Yirgalem Fisseha Mebrahtu - 27. Mai 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Exilkultur

Endlich bin ich ein freier Mensch


Exilerfahrung der eritreischen Schriftstellerin Yirgalem Fisseha Mebrahtu

Vor einem halben Jahr bin ich nach Deutschland gekommen. Ich kam aus einem schwierigeren Leben.

 

Die Gefühle der Verwirrung waren nicht einfach. Wie ein Trugbild manchmal, diese unbekannte Gesellschaft. Eine Karte zu lesen, die U-Bahn zu nehmen und tatsächlich dorthin zu gelangen, wohin ich wollte, war die größte Aufregung für mich. Ich hatte keine Erfahrung damit, denn ich komme von einem Ort, an dem ein Leben wie hier undenkbar ist. Aus Eritrea nämlich.

 

In meiner Kindheit wurde mein Land unabhängig. Als ich zu einem jungen Mädchen heranwuchs, wuchs zugleich die Gesetzlosigkeit und Unterdrückung. Das Land voller nüchterner Berater und gesetzestreuer Bürger, hatte es kläglich versäumt, seine Freiheit zu bewahren. Alle Familien sind zerrissen: In Militärlagern, Flüchtlingslagern oder Gefängnissen.

 

Die Alten haben niemanden mehr, der sich um sie kümmert. Eine heile Familie ist in Eritrea nirgends zu finden. Ich schreibe mit Schmerz im Herzen. Auch ich war inhaftiert. Sechs Jahre lang. Eine schwere Zeit und ein Schicksal, das ich mit vielen teile. Als man mich entließ, habe ich nach Schutz und Freiheit gesucht. Dass ich hier in Deutschland landen würde, wusste ich nicht.

 

München hat mich mit offenen Armen aufgenommen. Die Mitglieder des deutschen PEN-Zentrums haben mir Liebe und Beachtung gegeben. Ich habe das Gefühl, an ein Ziel gelangt zu sein. Ich bin endlich frei. Meine neue Herausforderung: Kultur, Sprache, Lebensstandard und Lebensstil zu verstehen und zu lernen, wo doch all das sich so sehr von dem unterscheidet, was ich vorher kannte. Eine überwältigende Erfahrung. Natürlich kannte ich auch in Eritrea Erzählungen über die Industriestaaten. Aber wie es wirklich ist, hier zu leben, wusste ich nicht und auch nicht, wie unterentwickelt mein Land ist.

 

Die Sprache selbst ist keine leichte Herausforderung. Kleine tägliche Aufgaben sind neu für mich. Alles ist so anders, als ich es gewohnt war. Mein gesichertes Leben, die Infrastruktur, die Freiheit, das sind die Privilegien, die ich in meinem Land nie bekommen konnte.

 

Viele meiner Landsleute haben auf der Suche nach Freiheit ihr Leben verloren. Als ich in meinem Land war, vor allem, nachdem ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, kann ich mich an keinen Tag erinnern, an dem ich meine Tür öffnete, ohne meine Schriften zu verstecken. Eine Diskussion über aktuelle politische Themen war nur im Geheimen möglich. Und doch vermisse ich meine Heimat. Nicht leicht ist es, mit der Einsamkeit fertig zu werden. Meine Familie fehlt mir. Und manchmal fühlt es sich an, als hätte ich alles verloren.

 

Ohne Freiheit und Frieden ist das Leben sehr schwer. Die Rettung des eigenen Lebens wird dringlicher und wichtiger als der Wunsch, in dem Land zu leben, das einem das Gefühl gab, nicht das eigene zu sein. Viele Flüchtlinge beginnen zu zählen von dem Tag an, an dem sie die Heimat verlassen haben. Meine Zählung beginnt schon in der Heimat.

 

Der Traum, in Freiheit zu sein, kam mächtig zu mir, als ich in einer dunklen Gefängniszelle eingesperrt war. Ein elendes Leben. Die deutsche PEN hat mir eine Unterkunft gegeben und mir geholfen, ein Gefühl der Sicherheit zu bekommen. Ich hatte die Kraft, ein Buch aus meinen gesammelten Gedichten vorzubereiten, das demnächst gedruckt werden soll. Und doch: Flüchtling zu sein heißt, nicht zu Hause zu sein. Man kann sich nicht mit anderen Autoren treffen und diskutieren. Meine Altersgenossen sind über die ganze Welt verstreut. Aber ich habe die Freiheit zu schreiben. Und ich will die Stimme derer sein, die in Eritrea in Unfreiheit leben müssen.

 

Zeugin will ich sein, für alle schwangeren Frauen, ältere und junge Mädchen, die in Gefängnissen sitzen. Für die jungen und minderjährigen Jungen und Mädchen, die in Wüsten gestorben sind, für die, die im Mittelmeer ertranken und die Eltern, die nach dem Tod ihrer Angehörigen nicht trauern durften.

Aus dem Tigrinischen ins Deutsche übersetzt von A. B

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2019.


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