestalten, dabei hohe Standards zu schützen und die Rechtssicherheit bei Handel und Investitionen zu erhöhen. Der Rückzug ins Nationale als Alternative kann nicht die Antwort auf die Globalisierung sein, in der schon bald 90 Prozent des Wachstums außerhalb Europas generiert werden.
Was darf TTIP nicht?
Ein Abkommen, dass unsere bestehenden Vorschriften im Bereich der Produktsicherheit, des Verbraucherschutzes des Umweltschutzes oder des Datenschutzes unterminiert, würden auch wir ablehnen. Die Europäische Kommission und die Bundesregierung haben wiederholt zugesichert, dass es nicht zu einem Abbau von Standards kommen wird. In zentralen Themen des Dienstleistungsbereichs, etwa bei der Daseinsvorsorge und der Kultur, soll es keine weiteren Liberalisierungsverpflichtungen geben.
Die EU-Kommission schlägt vor, einen institutionellen Rahmen für die künftige regulatorische Zusammenarbeit zu schaffen. Kritiker befürchten, dass diese Ausgestaltung von TTIP als sogenanntes living agreement und die geplanten Regelungen zum Investitionsschutz europäische Regeln angreifen oder den Gestaltungsspielraum Europas einschränken könnten. Der Informationsaustausch zwischen Regulierungsbehörden kann aber zu Entlastungen für die öffentliche Hand und Unternehmen führen. Eine engere transatlantische Zusammenarbeit bei der Regelsetzung für Zukunftstechnologien, etwa bei der Nanotechnologie oder bei selbstfahrenden Autos, kann dazu beitragen, dass sich deutsche Ingenieurkunst auch zukünftig auf dem US-Markt durchsetzen kann. Klar ist: Entscheidungskompetenzen dürfen nicht weg von Parlamenten und Regierungen auf transnationale Gremien verlagert werden. EU-Kommission und US-Regierung haben wiederholt klargestellt, dass auch künftig jede Seite über Regelungen zum Schutz von Verbrauchern, Umwelt oder Daten eigenständig entscheiden kann. Der Vertragstext muss so formuliert sein, dass keine rechtlichen Unsicherheiten entstehen.
„Die Verhandlungen müssen transparenter werden.“
Demokratische Entscheidungen werden auch durch den Investitionsschutz nicht in Frage gestellt. Schiedsgerichte können Investoren in Einzelfällen Entschädigungen zusprechen, aber nicht Gesetze oder Verwaltungsakte für ungültig erklären. Die Sorge, dass schon die Möglichkeit einer Investorenklage Staaten davon abhält, bestimmte Gesetze zu verabschieden, ist empirisch nicht belegt. Die Praxis zeigt, dass Schiedsgerichte für Unternehmen nur ultima ratio sind. Wer verklagt schon das Land, in und mit dem man gute Geschäfte machen will? Aber: Über die Notwendigkeit, den Investitionsschutz zu reformieren, besteht großer Konsens. Der BDI setzt sich seit Langem dafür ein, die Transparenz der Verfahren zu verbessern und einen Berufungsmechanismus zu etablieren. Die Unabhängigkeit der Schiedsrichter muss sichergestellt werden, klare Definitionen des materiellen Rechtsschutzes verhindern Missbrauch. Wenn dies gelingt, dann kann TTIP ein Vorreiter für einen modernen Investitionsschutz sein. Der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission greift viele der genannten Reformideen auf.
Brücken bauen, Dialoge stärken
Ohne Frage: Die Verhandlungen müssen transparenter werden. Durch die öffentliche TTIP-Debatte ist die EU-Handelspolitik aber bereits offener und transparenter geworden. Sie zeigt, dass Bedenken, die konstruktiv in die Verhandlungen eingebracht werden, auch gehört werden. Die Kommission hat mittlerweile wichtige Klarstellungen über den Schutz der Kultur, die öffentliche Daseinsvorsorge oder auch die Befugnisse des Regulierungsforums vorgenommen. Auf der Website der EU-Kommission und des Bundeswirtschaftsministeriums sind zahlreiche Dokumente, Erklärungen und Informationsbroschüren zu den TTIP-Verhandlungen veröffentlicht. Wer sich über TTIP informieren will, kann dies tun.
Wir werden weiterhin für den Erfolg der TTIP-Verhandlungen werben. Dazu gehört für uns, den öffentlichen Dialog zu fördern. Mit dem „Dialogforum Freihandel“ haben wir eine neutrale Plattform ins Leben gerufen, auf der sich jeder über TTIP informieren und eine Bürgeragenda erarbeiten kann, für ein aus seiner Sicht gutes Freihandelsabkommen. TTIP wird nur dann ein gutes Abkommen, wenn es von der Bevölkerung akzeptiert wird. Dafür werden wir uns weiter einsetzen.
Dieser Text ist zuerst in Politik & Kultur 01/2016 erschienen.
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