Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz - 25. Mai 2014 Kulturrat_Logo_72dpi-01

TTIP

Keine Liberalisierung um jeden Preis TTIP - Ausnahme für den Kultursektor notwendig


Seit fast einem Jahr verhandeln die EU-Kommission und die US-Administration über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP). Ziel ist es, angesichts der stockenden Liberalisierungsverhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation den Handel mit Gütern und Dienstleistungen zwischen den USA und der EU zu erleichtern.

 

Um es gleich vorweg zu sagen, es ist keineswegs so, dass nur vermeintlich „böse“ US-Amerikaner ihre Produkte und Dienstleistungen zu günstigeren Konditionen in der EU anbieten wollen, in mindestens gleichem Maße streben Unternehmen aus der EU und speziell auch aus Deutschland auf den US-amerikanischen Markt. Dieser Markt ist sowohl für die deutsche Maschinenbau-, wie auch Automobil- oder Chemieindustrie höchst interessant. Also, beidseits des Atlantiks gibt es zahlreiche Unternehmen, die großes Interesse an einer Liberalisierung des Handels mit Gütern und Dienstleistungen haben und sich bessere Absatzchancen erhoffen. Und ebenso gibt es diesseits und jenseits des Atlantiks Bedenken gegenüber dieser Liberalisierung.

„Der Rundfunk hat eine herausragende Bedeutung für (…) die Demokratie.“

Besonders in der Kritik steht das geplante Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren, das im TTIP verankert werden soll. Es bedeutet, dass ein Unternehmen einen Staat vor einem privaten Schiedsgericht verklagen kann, wenn es der Auffassung ist, dass durch staatliche Entscheidungen seine Gewinne geschmälert werden bzw. seine Investitionen sich letztlich nicht lohnen. Die Bundesregierung beteuert immer wieder, dass sie die Verankerung einer solchen privaten Gerichtsbarkeit für nicht erforderlich erachtet, da sowohl in der EU als auch den USA rechtsstaatliche Regeln gelten. Angeführt wird allerdings stets, dass manche EU-Mitgliedstaaten solche Investor-Staats-Streitschlichtungsverfahren in Freihandelsabkommen mit den USA zu ungünstigen Konditionen vereinbart haben und sich von einem EU-Abkommen einen höheren Schutz erhoffen. So nachvollziehbar dieser Grund für diese Staaten sein mag, muss doch grundsätzlich die Frage nach der Vereinbarkeit solcher Verfahren mit der Demokratie gestellt werden. Die parlamentarische Demokratie lebt davon, dass Entscheidungen von einer neuen Regierung revidiert werden können. Die Wähler entscheiden schließlich mit der Stimmabgabe für ein bestimmtes politisches Programm. Wenn nunmehr Unternehmen Staaten für ihre politischen Vorhaben verklagen können, werden damit die Grundfesten der Demokratie in Frage gestellt. Nicht mehr der Wähler entscheidet, sondern Unternehmen. Denn welche Regierung wird künftig noch wagen, bestimmte politische Maßnahmen zu ergreifen, wenn große Unternehmen mit Schiedsverfahren und Strafzahlungen in Milliardenhöhe drohen. Eine so unverhohlene Durchsetzung von Unternehmensinteresse wie bei der Planung von Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren verschlägt fast den Atem.

 

Ebenfalls eine Frage des Respekts vor den demokratischen Traditionen der EU-Mitgliedstaaten ist die Einstufung des TTIP als reines Handels- oder als gemischtes Abkommen. Ein reines Handelsabkommen müsste ausschließlich vom Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament verabschiedet werden. Hingegen bedürfen gemischte Abkommen auch der Zustimmung in den Mitgliedstaaten. Für die Bundesrepublik hieße das, dass sowohl der Deutsche Bundestag als auch der Bundesrat zustimmen müssten. Diese Zustimmungspflicht ist nicht allein ein Tribut an den Föderalismus. Sie ermöglicht vielmehr die Mitbestimmung der gewählten Vertreter über den Deutschen Bundestag und die Landesregierungen.

 

Würde auf die Beteiligung von Deutschem Bundestag und Bundesrat beim TTIP verzichtet werden, hätte dieses auch über dieses Abkommen hinaus eine verheerende Signalwirkung für weitere Abkommen, die von der EU verhandelt werden.

 

Dank der französischen Regierung wurde im Verhandlungsmandat festgezurrt, dass audiovisuelle Dienste nicht vom Mandat erfasst werden, im Klartext: nicht verhandelt werden. Es gehört schon eine gehörige Portion Ignoranz gegenüber sensiblen Themen eines Verhandlungspartners dazu, wenn die USA gleich zu Beginn der Verhandlungen trotzdem Forderungen im audiovisuellen Sektor stellen. Gerade dieser Sektor ist besonders empfindlich. Es geht hier um mehr als um die für die europäische und deutsche Filmwirtschaft bedeutsame Filmförderung, es geht auch um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, um privaten Rundfunk, um die Games- und Musikwirtschaft und letztlich auch um E-Books.

„Nicht mehr der Wähler entscheidet, sondern Unternehmen.“

Audiovisuelle Medien sind nicht nur relevant für die Kulturwirtschaft. Der Rundfunk, speziell der öffentlich-rechtliche, hat eine herausragende Bedeutung für die Meinungsfreiheit, für die freie Zugänglichkeit zu Informationen und damit letztlich für die Demokratie. Es muss sichergestellt sein, dass auch in der Zukunft Rundfunkangebote im Internet werbefrei und sicher vor Überblendungen durch Dritte sein können. Da in Deutschland die Zuständigkeit für den Rundfunk bei den Ländern liegt, ist es bedeutsam, dass der Bundesrat in den Entscheidungsprozess einbezogen wird und über das ausverhandelte Abkommen mit entscheidet.

 

Immer öfter ist von der amerikanischen Seite von der Änderung der UN-Handelsklassifikation zu hören, sollte speziell die Ausnahme für den audiovisuellen Sektor durch die EU aufrechterhalten bleiben. Gedroht wird damit, dass durch die Änderung der Handelsklassifikation aus audiovisuellen Medien Telekommunikationsdienstleistungen werden könnten. Die vereinbarte Ausnahme würde dann nicht mehr greifen und der audiovisuelle Sektor wäre von der Liberalisierung durch das TTIP voll erfasst.

 

Vermeintlich technische Klassifikationsfragen haben also eine große Bedeutung für den Geltungsbereich des Abkommens. Die Bundesregierung ist gefordert, ein genaues Augenmerk auf das Thema Handelsklassifikation zu richten.

 

Angesichts vielfacher Kritik am TTIP wird derzeit diskutiert, sogenannte Negativlisten zu formulieren, in denen festgelegt wird, welche Sektoren vom Abkommen nicht erfasst werden sollen. Alle nicht genannten Bereiche wären automatisch vom TTIP-Abkommen erfasst.

 

Es stellt sich die Frage, warum die Freunde der Liberalisierung nicht Positivlisten erstellen wollen, in denen niedergelegt wird, welche Wirtschaftsbereiche konkret erfasst werden sollen. Solche Positivlisten könnten dazu dienen, konkret für einzelne Branchen die erwarteten Vorteile einer Liberalisierung des Handels von Gütern und Dienstleistungen zu beschreiben und nach einem festzulegenden Zeitraum zu evaluieren, ob der erwartete ökonomische Nutzen tatsächlich eintritt. Es würde damit nachvollziehbar, wem ein Freihandelsabkommen wie das TTIP tatsächlich nutzt.

 

Negativ- wie auch Positivlisten stellen per se auf aktuelle technische Entwicklungen und Diskussionsstände ab. Sie weisen nicht in die Zukunft. Mit Blick auf die derzeit rasante Entwicklung speziell der digitalen Medien ist es kaum vorstellbar, in einer Negativ- oder Positivliste diesen Bereich adäquat zu beschreiben. Deshalb ist die vollständige Bereichsausnahme für den Kultursektor letztlich die beste Möglichkeit um die Gefahren durch TTIP beherrschbar zu halten.


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