Johann Hinrich Claussen - 25. September 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kultur- & Kreativwirtschaft in Afrika

Wie afrikanisch ist Afrika?


Oder: Wo ist Afrika noch so richtig "deutsch"?

Wenn es im Gespräch um Afrika geht, kann man immer wieder erleben, dass Deutsche danach fragen, ob Afrika denn so richtig „afrikanisch“ ist. Mir scheint, dass es angemessener wäre zu fragen, wo Afrika noch so richtig „deutsch“ ist. Denn da fällt mir gleich eine hübsche Antwort ein.

 

Am allerdeutschesten ist Afrika nämlich in Kolmanskuppe. Das ist eine Geisterstadt im Süden Namibias, zwischen Lüderitz und der Felsformation Bogenfels an der südlichen Atlantikküste gelegen. Vor 100 Jahren war dort ein Diamantenfieber ausgebrochen. Deutsche kamen, um ganz schnell reich zu werden, und Arbeiter wurden aus Südafrika herbeitransportiert, um das für sie zu erledigen. Blitzschnell entstand eine der bekanntesten Diamantensiedlungen der damaligen Zeit: mit Bahnhof, Verwaltungszentrum, repräsentativen Villen und Freizeitanlagen. Wo es vorher nur Sand und Wind gegeben hatte, entfaltete sich nun ein geschäftiges, aber auch elegantes Stadtleben: „Modisch herausgeputzt in schön zugeschnittener Kleidung promenieren die besseren Hälften der Diamantenkönige durch den tiefen Sand, ihre linke Hand, meistens in Baumwollhandschuhen, hielt rechts steif ihre lange Schleppe im Kleid, während die rechte Hand den mit Federn und Blumen verzierten Hut gegen den Druck des Windes festhielt.“

 

Anfangs suchte man einfach den Wüstensand nach den edlen Steinen ab. Alte Fotos zeigen, wie Arbeiter in langen Reihen durch den Sand robben – weiß und schwarz nebeneinander. Wie einträchtig sie dabei waren und wie der Gewinn geteilt wurde, zeigten die Fotos allerdings nicht. In den 1930er Jahren hörte der gierige Spuk langsam auf. Wind und Sand holten sich das Land zurück. Was für eine morbide Schönheit dabei entstand, kann man in dem Fotoband „Kolmanskuppe. Einst und Jetzt“ von Helga Kohl betrachten.

 

Eine Villa mit feiner Papiertapete, aber durch das zerbrochene Fenster ist der Sand gekommen und füllt die Zimmer nun hüfthoch aus, in zarten Wellen, wie ein Zauberstrand aus dem Reisekatalog, nur eben mitten in einem verfallenen Haus. Andere Sandburgen in diesen einstmals sündhaft teuren Gemäuern sehen aus wie Kunstinstallation, hoch-ästhetisch aufgeschichtet. Und dann diese Menschenlosigkeit, dieser Leerstand, Haus um Haus, Raum um Raum, alles noch da, aber nie, nie wieder wird jemand hier wohnen. In der Turnhalle steht alles parat: das Reck, der Stufenbarren, der Bock  – aber nie, nie wieder wird jemand hier Sport treiben. Auch die Theaterbühne ist bereit für eine Vorstellung, bei der man sich vom Reichwerden erholen könnte. Aber auch hier: nie, nie wieder. Der gleißenden Sonne, dem ultrablauen Himmel scheint das gleichgültig zu sein – dem Wind und dem Sand sowieso. „Unwiederbringlich“ würde Theodor Fontane sagen. Ein Verlust – aber für wen eigentlich?

 

Wenn man „Geisterstadt“ sagt, schaudert es einem wohlig, und Bilder alter Westernfilme erscheinen vor dem inneren Augenkino. Aber vielleicht liegt noch mehr in diesem Wort, nämlich die Frage, ob der Geist dieser Stadt wirklich tot ist oder er nicht anderswo sein Wesen treibt. Was dann wieder zu der Frage zum deutsch-afrikanischen Verhältnis heute führen würde.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2019.


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