Bethlehem Anteneh und Tino Hahn - 25. September 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kultur- & Kreativwirtschaft in Afrika

Ein Forum für die breite Masse


Die afrikanische Gaming-Landschaft geht voraus

Bethlehem Anteneh gehört zu den führenden Köpfen in der afrikanischen Spieleindustrie und ist eine Expertin mit profundem Wissen über die afrikanische Gaming-Landschaft. Sie verwendet Denkmuster aus der Spielebranche, um alltägliche Herausforderungen zu meistern und entfesselt die Macht der Spiele, um Vorurteile auszuräumen und weitverbreitete Missverständnisse zu entkräften. Als Beweis führt sie „Busara“ an, ein afrikanisches „Megagame“, das von 15 Teams aus 15 afrikanischen Nationen entwickelt und vom Goethe-Institut gefördert wurde.

 

Tino Hahn: Wie beurteilen Sie die Spieleindustrie in Äthiopien im Vergleich zu der Spielebranche in anderen afrikanischen Ländern?

Bethlehem Anteneh: Die Spielebranche in Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien, fristet zurzeit ein Nischendasein, obwohl ihr Potenzial enorm ist. Die Verbesserung der Infra­struktur, die unter anderem dazu geführt hat, dass mehr Menschen billigen Internetzugang haben, hat der Industrie, die gegenwärtig ein Nischenmarkt ist, nicht nur geholfen, sondern hat auch Neulinge in der Branche hervorgebracht. Dennoch ist Äthiopien keine Konkurrenz für andere afrikanische Länder südlich der Sahara, wie z. B. Südafrika, Nigeria und Kenia, die schon länger in der Gaming-Szene unterwegs sind und eine viel größere Community-Basis haben.

 

Was sind die gegenwärtigen Trends in der äthiopischen Spieleindustrie?
Schaut man sich die wenigen Akteure an, die sich im Moment formieren, kann man sagen, dass sich mobiles Spielen, das mittlerweile bei den Menschen auf dem Land sowie in der Diaspora angekommen ist, großer Beliebtheit erfreut. Derzeit geht der Trend dahin, dass mobile Spiele entwickelt werden, die nicht nur vom Wesen her afrikanisch sind, sondern die die kulturellen Erfahrungen von Äthiopiern widerspiegeln. Dies scheint sehr gut anzukommen. Es wird nicht nur akzeptiert, sondern es zeigt, dass dies etwas ist, worauf die Einheimischen und die Menschen in der Diaspora schon lange gewartet haben.

 

Was sind die wichtigsten Lehren, die Sie aus Ihren Kontakten mit der Spieleindustrie in anderen afrikanischen Ländern gezogen haben?
Computer- und Videospiele als Möglichkeit für kulturübergreifendes Lernen waren nur der Anfang. Die andere wichtige Lehre bestand darin, dass Spiele potenziell als Eisbrecher fungieren können, um andere neue Technologien aus Afrika und innerhalb Afrikas nach Äthiopien zu bringen. Dazu kommt, dass Länder, sobald sie miteinander verbunden waren, auch unabhängig voneinander Wachstum verzeichneten und dafür sorgten, dass ihre eigene Gaming-Szene durch die Zusammenarbeit
mit neuen Freunden aus anderen Ländern aufblühte.

 

Wie können Denkmuster aus der Spieleindustrie dabei helfen, die Herausforderungen, mit denen sich afrikanische Städte konfrontiert sehen, zu bewältigen?
Vergessen wir für einen Augenblick, dass die Spieleindustrie eine der milliardenschwersten Branchen des Entertainmentsektors ist. Befassen wir uns mit den Gründen, warum diese Branche so erfolgreich ist. Liegt es daran, dass es einen Bruch mit der „Wirklichkeit“ gibt? Oder zieht die Branche mehr Geldgeber an? Unabhängig von der Antwort zeigt uns der Sektor weiterhin sein Potenzial. Spiele liefern letztlich eine der handfestesten und praktischsten erfolgreichen Fallstudien zur Erschließung des naturgegebenen Instinkts der Menschen, die sich anpassen und weiterentwickeln wollen. Wenn wir dies nutzen, um unsere Methoden neu zu überdenken, kommen wir auf einfache und nachhaltige Lösungen der Teilhabe.

 

Einer der wichtigsten Gründe, warum Computer- und Videospiele so viele Menschen so viele Stunden in ihren Bann ziehen, liegt darin, dass Spiele Teilhabe ermöglichen und der breiten Masse ein Forum bieten. Spiele liefern die Rahmenbedingungen, in denen die breite Masse der Menschen freiwillig lernt, sich weiterentwickelt und vorankommt. Im Gegensatz dazu wird den Menschen in den meisten Bereichen, in denen sie in der analogen Welt bzw. Wirklichkeit agieren müssen, anstelle eines Rahmens, mit dem sie arbeiten können, ein fertiges Produkt vorgegeben. Die bessere Zukunft, die wir der nächsten Generation versprechen, ist sehr fragil. Es sei denn, die Gegenwart zeigt den Menschen Wege zur Selbstfindung auf, bei denen sie sich freiwillig mit Herausforderungen beschäftigen, die denen in der virtuellen Welt, in der die Spieler dauernd versuchen, unnötige Hindernisse aus dem Weg zu räumen und Probleme zu bewältigen, gleichen.

 

Können Sie näher erklären, wie der Einsatz von Spielen generell zu einer besseren Zukunft führen kann?
Allgemein betrachtet wollen Spiele ein Gefühl von Zugehörigkeit vermitteln. Dies ist wesentlich für das Funktionieren großer Netzwerke. Wir sprechen hier von einem Zugehörigkeitsgefühl, das sich komplett vom Konzept unnötiger gesellschaftlicher Vorurteile und vom Klassendenken verabschiedet. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung. Denkmuster, die beim Spielen zum Einsatz kommen, beweisen, dass die demotivierende Einstellung bezüglich einer besseren handfesten Zukunft in der Tat daher kommt, dass in größeren Zusammenhängen wenig in Bezug auf spielerische Konzepte unternommen wird. Diese Lücke füllt das Denken in Spiele-Kategorien.

 

Es wird sicher eine Zukunft geben. Eine bessere Zukunft ist jedoch ein gedankliches Konstrukt, das von uns allen extensives Lernen erfordert. Wie die Zukunft genau aussehen wird, entscheiden wir durch unser Tun. Wenn wir daher sagen, dass es bei einer besseren Zukunft darum geht, uns als Menschen weiterzuentwickeln und anzupassen, müssen wir verstehen, wie primitive Menschen Wissen erworben, sich angepasst und weiterentwickelt haben. Wir haben alle einen Spieltrieb. Es geht dabei nicht um „Spaß“ im eigentlichen Sinne oder um Zeitvertreib, sondern darum, wie wir spielerisch mit kritischen Dingen wie Herausforderungen umgehen und Dinge kreativer oder effizienter lösen. Die Neugier und das Bedürfnis zu wachsen und sich weiterzuentwickeln ermöglichen es Menschen zu existieren. Spielen ist Teil der menschlichen Natur. Es wird Zeit, dass die Zukunft beginnt, um dies zu verstehen und damit die notwendigen Änderungen eingeleitet werden. Es wird Zeit, dass wir durch die Integration spielerischer Elemente in alltägliche Handlungen wieder zu schöpferischen, kreativen Wesen werden, wenn es darum geht, große Herausforderungen anzugehen, die die Stärke der Nachhaltigkeit unserer Gesellschaften bedrohen.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2019.


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