Shahla Lahiji - 22. Dezember 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kultur im Iran

Das Schicksal des Buches


Literaturzensur im Iran

Als ich vor 35 Jahren als erste Frau meine Arbeit als Verlegerin begann, lernte ich beim Herausgeben meines ersten Buches, dass die größte Hürde auf diesem Weg der Kampf gegen die Zensur sein würde, und dieser Kampf dauert noch immer an. Damals befand sich mein Land im Krieg, und wir standen unter wirtschaftlichen Sanktionen. Neben Lebensmitteln zählte auch Papier zu den strategischen Gütern, so wurde dessen Produktion und Import von der Regierung kontrolliert. Für den Buchdruck benötigt man Papier, und um Papier zu erhalten, musste die Buchbehörde im Ministerium für Kultur und Islamische Führung, auch Erschad-Ministerium genannt, dem Druck des Buches zustimmen. Ich kann mich gut an die Herausgabe des Buches „Die Frau auf der Suche nach ‌Befreiung“ erinnern. Das vom Kampf der Frauen vor und während des ersten und zweiten Weltkrieges in Deutschland handelnde Buch schien wegen der Ähnlichkeit zur Situation der Frauen zu Beginn der Islamischen Revolution eine Überführung der geschichtlichen Aspekte in die Gegenwart zu sein. Insbesondere die beruflichen Einschränkungen wurden thematisiert. Für den Erhalt von 34 Ries, ein Ries sind 500 Bogen Papier, musste ich zusätzlich zu den drei Monaten, die ich in der Warteliste verbrachte, mein eigenes Vorwort vier Mal ändern.

 

Die Einschränkungen betrafen nicht nur das Papier, auch andere für den Druck nötige Güter waren betroffen. Aus diesen Gründen konnte ich in den ersten Jahren meiner Verlegertätigkeit nur zwei Bücher im Jahr herausbringen. Wir stellten uns vor, dass mit dem Ende des Krieges und der Aufhebung der Sanktionen auch diese Einschränkungen aufgehoben werden würden. Der Krieg endete. Papier wurde frei verfügbar. Die Zensur aber blieb unerschüttert bestehen. Ein Buch musste vor dem Druck zur Überprüfung der Zensurbehörde überreicht werden. Sie sagten ihr Urteil sei lediglich konsultierender Natur, damit das Buch nach dem Druck keine Probleme bekomme. Denn das Buch musste, um die Druckpresse verlassen zu dürfen, vom Erschad-Ministerium eine Genehmigung erhalten. Wurde diese Genehmigung verweigert, so durfte das Buch die Druckpresse nicht verlassen und nicht auf den Markt gebracht werden. Im Endeffekt ist jeder finanzielle Aufwand, den der Verleger betrieben hat, zugrunde gegangen. Hier begann die „Selbstzensur“ der Autoren und Verleger.

 

Natürlich konnte kein konkretes Gesetz zur Zensur existieren, denn in der Verfassung der Islamischen Republik war Zensur vor und nach dem Druck ausdrücklich verboten. Aber niemand kümmerte sich um das Gesetz, und das Schicksal des Buches war abhängig von der Tagespolitik der Regierung und dem Geschmack der Zensoren, die natürlich keinem Verleger bekannt waren. Alle Themen, die die Zensur betrafen, wurden hinter der Bühne behandelt. Der Verleger erhielt kein Dokument, das er für eine rechtliche Beschwerde nutzen konnte. Auf einem Stück Papier ohne Name und Anschrift oder Unterschrift wurde geschrieben, auf dieser oder jener Seite müssten diese Worte, jene Sätze oder ganze Seiten und Abschnitte entfernt werden. Bei Büchern, deren Druck komplett verboten war, wurde der Verleger mündlich informiert.

 

Verbotene Themen umfassten Frauenfragen, jedwede Kritik an ‌bürgerlichen Rechten, Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Antimilitarismus, von Klerikern geführte Institutionen, Frauenliteratur, Liebe und romantische Beziehungen vor der Ehe, Scheidungsgesuch seitens der Frau, Worte wie „Kuss“, Tanz, alkoholische Getränke, voreheliche sexuelle Beziehungen und sogar sich bei den Händen halten. Auch geisteswissenschaftliche, geschichtliche oder psychologische Bücher, insbesondere welche von Freud oder über Sozialwissenschaften, die Entstehung der Menschheit und viele weitere Themen, von denen wir nichts verstanden, die die Zensoren aber als zu individualistisch einstuften, wurden verfemt.

Gründe wurden nicht genannt. Verhandeln hatte keinen Zweck, besonders bei Frauenfragen und politischen Themen.

 

Dieser Zustand hielt bis zur Übernahme der Regierung durch Mohammad Khatami an. Als Ataollah Mohajerani Erschad-Minister wurde, hat sich die Situation verbessert. Viele bis dahin verbotene Bücher wurden genehmigt. Sogar das Ministerium selbst hat ein Buch über Verletzung der Verfassung und Fälle von Zensur in der vorherigen Regierung herausgegeben. Ich kann mich erinnern, dass mein Verlag 34 beschlagnahmte Bücher hatte, die allesamt genehmigt wurden. Eine vermilderte Zensur hielt dennoch an. Raum zum Feilschen gab es aber auch.

 

Aktuell hat sich die Lage aber zu Vor-Khatami-Zeiten, schlimmer sogar, zur Ahmadinedschad-Ära zurückentwickelt. Für die Grundpfeiler der Kultur wie Literatur, Film, Theater und Bildende Künste war dies ein Albtraum. Das Schlimme ist, dass während der Amtszeit von Mahmud Ahmadinedschad ein regulatorisches Gesetz erlassen wurde. Demnach hätten Verleger und Autor eine Straftat begangen, sollte ihr Buch keine Druckgenehmigung erhalten. Viele Beamte in leitenden Positionen des Erschad-Ministeriums, die gnadenloser Zensur widersprachen, wurden vor Gericht gebracht und entlassen. Außerdem besagte dieses Gesetz, dass jedes Mal, wenn ein Buch verboten wird, der Verleger einen Strafpunkt erhalten würde. Im Falle einer Anhäufung von Punkten steht es dem Ministerium zu, die Arbeitserlaubnis des Verlages zu entziehen. Das Gesetz wurde auf viele Verleger angewandt, und ihre Verlage befanden sich eine Zeit lang in Ungewissheit. Einer der mutigeren Verleger erreichte durch eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht die Aufhebung des temporären Arbeitsverbots. Das Erschad-Ministerium antwortete jedoch, es sei nicht verpflichtend, das Urteil auszuführen, und der Fall blieb ungeklärt.

 

In den letzten zwei Jahren der Ahmadinedschad-Regierung warteten hunderte Bücher auf eine Genehmigung im Ministerium. Viele Filme, die sogar international ausgezeichnet waren, wurden beschlagnahmt, viele Regisseure inhaftiert und Theatervorführungen gestoppt. Zahlreiche Schriftsteller haben das Land verlassen. Ich selbst hatte in diesen zwei Jahren 55 Bücher, die im Ministerium auf eine Genehmigung warteten. Teilweise hatten diese Bücher bereits eine permanente Druckgenehmigung erhalten, die jedoch wieder für ungültig erklärt wurde. Als Präsident Rohani mit den Stimmen des Volkes die Regierung übernahm – ich habe ebenfalls für ihn geworben – waren wir voller Hoffnung, dass sich die Situation ändern würde. Über jene 55 Bücher setzte ich mich mit dem Erschad-Minister in Kontakt. Er sagte: »Falls möglich, werde ich handeln«, aber er tat nichts. Ich wandte mich an den Staatssekretär für Kultur. Er leitete mich weiter zum Generaldirektor. Der Direktor sagte, nicht alles läge in seiner Hand. Ich erzählte es dem zuständigen Sachbearbeiter. Er sagte, die Befehle kämen von woanders. Am Schluss hat keines der 55 Bücher, die größtenteils wissenschaftliche Abschlussarbeiten meistens zu Frauenfragen waren, eine Genehmigung erhalten. Gründe für die Verbote wurden nicht genannt. Vielleicht hat sich in der Rohani-Regierung die Lage für manche Verlage verbessert. Vor allem, wenn ihre Bücher keine der oben genannten kritischen Bereiche zum Thema machen.

 

Aber momentan ist das besorgniserregende die Auflage, die 500 oder gar 200 Bücher erreicht hat. Dies ist für eine Nation von fast 80 Millionen Bürgern, davon größtenteils Jugendliche und junge Akademiker mit hoher Bildung, eine Katastrophe. Die wirtschaftliche Lage hat zum Entfernen des Buches aus dem Einkaufskorb vieler Familien geführt. Doch der größte Grund für die fehlende Vorliebe für Bücher ist die aufgrund von Zensur verloren gegangene Achtung. Es zeigt sich für das Buch das gleiche Schicksal, das der Film und jeder weitere Aspekt der Kultusszene erlitten hat. Arbeitet Hassan Rohani nicht unmittelbar auf Reformen zu, erwartet ihn ein politischer Abgang, wie ihn Mohammad Khatami erleben musste.

 

Der Text ist zuerst in der Politik & Kultur 1/17 erschienen.


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