Billy Kahora und Patrick Wildermann - 25. September 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kultur- & Kreativwirtschaft in Afrika

Geschichten mit Lokalkolorit


Die kenianische Literaturszene

In Kenia besteht eine große Nachfrage nach Literatur, die lokale Geschichten erzählt. Das in Nairobi ansässige literarische Netzwerk Kwani Trust hat das erkannt und setzt sich für das Wachstum der kreativen Industrie in der Region ein, indem es zeitgenössische afrikanische Literatur veröffentlicht und verbreitet. Der Kulturjournalist Patrick Wildermann spricht mit dem kenianischen Schriftsteller Billy Kahora.

 

Patrick Wildermann: Herr Kahora, wie sieht es in Kenias Literatur-Szene aus? Könnten Sie uns einen kleinen Überblick geben?

Billy Kahora: Die Literaturszene in Kenia boomt. Es gibt eine neue Generation von Schriftstellern, die zwischen 20 und 40 Jahren alt sind, und im Internet wird viel gutes Material angeboten. Eine aufregende neue Szene mit Vorführungen, bei denen aktuelle Bücher und Geschichten verarbeitet werden, entwickelt sich. Dazu gehören auch Theaterstücke oder auf Dichtung basierende Darbietungen. Das Publikum lechzt regelrecht nach neuem Material mit Lokalkolorit, also Geschichten, die in Kenia spielen und kenianische Probleme unter die Lupe nehmen.

 

Was hat Sie persönlich als Jugendlicher geprägt?

Ich gehöre einer Generation an, die älter ist als die gerade beschriebene Generation, die Generation der 40- bis 60-Jährigen, die mit Schriftstellern aufwuchsen, die heute zwischen 70 und 80 Jahren alt sind und die zur Zeit der „Africa-Writers“-Buchreihe erwachsen wurden.

 

Ist das die Buchserie, die seit 1962 vom britischen Heinemann Verlag herausgebracht wird und afrikanischen Schriftstellern wie Chinua Achebe, Steve Biko und Nadine Gordimer eine Stimme verlieh?

Genau. In den 1970er und 1980er Jahren gab es nach Erscheinen dieser beliebten Genres einen Boom, und seitdem wird regelmäßig kenianische Literatur veröffentlicht. Das meiste wird auf Englisch verfasst. Es gibt jedoch auch eine ältere Tradition, deren Vertreter in Kisuaheli schreiben.

 

Gibt es unter kenianischen Schriftstellern kritische Diskussionen in Bezug auf die Verwendung der englischen Sprache?

Die Verwendung der englischen Sprache in der Literatur hat natürlich etwas damit zu tun, dass Kenia im englischen Kolonialsystem verwurzelt ist und eine koloniale Vergangenheit hat. Das stimmt aber nur teilweise. Autoren, die in Englisch schreiben, befassen sich ja auch mit Fragen der Gegenwart, die oft keinen direkten Bezug zu unserer anglophonen Geschichte haben. Auf der anderen Seite werfen die Verwendung sowie die Bedeutung der englischen Sprache innerhalb dieses Kontexts immer wieder Fragen auf. Auf Kisuaheli verfasste Geschichten gibt es in der kenianischen Kultur natürlich schon viel länger.

 

Konzentriert sich das gesamte kreative Potenzial heutzutage in Nairobi?

Nairobi hatte lange Zeit die lebendigste Literaturszene. Aber heutzutage tut sich, insbesondere was Aufführungen angeht, mehr in Mombasa, Kisumu und Nakuru.

 

Sie sind selbst Schriftsteller und haben z. B. „The True Story of David Munyakei“ veröffentlicht, eine Geschichte, die auf den wahren Begebenheiten eines Wirtschaftsskandals in Ihrem Land basiert. Könnten Sie uns bitte sagen, welche Themen kenianische Schriftsteller wie Sie interessieren?

Was die heutige Populärliteratur angeht, so mag ich am liebsten epische Romane, die sich mit der Problematik befassen, in Zeiten des Wandels und des Wechselspiels zwischen der Realität vor Ort, der Landesgeschichte und internationalen Kräften Kenianer zu sein. Der Roman mit dem Titel „Der Ort, an dem die Reise endet“ von Yvonne Adhiambo Owuor, der von den Wirren einer Familie in Kenia handelt, wäre ein Beispiel sowie ihr bislang noch nicht ins Deutsche übersetztes jüngstes Werk „The Dragonfly Sea“, ein Entwicklungsroman über ein Mädchen, das auf der Insel Pate im Lamu-Archipel aufwächst.

 

Gibt es auch so etwas wie Untergrundliteratur?

Jalada, ein panafrikanisches Netzwerk in Nairobi, produziert viel kompaktes Online-Material wie Kurzgeschichten und Sachbücher. Die meisten befassen sich mit den genannten Themen, aber in einem kleineren Rahmen. Generell wird auch viel experimentiert.

 

Was hat Sie dazu veranlasst, Kwani Trust zu gründen?

Der Kwani Trust wurde 2013 gegründet, um jungen Autoren eine Verlagsplattform zu bieten. Die Gründung erfolgte, weil sich die meisten Verlage darauf beschränkt hatten, nur noch Schulbücher zu drucken.

 

Wie kam das? Wie sieht denn der Markt für Bücher in Kenia aus?

Romane verkaufen sich nicht gut bzw. man braucht neue Strategien, um die Bücher zu vermarkten, was für die mei­sten Verlage zu kompliziert sein dürfte. Warum sollten sie sich hier engagieren, wenn der Markt für Schulbücher so viel einfacher und lukrativer ist?

 

Wie genau funktioniert Kwani Trust?

Kwani brachte zwischen 2003 und 2016 acht Auflagen einer 400- bis 500-seitigen Anthologie heraus, in der versucht wird, einer ganzen Generation eine Stimme zu geben. Daneben wurde mit dem „Kwani Litfest“ ein Literatur-festival mit dem Ziel veranstaltet, einheimische Autoren und deren Publikum mit regionalen und internationalen Stellen in Kontakt zu bringen. Kwani bringt zudem eine spezielle Reihe mit Romanen und Sachbüchern heraus. Dem Trust geht es stets darum, Nachwuchsautoren, die sonst kaum Möglichkeiten haben, Gehör zu finden, eine Plattform zu bieten.

 

Was haben Sie außerdem erreicht? Würden Sie Kwani Trust als Erfolgsstory bezeichnen?

Auf jeden Fall. Auch 2012 und 2015 fand mit großem Erfolg wieder ein „Kwani Litfest“ statt. Wir veröffentlichten eine Romanreihe mit Büchern wie „Kintu“ von Jennifer Makumbi, einer Autorin aus Uganda, die von Kritikern hochgelobt wurde. Der Roman – die Geschichte eines Clans und einer ganzen Nation – wurde ein moderner Klassiker. Oder „Bleib bei mir“ von Ayobami Adebayo aus Nigeria, die das Porträt einer komplexen Ehe zeichnet. Ich könnte noch viel mehr Beispiele nennen.

 

Was sind die größten Herausforderungen bei Ihrer Arbeit?

Kwani befindet sich zurzeit aufgrund von Finanzierungsproblemen in einer schwierigen Phase. Die größte Herausforderung besteht darin, für Künstler und kreativen Erfolg kommerzielle Nachhaltigkeit sicherzustellen und unsere Abhängigkeit von Geldgebern zu reduzieren.

 

Was erhoffen und wünschen Sie sich von der Zukunft?

Ein gesundes Gleichgewicht zwischen Fördermitteln und kommerzieller Nachhaltigkeit herzustellen.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2019.


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