Flourish Chukwurah - 25. September 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kultur- & Kreativwirtschaft in Afrika

Nollywood


Afrikas derzeit erfolgreichste Filmindustrie unter der Lupe.

An einem kühlen Sonntagnachmittag treffe ich mich in einem angesagten Restaurant in Lagos, der Wirtschaftskapitale von Nigeria, mit dem vielversprechenden Regisseur Michael Ama Psalmist Akinrogunde, kurz bevor der Rest seiner Crew zum Team-Briefing eintrifft. Sie bereiten am Set gerade einen neuen Film vor, der  – typisch Nollywood – innerhalb der nächsten zwei Wochen produziert und herausgebracht werden soll.

 

„Wir haben erst vor zwei Tagen beschlossen, wer die Rolle des Hauptdarstellers spielen soll“, erklärt Akinrogunde. Die nigerianische Filmindustrie, die oft auch „Nollywood“ genannt wird, ist einer der größten Filmproduzenten der Welt. Die Branche wirft am laufenden Band Filme auf den Markt – zuweilen sind es 50 in einer Woche – und reiht sich damit in der Branche auf Platz zwei hinter Bollywood ein.

 

Das Drehbuch für viele Filme entsteht wie die Filme selbst innerhalb weniger Wochen oder Tage, und das Budget ist zumeist knapp.

 

Nollywood-Filme finden nicht nur in Nigeria großen Anklang, sondern erfreuen sich auch im übrigen Afrika und der ganzen Welt einer enormen Zuschauerschaft. Die Erfolgsgeschichte begann 1992 mit dem Film „Living in Bondage“. Obwohl es sich hierbei nicht um den ersten in Nigeria produzierten Film handelte, begann doch genau mit diesem Film die Geschichte der Filmindustrie, die sich nun Nollywood nennt.

 

„Living in Bondage“ handelt von einem jungen Mann, der aus Verbitterung über seine Armut in einer rituellen Opferzeremonie seine Frau tötet, um sich so Reichtum und Einfluss zu verschaffen. Der Geist seiner toten Frau verfolgt ihn daraufhin und zum Schluss verliert er alles. Diese Art von Handlung ist typisch für die erste Phase der Nollywood-Filme, die sich mit spirituellen und mystischen Themen befassen und vieles überzeichnen.

 

„Living in Bondage“ war extrem erfolgreich und wurde in Nigeria selbst sowie im Ausland ca. 750.000 Mal verkauft. Die Idee für den Film entstand, als der in einem Videoladen arbeitende nigerianische Verkäufer Kenneth Nnebue eine Sendung leerer VHS-Kassetten entgegennahm, die er nicht verkaufen konnte. Er beschloss daher, die Kassetten mit für potenzielle Käufer attraktiven Filmen zu bespielen. Der endgültige Erfolg des Films war geradezu beispiellos.

 

Diese VHS-Kassetten waren unter dem Namen „Home-Videos“ bekannt. Sie waren nicht nur bei den Zuschauern sehr beliebt, sondern fanden auch viel Anklang bei Geschäftsleuten, denen es vorwiegend ums Geldverdienen ging. Handlungen und Schauspieler waren stets ähnlich; Kreativität war nicht oder kaum gefragt.

 

Allmählich nahm der Verkauf von Raubkopien überhand, und weder Schauspieler noch Regisseure verdienten viel an den Filmen, was dazu führte, dass sie zwei- bzw. dreimal so hart arbeiten mussten, um von ihrer Arbeit leben zu können. Auch für Investoren wurde die Branche zunehmend weniger attraktiv.

 

Mitte bis Ende der Nullerjahre bekam die Filmindustrie jedoch neue Impulse: 2009 brachte ein junger Regisseur namens Kunle Afolayan seinen Film „The Figurine“ heraus, der aufgrund seiner Handlung, der exzellenten Kameraführung und der visuellen Effekte von der Kritik hoch gelobt wurde.

 

Dieser Film markierte das Ende der alten Nollywood-Ära und den Beginn einer neuen Epoche. Diese zeichnet sich durch junge Filmemacher aus, denen es weniger darum geht, möglichst viele Filme zu produzieren, sondern für die die Qualität der Filme in puncto Handlung und technische Aspekte im Vordergrund steht.

 

„Religion oder metaphysische Elemente allein sind für die Darsteller in den Filmen nicht mehr die motivierende oder treibende Kraft“, erklärt der Regisseur Femi Odugbemi und fügt hinzu: „Heutzutage geht es in Filmen nicht mehr um Dorfversammlungen und die Dorfältesten, sondern um die Herausforderungen, die das Leben in der Stadt mit sich bringt.“ Trotz knapper Kassen setzen junge Filmemacher wie Michael Akinrogunde nun neue Maßstäbe in Nollywood. Die nächste große Herausforderung besteht darin, den Vertrieb dieser Filme zu organisieren.

 

Nigeria besitzt weniger als 200 Kinos bei einer Bevölkerung von 200 Millionen Menschen. Daher ist es kaum zielführend, die Filme in Kinos zu zeigen. Es boten sich neue Technologien als Alternative sowohl für die Zuschauer als auch für die Filmemacher an: Denn nun können Filmemacher ihre Filme auf Plattformen wie YouTube stellen und sie mithilfe einheimischer Unternehmen und deren Video-on-Demand-Service anbieten. 2008 gründete Jason Njoku die Plattform irokotv, über die Zuschauer nach Bezahlung einer geringen Gebühr die Auswahl unter mehr als 5.000 Filmen haben.

 

„Durch die Digitalisierung von Nollywood-Inhalten waren die Produzenten in der Lage, ihre Erzeugnisse einem viel breiteren Publikum zur Verfügung zu stellen, als dies über normale Vertriebswege möglich gewesen wäre. Dazu kam, dass Online-Lizenzen, Video-, CD- und TV-Rechte eine zusätzliche Einkommensquelle für sie darstellten, sodass sie nun ihre Inhalte besser zu Geld machen können“, erklärt Jason Njoku, der Gründer von irokotv, und betont: „Unsere Hoffnung war immer, dass das Geld in Form von Investitionen wieder in die Nollywood-Industrie zurückfließen würde, um so die Qualität verbessern zu können. Zudem hat der Online-Erfolg von Nollywood-Filmen die Nachfrage erhöht und der Industrie weitere Impulse gegeben.“

 

IrokoTV besitzt außerdem ein eigenes Produktionsstudio, das vor Kurzem vom französischen Sender Canal+ gekauft wurde.

 

Nollywood spiegelte stets die technologischen Entwicklungen in Nigeria wider. Die Zukunft der Branche wird nun davon abhängen, in welchem Maße sie sich auf die Technologien der Zukunft einlässt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2019.


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