Omid Nouripour - 22. Dezember 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kultur im Iran

Niemand erwartete die Rolling Stones


Kulturpolitik nach dem Atomabkommen

Das Tehran Museum of Contemporary Art ist ein Unikum: die größte Sammlung westlicher Kunst außerhalb des Westens. In seinem Bestand finden sich Werke von Bacon, Rothko, Pollock und anderen Künstlergrößen des 20. Jahrhunderts. Die Sammlung ist das vielleicht prägnanteste Symbol der letzten Jahre der Schah-Zeit – ein Ausdruck des unbedingten Willens der iranischen Elite, Teil der westlich geprägten kulturellen Moderne zu werden. Und genau deshalb wurden die Werke nach der Revolution in ein Kellerdepot verbannt und waren seither mit wenigen Ausnahmen kaum mehr sichtbar: Der Aufstand gegen die „Verwestlichung“ war ein Kernbestandteil der revolutionären Identität.

 

Nach dem Iran-Besuch von Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Oktober 2015 wurde verkündet, dass Teile der Teheraner Sammlung für eine Sonderausstellung nach Berlin reisen sollten. Für die kulturelle Identität der Islamischen Republik war das ein epochaler Schritt, wird damit doch ehemals verfemte Kunst Teil der offiziellen Auswärtigen Kulturpolitik.

 

Dass die Ausstellung inzwischen zum Politikum und Teil des Machtkampfes in der iranischen Innenpolitik geworden ist, sollte daher nicht verwundern. Die Fronten in der Auseinandersetzung sind unklar: Widerstand regt sich von verschiedenen Seiten. Er umfasst diejenigen, die Verrat an den Werten der Islamischen Republik wittern und diejenigen, die fürchten, die Werke könnten wegen unklarer Besitzverhältnisse beschlagnahmt werden, wenn sie das Land verlassen. Für letztere Vermutung gibt es keine klaren Anhaltspunkte, sie zeigt aber, wie wenig Vertrauen die kulturellen Akteure im Iran untereinander haben. Die Gegner waren vorerst erfolgreich: Die Eröffnung ist verschoben, aber noch keineswegs abgesagt. Das ist ärgerlich, aber nicht tragisch: Die Staatlichen Museen Berlin planen die Schau in der Wandelhalle der Gemäldegalerie, die nur in Ausnahmefällen für Ausstellungen genutzt wird – und der durch die Verschiebung folglich kein Schaden entsteht.

 

Das ist ein kluger Umgang mit einem solchen Projekt. Durch die Flexibilität der deutschen Partner wird Brisanz aus der Sache genommen – die Verschiebung wird nicht zum ganz großen Politikum, in das man Gedeih oder Verderb der deutsch-iranischen Beziehungen als Ganzes hineinprojizieren kann. Die Posse spiegelt auch wider, was der deutschen und europäischen Politik grundsätzlich in den Beziehungen mit dem Iran nach dem Atomabkommen abverlangt werden wird: ein langer Atem, Verständnis der fragmentierten politischen und kulturellen Landschaft im Iran und viel Beharrlichkeit. Möglich gemacht wurde das Ausstellungsprojekt nach der Unterzeichnung des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), der Einigung über das iranische Atomprogramm. Dass mit dem Abkommen keine Berge versetzt würden, war den meisten Iranerinnen und Iranern klar. In Teheran, Isfahan und Schiraz bedeutet jedoch verständlicherweise bereits die Abwesenheit offener Kriegsdrohungen aus den USA und Israel sowie die Fortsetzung des diplomatischen Dialogs einen Fortschritt. Mit der schrittweisen Aufhebung der UN-Sanktionen, wie sie im JCPOA vereinbart ist, so die Hoffnung der iranischen Unterstützer, sollen wieder mehr ausländische Investitionen im Iran getätigt und der Waren- und Personenverkehr erleichtert werden.

 

Durchgreifende Liberalisierungen in der Kulturpolitik, wie sie von westlicher Seite häufig impliziert wurden, erwartete auch die iranische Zivilgesellschaft selbst nicht. Zu gut kennt sie ihr oft widersprüchlich agierendes Machtsystem, in dem ein ständiges Austarieren der Interessen zwischen verschiedenen Gruppen von Hardlinern und Reformern stattfindet. Mit anderen Worten: Niemand im Iran erwartete die Rolling Stones in Teheran. Bei ganz praktischen Fragen aber wurden viele der Hoffnungen enttäuscht, auf die Rohani seine Kampagne gegründet hatte: An der Zensurpolitik hat sich ebenso kaum etwas geändert wie an den Einschränkungen der freien Meinungsäußerung oder den Schikanen gegen Kulturschaffende, wie jüngst der Fall der im Iran festgehaltenen, binationalen Berlinale-Mitarbeiterin zeigt.

 

Auch hier sind die Verantwortlichkeiten nicht in einer Hand, und es ist meist nicht klar, ob Rückschläge auf das Konto von Konservativen gehen, die jegliche Form der Öffnung konterkarieren wollen, oder ob es sich schlicht um mangelnden Reformwille der Regierung handelt. Und das gilt nicht nur für die Kulturpolitik.

 

In Europa und in Deutschland waren die Erwartungen an die Veränderungen im Iran immens, vor allem in der Wirtschaft. Die undurchsichtigen Strukturen sind auch hier ein Problem: Es fehlt an Rechtssicherheit und Transparenz. So ist es beispielsweise unklar, hinter welchen Firmen die nach wie vor sanktionierten Revolutionsgarden stecken, die wirtschaftlich höchst aktiv sind. Auch hier bedarf es Geduld und realistischer Erwartungen. Deutschland und seine europäischen Partner werden bei der weiteren Annäherung an den Iran eine wichtige Rolle spielen. Dies gilt insbesondere nach dem Wahlsieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen. Rückschläge sind zu erwarten, müssen jedoch stets im Kontext der ambivalenten Machtstrukturen im Iran gesehen werden. Deswegen müssen wir uns zum Dialog bekennen, ihn aber kritisch führen, Chancen aufzeigen, Vertrauen aufbauen, Missstände klar benennen.

 

Kurzschlussreaktionen, die zum Abbruch des Gesprächsfadens führen, stärken nur die Hardliner. Nur durch die Stärkung der dialog­orientierten Kräfte in Teheran kann es langfristig zu einer wirklichen Annäherung kommen – und die Werke des Teheraner Kunstmuseums können möglicherweise noch in vielen anderen Städten bestaunt werden. Es ist noch ein steiniger Weg zu gehen. Dass er sich jedoch lohnt, sieht man an der Schönheit der Jahrzehnte lang versteckten Pollocks und Magrittes. Und erst recht an den leuchtenden Augen der iranischen Besucher dieser Meisterwerke.

 

Dieser text ist zuerst in der Politik & Kultur 1/17 erschienen.


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