Olaf Zimmermann - 26. August 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

CETA

CETA – Ein kulturpolitischer Sündenfall


Die EU-Kommission hat die europäische Kulturwirtschaft bei den Verhandlungen im Stich gelassen

Wenn in kulturpolitischen Kreisen die Rede auf Kanada kommt, beginnen bei vielen die Augen zu leuchten. Kanada, das Land, das sich für eine weltweite Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt Anfang der 2000er Jahre stark machte. Nicht zuletzt, weil die Erfahrungen durch das NAFTA-Abkommen (North American Free Trade Agreement, Nordamerikanisches Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko) nicht positiver Natur waren und der Dominanz US-amerikanischer Kulturkonzerne, wie Amazon und Google, etwas entgegengesetzt werden sollte. Kanada, das Land, das geradezu als Vorbild für den Schutz der kulturellen Vielfalt gilt. Spätestens seit der amtierende Premierminister Justin Trudeau sein Kabinett nicht nur zur Hälfte mit Frauen besetzt hat, sondern auch Vertreter der First Nations, von religiösen Minderheiten und Flüchtlingen in sein Kabinett geholt hat, gilt Kanada als Vorbild. Ein Freihandelsabkommen mit einem solchen Land kann doch nur positiv sein. Doch lohnt es sich, genau hinzuschauen.

 

Zunächst einmal: Das CETA-Abkommen mit Kanada wurde eben nicht mit dem smarten Justin Trudeau und seiner Regierung, die erst seit dem 4. November 2015 im Amt ist, ausgehandelt, sondern seinem Amtsvorgänger Stephen Harper, der einen strikten Liberalisierungskurs verfolgte und seine Politik, unter anderem auch die Klima- und Umweltpolitik mit der Ablehnung des Kyoto-Abkommens an der US-Regierung orientierte. Die CETA-Verhandlungen begannen im Jahr 2009 zwischen der von José Barroso geführten EU-Kommission und der Harper-Regierung von Kanada. Die Verhandlungen wurden im September 2014 abgeschlossen.
Ebenfalls im Jahr 2009 fand das erste Treffen der sogenannten BRICS-Staaten, seiner Zeit noch ohne Südafrika, statt. In den BRICS-Staaten, Brasilien, Russland, Indien, China und seit 2011 auch Südafrika, leben rund 40 Prozent der Weltbevölkerung. Es sind aufstrebende, selbstbewusst auftretende Schwellenländer, die starke wirtschaftliche Wachstumsraten zu verzeichnen hatten und teilweise noch haben. Ihr Zusammenschluss ist vor allem ein Signal an die nordamerikanischen und westeuropäischen Industriestaaten, dass sie die Gestaltung der globalen Handelsbeziehungen nicht mehr allein bestimmen können.

 

Zeitgleich stagnierte die als Entwicklungsrunde ausgegebene Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) und es wurde immer unklarer, ob es gelingt, im Kontext der WTO die Liberalisierung des Handels von Gütern und Dienstleistungen weiter voranzutreiben und Handelshemmnisse abzubauen.

 

In diesen Kontext sind die Verhandlungen zu CETA eingebettet, die überdies wie bei der die Öffentlichkeit scheuenden Barroso-Kommission üblich im Geheimen und wenig transparent geführt wurden. CETA ist eben kein modernes Abkommen, das der Globalisierung und einem fairen Welthandel gerecht wird, sondern es ist ein Abkommen aus dem Geist des 20. Jahrhunderts von starken Industriestaaten in Nordamerika und Westeuropa. Und es ist ein Abkommen, das von der Vorstellung geprägt ist, dass die Privatisierung von Dienstleistungen, die Senkung von Zöllen und der freie Warenaustausch zu mehr Wohlfahrt für alle führen wird. Die Situation der sogenannten Entwicklungsländer ist ein beredtes Zeichen dafür, dass diese Annahmen falsch waren und sind.

 

Inzwischen sind fast zwei Jahre nach Abschluss der CETA-Verhandlungen vergangen. Die Rechtsförmlichkeitsprüfung des Vertragstextes ist erfolgt und er liegt in den 24 Amtssprachen der Europäischen Union vor. Der EU-Handelsministerrat soll im Oktober dieses Jahres über das Abkommen entscheiden, danach ist das Europäische Parlament am Zug.

 

In einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich das CETA-Abkommen von bisherigen Handelsabkommen. Wurde bislang festgelegt, in welchen Bereichen eine Liberalisierung vorgesehen ist, also eine Positivliste erstellt, wird nun nach dem Negativlistenprinzip gearbeitet. Das heißt, dass zunächst alle Bereiche von der Liberalisierung erfasst werden, es sei denn, sie sind auf einer Negativliste verzeichnet, also ausgenommen. Die EU-Kommission betont stets, dass der Wechsel von Positiv- zu Negativlisten rein technischer Natur ist und keinen Einfluss auf das Schutzniveau hat. Der Kulturbereich ist ein Beispiel dafür, dass dies nicht stimmt. In Positivlistenverhandlungen müssen die Kulturbereiche, die mitverhandelt werden, dezidiert genannt werden. Bei Negativlistenverhandlungen, also CETA und auch TTIP, sind alle Kulturbereiche automatisch Verhandlungsgegenstand, außer sie werden rechtssicher ausgenommen, was schon deshalb sehr schwer ist, weil der dynamische Kulturbereich sich einfachen Definitionen regelmäßig entzieht. Aber ohne eine klare Abgrenzung der Ausnahmebereiche ist eine rechtssichere Herausnahme aus den Verträgen nicht möglich. CETA ist deshalb ein kulturpolitischer Sündenfall, mit letztlich unkalkulierbaren Auswirkungen für den Kulturbereich in der Zukunft.

 

So unterwirft die EU die Kultur grundsätzlich dem CETA-Abkommen und nimmt nur die audiovisuellen Dienstleistungen mit Blick auf den Marktzugang und die Inländerbehandlung aus. Vom Investitionskapitel sind audiovisuelle Dienstleistungen nicht ausgenommen. Demgegenüber nimmt Kanada die gesamte Kulturwirtschaft von den Regelungen zum Marktzugang und zur Inländerbehandlung aus. Weiter besteht nach wie vor eine Klarstellungslücke, ob die Bundesländer weiterhin eine umfassende Regulierungshoheit für den Rundfunk, öffentlich-rechtlich und privat, haben. Ebenso wird die Filmwirtschaft von der EU nicht umfänglich geschützt. Darüber hinaus wird im Investitionskapitel nicht ausreichend ausgeführt, dass kulturpolitische Regeln von Ländern und Gemeinden keine Beschränkung des Marktzugangsrechts darstellen. Selbst der marktliberale ehemalige kanadische Premier Stephen Harper hat in den CETA-Vertrag mehr Schutzräume für die kanadische Kulturwirtschaft hinein verhandelt, als die EU-Kommission für die europäische Kulturwirtschaft. Die EU-Kommission hat die europäische Kulturwirtschaft bei den Verhandlungen einfach im Stich gelassen.

 

Dem Vernehmen nach will die EU-Kommission beim EU-Handelsministerrat im Oktober dieses Jahres in Bratislava nicht nur das CETA-Abkommen verabschieden lassen, sondern zugleich die vorläufige Anwendung vorschlagen. Bislang war es bei Freihandelsabkommen üblich, dass auch das Europäische Parlament vor einer vorläufigen Anwendung erst zustimmen muss. Dieses ist in den Europäischen Verträgen aber nicht zwingend vorgeschrieben. Nach der Entscheidung des Europäischen Parlaments muss das Abkommen, sofern es als gemischtes Abkommen klassifiziert wird, wofür einiges spricht, von den EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Dabei sind die jeweiligen Regeln der EU-Mitgliedstaaten zu beachten. In
Deutschland heißt dies, dass neben dem Deutschen Bundestag auch die Länderkammer, der Bundesrat, beteiligt werden muss.

 

Doch seien wir ehrlich, ein Abkommen vorläufig anzuwenden, heißt die endgültige Inkraftsetzung durch die Hintertür. Und dieses nicht nur mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung dieses Abkommens. Bis dass alle EU-Mitgliedstaaten das Abkommen ratifiziert haben, werden Jahre vergehen. In diesen Jahren hat die vorläufige Anwendung bereits wirtschaftliche Fakten geschaffen, die auch bei einer Ablehnung des Vertrages nicht mehr zurückgenommen werden können.

 

Die kanadische Regierung hat signalisiert, dass sie zu weiteren Verhandlungen bereit ist. Warum diesen Ball nicht aufgreifen und die bestehenden Vorbehalte gegenüber dem CETA-Abkommen aufnehmen und ein wirklich vorbildliches Freihandelsabkommen abschließen? Ich bin fest davon überzeugt, dass sich dies lohnen und auch die Kritiker von Freihandelsabkommen, einschließlich des Deutschen Kulturrates, in die Pflicht nehmen würde, Vorschläge für faire Freihandelsabkommen auszuarbeiten. Dies hätte eine Signalwirkung über CETA hinaus auf weitere Freihandelsabkommen. CETA könnte so zu einer positiven Blaupause für TTIP, das Freihandelsabkommen der EU mit den USA, werden.


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