Sithe Ncube - 1. Februar 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kultur- & Kreativwirtschaft in Afrika

Erhöhte Sichtbarkeit


Wie 2020 für Frauen in der Gaming-Branche in Afrika aussah

Mit der nahezu obligatorischen sozialen Isolation aufgrund der Corona-Pandemie entdeckten viele Menschen weltweit online ein neues Leben für sich. Physische Gaming-Konferenzen und Game Jams wurden durch Online-Versionen ersetzt, einige experimentierten zum ersten Mal mit ganz neuen Formaten. Die Nachfrage nach digitalen Inhalten stieg, da mehr Menschen als je zuvor auf das Internet angewiesen waren, um mit anderen in Kontakt zu treten. Insbesondere die Spieleindustrie profitierte von diesem Digitalisierungsschub. Unterhaltung von zu Hause aus und Social Gaming erfuhren einen enormen Aufschwung. Ich konnte zudem eine weitere Entwicklung beobachten, bewirkt durch die zunehmende Verlagerung des Lebens ins Internet: die erhöhte Sichtbarkeit afrikanischer Frauen im Gaming-Bereich.

 

Seit Jahren habe ich ein persönliches Interesse daran, dass mehr afrikanische Frauen in der Gaming-Branche sichtbar werden. Dafür verfolge ich den Fortschritt von Gamerinnen aus Afrika, die als Sprecherinnen auf Konferenzen auftreten, über die in der Presse berichtet wird, deren Aktivitäten in den sozialen Medien und alles an Inhalten, was ich als durchschnittliche Konsumentin irgendwie wahrnehmen kann. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, 1.000 Beiträge afrikanischer Frauen im Gaming-Bereich durch meine Initiative prosearium.net zu dokumentieren. Die Relevanz einer erhöhten Sichtbarkeit dieser Frauen ist also nicht unbemerkt geblieben.

 

Letztes Jahr beispielsweise war Bahiyya Khan, eine preisgekrönte Spieledesignerin und Autorin aus Johannesburg, als Hauptrednerin bei der digitalen Edition des australischen „Freeplay Independent Games Festival“ zu Gast und hielt eine flammende Rede über die immer noch vorherrschenden Ungerechtigkeiten, denen Frauen in der Gaming-Branche begegnen. Dies war ihr erster Auftritt als Keynote-Speakerin. Anhand eines kurzen Films sowie ihrer Rede gewährte Bahiyya Khan einen Einblick in das Leben in ihrer Heimat Lenasia und sprach über ihre Erfahrung, sich in verschiedenen Gemeinden nicht willkommen zu fühlen. Probleme, die sie bei Events zur Spieleentwicklung erlebt hatte, reichten dabei vom Mangel an nichtalkoholischen Getränken und Catering, das nicht halal ist, bis zur Belästigung der weiblichen Teilnehmerinnen.

 

„Erhebt eure Stimmen!“, war eine der Hauptaussagen der globalen #Black- LivesMatter-Proteste von 2020. Im Zuge dessen wurden die Diskussionen über Rassismus in der Industrie neu entfacht und die Gaming-Industrie wurde noch stärker auf ausgrenzende Praktiken geprüft, die die Beteiligung schwarzer Spieleentwicklerinnen und -entwickler in der Branche beeinträchtigen. Da das Jahr unter dem Stern einer globalen Pandemie stand, fand der Aktivismus vor allem im digitalen Raum eine Plattform. Dort hat sich ein Ort gebildet, an dem wir direkter und offener über die guten wie auch schlechten Erfahrungen sprechen können, die Schwarze in der Gaming-Branche gemacht haben. Mit der so erhöhten Aufmerksamkeit für bestehende Benachteiligung bildeten sich zudem Initiativen, die gezielt schwarze Spieleentwicklerinnen und -entwickler unterstützen, wie „#POCinPlay und Humble Games’ Black Game Developer Fund“.

 

Das gesamte Jahr 2020 hat Limpho Moeti, Produzentin und Unternehmensentwicklerin bei Nyamakop, über „The Importance of Being Authentic“ – Wie wichtig es ist, authentisch zu sein – und die „Commodification of Black Pain in Pop Culture“ – Kommodifizierung des Schmerzes Schwarzer in der Popkultur – gesprochen. Ich befürworte ihre Kritik an der allzu oft missgestalteten Darstellung Afrikas, selbst in einer Ära nach Marvel’s „Black Panther“. Limpho sprach davon, wie selbst die scheinbar erhebende „Wakandifizierung“ Afrikas noch immer eine verzerrte Sicht auf den Kontinent fördert. Selbst als großer Black-Panther-Fan bedauert sie, „wie dieser Film all die ungleichen Kulturen und Glaubensrichtungen nimmt und sie zu einer verwebt. Das festigt den Gedanken, dass es einen richtigen Weg gibt, schwarz zu sein. Einen richtigen Weg, unsere Kultur zu zeigen.“ Limpho Moetis Rede ist zumindest online, dank der „Online Game Devs of Color Expo“, für immer verewigt. Sie selbst hat ihre Erkenntnisse über authentische Repräsentation der afrikanischen Kultur und Lektionen zur Unternehmensentwicklung in Afrika außerdem auf Plattformen wie der „Devcom Game Dev Show“, der „Africa Games Week“ sowie „GamesIndustry.biz“ geteilt.

 

Eine weitere Afrikanerin, der ich gerne bei der Präsentation ihrer Arbeit zugesehen habe, ist Estelle Makhoba. Sie hat ihr Indie-Spiel „Ambi“ auf der „Devcom Game Dev Show“ mit zahlreichen anderen südafrikanischen Gästen vorgestellt. Es war das erste Mal, dass ich eine Afrikanerin gesehen habe, die ihre Arbeit als unabhängige Indie-Spieleentwicklerin in einer Live-Show präsentierte. „Ich konnte den Code zu drei verschiedenen Spielen beisteuern, habe auch ein paar Online-Vorträge gehalten sowie Showcases meiner Arbeit durchgeführt“, sagt Estelle, erfreut über ein für sie produktives Jahr 2020.

 

Dies ist jedoch bei Weitem nicht die einzige Weise, auf die afrikanische Frauen in der Gaming-Branche im Jahr 2020 sichtbarer wurden. Eine wichtige, oft übersehene Rolle von Frauen in der Gaming-Industrie ist die der Konsumentinnen. Afrikanische Frauen bilden da keine Ausnahme. Ich konnte online einen Aufschwung von Gamerinnen beobachten, seien sie YouTuberinnen, kompetitive Gamerinnen oder Streamerinnen. Malindi Chipenzi aus Sambia beispielsweise nahm das Jahr der Isolation zum Anlass, mehr von ihren Spielerfahrungen mit Freundinnen und Freunden über die sozialen Medien zu teilen und startete sogar einen eigenen YouTube-Kanal namens „Mali-Chan’s Bizarre Adventures“. Mit etwas mehr als 150 Abonnentinnen und Abonnenten und einem eigenen Discord-Server freut sie sich, online auf Gleichgesinnte in der neuen Normalität zu treffen.

Aufgrund der Pandemie konnte Sylvia Gathoni, eine kenianische Profi-Gamerin, besser bekannt unter ihrem Gamertag „QueenArrow“, nicht zur „Tekken World Tour 2020“ reisen. Obwohl dies ihre Karriere beeinträchtigte, nutzte Sylvia die Gelegenheit, um mehr digitale Inhalte zu erstellen. So streamt sie auf Twitch und YouTube über ihren Kanal „TheQueenArrow98“, Woche für Woche, sofern ihr Jurastudium es zulässt. Sylvia hatte zudem die Möglichkeit, als digitale Influencerin mit lokalen kenianischen Marken zusammenzuarbeiten. Sie ermutigt andere afrikanische Frauen, sich selbst offensiver zu vermarkten und für neue Möglichkeiten einzusetzen. „Ich glaube, dass wir aufgrund unserer Erziehung (als afrikanische Frauen) dazu neigen, ein wenig zurückhaltend zu sein, wenn es darum geht, unsere Ziele zu erreichen. Deshalb sind uns die Männer einen Schritt voraus. Sie bemühen sich um das, was sie wollen, und wenn es so sein soll, dann wird es so sein. Wir brauchen die gleiche Einstellung, um das zu erreichen, was wir wollen!“

 

Auf der anderen Seite des Kontinents in Burkina Faso erklärt Evelia Gadegbeku, Präsidentin von „Enter Africa“, einer Initiative des Goethe-Instituts zur Vernetzung von Gamerinnen und Gamern, inwiefern 2020 für sie und ihre Kollegen ein Jahr der Neuausrichtung war. Da geplante Aktivitäten verschoben wurden und ihr Entwicklerteam plötzlich die gesamte Zusammenarbeit online bewerkstelligen musste, waren die Pläne für den kommenden Spielprototyp kurz davor, sich in Luft aufzulösen. Die Absage von Konferenzen und Messen sowie die plötzliche Unterbrechung der Finanzierung brachten das Team in eine sehr schwierige Lage, die sie alle zum Umdenken zwang.

 

„Es schien uns offensichtlich, dass andere Möglichkeiten erkundet werden mussten. Wir spürten die Begeisterung der Öffentlichkeit für Online-Spiele und gingen dazu über, E-Sport-Wettbewerbe zu organisieren, um unsere übliche Game Night zu ersetzen und die Gemeinden zusammenzuhalten.“ Der Start der kontinentübergreifenden E-Sports-Serie von Evelia und ihren Partnern ist für Mitte Januar 2021 geplant. „Wenn man mein Jahr 2020 in einem Wort zusammenfassen würde, wäre es Widerstandsfähigkeit“, fährt Evelia fort. Ich weiß, dass viele Vorreiterinnen und Unternehmer auf dem Kontinent dieses Gefühl kennen. Der Druck, seine Ziele zu erreichen und davon zu leben, hat sich durch die Pandemie vervielfacht.

 

Einen weiteren Aspekt, den diese Pandemie mit sich brachte und der auch ein paar mehr Türen für Frauen auf dem Kontinent geöffnet hat, ist die Verfügbarkeit von Homeoffice-Arbeitsplätzen. Adoné Kitching kam letztes Jahr als Produzentin zum Indie-Game-Publisher „Devolver Digital“ und arbeitet im Homeoffice von ihrem Wohnsitz in Kapstadt aus. Im selben Jahr kam Kirsten Lee Naidoo als Projektassistentin zur Videospielberatungsagentur „Robot Teddy“. Kirsten berichtet, dass ihre Position bei Robot Teddy es ihr erstmals ermöglicht hat, Teil von Gesprächen zu sein, an denen sie sonst nie teilgenommen hätte. Sie bestätigt den Mehrwert, den sie durch ihre Arbeitsposition von zu Hause aus erfährt. „Es gibt ohnehin nur noch wenige südafrikanische Spielestudios und viele von ihnen haben weder die Zeit noch die Ressourcen, Personal aus- und weiterzubilden. Daher ist es wirklich großartig, dass ich bei einer Firma wie Robot Teddy Erfahrungen sammeln darf.“ Obwohl wir oft nicht in die Einstellungsentscheidungen von Gaming-Firmen eingeweiht sind, sollte die zunehmende Sichtbarkeit afrikanischer Frauen in Schlüsselpositionen der Branche weiter verfolgt werden.

 

Ich bin mir bewusst, dass die Berichte einer Handvoll Frauen nicht vollständig aufzeigen, wie es ist, eine afrikanische Frau in der Gaming-Branche zu sein. Als Panafrikanistin glaube ich jedoch, dass der Fortschritt einer steigenden Anzahl afrikanischer Frauen in einflussreichen Positionen der Branche und die Entwicklung, ihnen mehr Plattformen zur Kommunikation ihrer Ideen zu geben, Mittel sind, die uns alle, die wir gemeinsam von systematischen Problemen in unserer Region betroffen sind, bestärken. Das gilt auch für die Sichtbarkeit von farbigen Frauen im Gaming-Bereich weltweit. Wenn es mehr Möglichkeiten gäbe, dann könnten die Herausforderungen, mit denen sich Frauen in der Gaming-Industrie konfrontiert sehen, direkter angegangen werden. Und so könnten die Hindernisse für Frauen aus aller Welt Stück für Stück aus dem Weg geräumt werden. Sogar die junge Frau aus Sambia in mir hätte sich nie eine Zukunft vorstellen können, in der sie vertraute Gesichter weltweit ausgestrahlt sieht. Das bedeutet, dass die Gaming-Industrie mehr für uns tun kann.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.


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