Matthias Wissmann - 26. August 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

TTIP

Die Chancen nutzen


Das "Fenster" für TTIP ist nicht mehr lange geöffnet

Die deutsche Automobilindustrie misst die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft mit den USA (TTIP) nicht ausschließlich nach ökonomischen Kriterien. Wir sind davon überzeugt, dass das transatlantische Abkommen für alle Beteiligten große Chancen bei der gemeinsamen Schaffung globaler Standards bietet. Hiervon profitieren auch Bereiche wie Kunst und Kultur angesichts neuer Verbreitungswege oder Fragen des Datenschutzes und geistigen Eigentums. Es gibt keine gegensätzlichen Interessen von Kultur und Wirtschaft. Wir alle lieben Kultur und wollen sie erhalten. Die öffentliche Förderung von Kultur muss aber auch finanziert werden. Befürchtungen über negative Auswirkungen von TTIP auf die öffentliche Kulturförderung sind aus unserer Sicht unbegründet. Im Gegenteil: Erst hohe staatliche Steuereinnahmen von erfolgreichen Unternehmen und deren Beschäftigten ermöglichen eine von uns allen gewünschte öffentliche Kulturförderung. Das Verhandlungsmandat der EU-Kommission umfasst ausdrücklich und zu Recht den Kerngedanken, dass die europäische Kultur in ihrer Vielfalt auf jeden Fall erhalten bleiben muss und nicht gefährdet werden darf. Dies wird von der Bundesregierung übrigens ebenso gesehen.

 

Auch das geplante Freihandelsabkommen von Europa und Kanada (CETA) bewahrt den kulturellen Gedanken. CETA bestärkt das Recht beider Seiten, die kulturelle Vielfalt zu schützen und zu fördern. Kanada und die EU versichern in dem Handelsabkommen, dass sie sich an das UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen gebunden fühlen.
Doch wir sehen auch: Die Uhr für beide Abkommen tickt. Insbesondere für TTIP drängt die Zeit. Die jetzige US-Administration hat zwar bekräftigt, dass sie alles daran setzen wird, um bis zum Ablauf der aktuellen Amtszeit im November das Thema in trockene Tücher zu bekommen. Doch die globalisierungskritische Stimmung im US-Wahlkampf zeigt, wie es um die Zukunft von TTIP bestellt sein könnte, sobald ein neuer US-Präsident gewählt ist.

 

Eines ist klar: Die Chancen für TTIP werden dann nicht größer. Deshalb ist es so wichtig, dass die Politik – in Brüssel und wichtigen EU-Ländern, vor allem auch in Deutschland – dieses „Window of Opportunity“ entschlossen nutzt. In der oftmals emotional geführten öffentlichen Debatte der vergangenen Monate hatten meist die TTIP-Gegner die Nase vorn. Wir müssen die Sorgen der Kritiker ernst nehmen, dürfen aber auch nicht immer wieder vergessen, welche Vorteile TTIP bringen kann – und welche Nachteile ein Scheitern für viele Menschen hätte. Und gerade weil das europäische Haus nach dem Votum Großbritanniens gegen die EU-Mitgliedschaft nicht mehr so stabil wie früher erscheint, darf die Politik jetzt nicht in Attentismus verfallen oder gar den Eindruck von Mutlosigkeit erwecken.

 

Es ist vielmehr entscheidend, wieder den Blick auf die Wertigkeit dieses Jahrhundertprojekts zu richten: Die Europäische Union verhandelt seit Juli 2013 über TTIP. Es geht dabei um die weltweit größte Zone für zollfreien Handel, in dem 820 Millionen Menschen leben. Insbesondere für die Exportnation Deutschland ist der Freihandel von vitaler Bedeutung. Er sichert hohe Wertschöpfung und damit Beschäftigung am Standort Deutschland.

 

Darauf hat die deutsche Automobilindustrie schon früh und mit Nachdruck hingewiesen. In einem Schulterschluss haben sich vor eineinhalb Jahren die Vorstandsvorsitzenden von Automobilherstellern und großen Zulieferern unter der Initiative „Ja zu TTIP“ versammelt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Vereinigten Staaten sind – nach Großbritannien – das zweitwichtigste Exportland für die deutschen Automobilhersteller und ein großer Markt. Die Unternehmen haben noch immer mit erheblichen Handelsschranken zu kämpfen. Allein die Zollabgaben im transatlantischen Handel belaufen sich für sie auf über eine Milliarde Euro jährlich. Würden mit TTIP technische Standards und Zulassungsverfahren für bestimmte Produkte bei gleichem Sicherheitsniveau gegenseitig anerkannt werden können, so könnte das Abkommen gerade kleineren und mittelständischen Unternehmen den Zugang zum US-Markt erleichtern.

 

Eine gute Grundlage für eine vertiefte Kooperation zweier großer Wirtschaftsräume stellt auch CETA dar: Der Wegfall von Zöllen fördert den Handel. Das wirkt sich positiv auf die Exporte der Automobilindustrie nach Kanada aus, wo die deutschen Automobilhersteller – im Gegensatz zu den USA – keine eigenen Produktionsstandorte haben. Ob CETA allerdings, wie anvisiert, bei einem EU-Kanada-Gipfel im Oktober ratifiziert werden kann, ist noch offen. Das Abkommen muss noch von allen nationalen Parlamenten abgesegnet werden. Eine Ablehnung von einem oder mehreren der Parlamente kann nicht ausgeschlossen werden.

 

Ein Scheitern von CETA wäre aber ein großes Risiko für die in der EU versammelten Handelsnationen. Es wäre fatal, wenn die EU nicht mehr in der Lage ist, ihre Interessen bei internationalen Verträgen erfolgreich umzusetzen. Daher müssen wir unsere Kräfte bündeln – Wirtschaft, Gewerkschaften, Öffentlichkeit und natürlich die Kultur. Für die EU dürfte es sonst viel schwerer werden, ihre Industrie- und Verbraucherinteressen durchzusetzen. Deswegen plädiert die deutsche Automobilindustrie für die rasche Vollendung beider Abkommen, die neben Zollabbau eine regulatorische Zusammenarbeit ermöglichen und gleichzeitig hohe Verbraucher-, Umwelt- und Datenschutzstandards sichern. Nur so kann Europa seine Chancen nutzen – für Beschäftigung, Wohlstand und kulturelle Vielfalt.


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