24. April 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Europawahl 2019

Antworten Bündnis 90/Die Grünen auf die Wahlprüfsteine zur Wahl des Europäischen Parlaments 2019


1. Wollen Sie sich für eine weitere Stärkung der Europäischen Union einsetzen? Wenn ja, welche Maßnahmen planen Sie hierzu? Wenn nein, warum nicht? Teilen Sie den Eindruck des Deutschen Kulturrates, dass die Durchsetzung von Partikularinteressen in der Europäischen Union an Bedeutung gewinnt? Wie soll Europa hierauf reagieren? Was wollen Sie unternehmen, um der gemeinsamen Idee von Europa mehr Schlagkraft zu geben und den Zusammenhalt in der Europäischen Union zu verbessern?

 

Die Europäische Union bietet uns als Europäer*innen die Möglichkeit, in der Globalisierung handlungsfähig zu sein und die Entscheidungen über unser Leben demokratisch zu treffen. Dafür wollen wir eine EU mit mehr Stärke und Entscheidungskraft. Die Glaubwürdigkeit dieser Stärkung lebt aber von der demokratischen Rückkopplung an die Bürger*innen der EU. Wächst der Einfluss von Brüssel, muss auch die Mitsprache der Bürger*innen wachsen. Das Europäische Parlament soll in allen Bereichen gleichberechtigt mit dem Rat entscheiden können und ein eigenes vollwertiges Initiativrecht für europäische Gesetzgebung erhalten. Im Rat der Mitgliedstaaten, dem Entscheidungsgremium der nationalen Regierungen, wollen wir eine noch häufiger drohende Blockade einiger europafeindlich auftretender Regierungen verhindern. Dafür wollen wir im Rat bei Verhandlungen und Mehrheitsentscheidungen, wo es bisher noch Einstimmigkeit braucht, die Positionen der Mitgliedstaaten transparenter machen, z.B. bei Steuern.

 

Die EU-Verträge versprechen, dass die EU-Institutionen allen Bürger*innen gleich zuhören (Artikel 9 EU-Vertrag). Wirtschaftlich starke Interessen können sich aber mehr Einfluss leisten als schlechter finanzierte, aber am Allgemeinwohl orientierte Interessen. Um mehr Schutz gegen das Übergewicht von Einzelinteressen oder gar Korruption zu schaffen, wollen wir Lobbyismus transparenter machen. Weil Kommission und Parlament schon verbindliche Regeln für Lobbytransparenz haben, ist dies besonders dringend im notorisch intransparenten Rat der Mitgliedstaaten und den Ständigen Vertretungen der Regierungen in Brüssel. Am 31.01.2019 hat das Europaparlament zum ersten Mal verbindliche Regeln für Lobbytransparenz beschlossen. Entscheidungsträger*innen unter den Europaabgeordneten müssen ihre Treffen mit Lobbyisten online veröffentlichen. Die Regel greift voraussichtlich zum Beginn der nächsten Legislatur. Die Initiative dafür kam von uns Grünen.

 

81% der Deutschen sind heute für Europa. Diese 81% sind für uns eine Verantwortung. Die Verantwortung, dass in Deutschland Mehrheiten entstehen für ein mutiges Vorrangehen mit Europa. Für ein solidarisches Europa. Für das Ende der Blockadepolitik der großen Koalition gegen mutige Vorschläge etwa aus Frankreich. Europa bedeutet europäische Solidarität, nicht nationales Saldo! Europa bedeutet Stärke durch Zusammenhalt, nicht Schwäche durch Spaltung! Wir wollen kein rechtes Europa, wir wollen ein gerechtes Europa.

 

2. Welche kulturpolitischen Initiativen planen Sie im neuen Europäischen Parlament?

 

Generell setzen wir uns dafür ein, allen Europäer*inen den Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen, damit jeder Kultur mitschaffen, miterleben und mitgestalten kann. Wir setzen uns dafür ein, dass die ambitionierte Position des Europäischen Parlaments im Programm Kreatives Europa in den Verhandlungen mit dem Rat verteidigt wird. Wir GRÜNE fordern zudem die Aufnahme von delegated acts in Kreatives Europa, die eine parlamentarische Kontrolle über die jährlichen Arbeitsprogramme ermöglichen. Außerdem gibt es von uns initiierte oder unterstützte Pilotprojekte (z.B. European Houses of Culture), auf deren erfolgreiche Umsetzung wir drängen.

 

3. Welche Bedeutung messen Sie der Sicherung der Kunst-, Meinungs- und Informationsfreiheit zu? Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, wenn die Kunst-, Meinungs- und Informationsfreiheit in Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingeschränkt werden?

 

Kunst-, Meinungs- und Informationsfreiheit sind zentrale Pfeiler der Demokratie. Wir GRÜNE lassen es nicht zu, dass Nationalist*innen und Rechtsextreme diese Grundprinzipien der EU attackieren. Wir fordern einen Grundrechts-TÜV: Ein unabhängiges Gremium aus Verfassungsexperten soll alle EU-Mitgliedsländer regelmäßig auf die Einhaltung demokratischer Grundsätze hin überprüfen, Empfehlungen für Verbesserungen machen und wenn nötig Sanktionen vorschlagen. Wir wollen außerdem, dass Fördermittel an die Einhaltung demokratischer Grundwerte gebunden werden: Wir schlagen vor, dass Regierungen, welche Rechtsstaatsprinzipien und europäische Grundwerte fundamental verletzen, die Verfügung über EU-Gelder entzogen wird. In solchen Fällen soll die EU-Kommission die Gelder künftig direkt an Kommunen und andere Fördermittelempfänger ausbezahlen. So wird den nationalen Regierungen die Vergabemacht entzogen, das Geld kommt aber weiterhin dort an, wo es gebraucht und sinnvoll verwendet wird. Und schließlich haben wir gerade durchgesetzt, dass es künftig einen Fonds für Demokratie- und Menschenrechtsverteidiger innerhalb der EU gibt, um den Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume („shrinking spaces“) entgegenzutreten sowie unabhängigen, investigativen Journalismus zu fördern.

 

 

4. Befürworten Sie einen europäischen Förderfonds für Akteure aus Kunst, Kultur und kultureller Bildung, denen auf nationaler Ebene aus politischen Gründen die Förderung entzogen wurde oder verweigert wird?

 

Die Kompetenzen der EU, vorbei an den Mitgliedstaaten bestimmten Akteuren direkte Unterstützung zu leisten, sind begrenzt. Allerdings besteht zweifelsfrei Handlungsbedarf, neben dem Kunst- und Kulturbereich auch den Journalismus und den Medienbereich stärker zu unterstützen. Durch engere Kooperationen mit Stiftungen und anderen Einrichtungen können Rückschläge zumindest abgemildert werden. Diese Kooperationen wollen wir ausbauen. Außerdem haben wir auch in diesem Bereich Pilotprojekte initiiert, wie z. B. den Cross-border Investigative Journalism Fund, der den Austausch von Journalist*innen fördern und somit einen Beitrag zum Qualitätsjournalismus leisten soll.

 

5. Planen Sie Maßnahmen zur Sicherung des Medienpluralismus? Planen Sie Maßnahmen, um gegen die Gatekeeper-Position von Plattformen vorzugehen?

 

Medienpluralismus ist uns ein Herzensthema. Denn eine freie und vielfältige Medienlandschaft kann in der Europäischen Union ein wirksames Korrektiv sein. Die Arbeit von Journalist*innen wurde in den letzten Jahren jedoch immer wieder angegriffen. Die Morde an Ján Kuciak in der Slowakei und Daphne Caruana Galizia in Malta sind bislang der traurige Höhepunkt. Doch auch durch die Regierungen mancher Mitgliedsstaaten der EU wird die journalistische Freiheit eingeschränkt. Die lokalen Medien stehen auch unter finanziellem Druck, wodurch eine qualitative und verlässliche Berichterstattung erschwert wird.

 

Wir fordern daher ein klares Bekenntnis der Europäischen Union zu Medienvielfalt. Mittels gezielter Förderung des Wettbewerbs oder auch einen europäischen Fonds für investigativen Journalismus möchten wir unabhängigen Journalismus in der EU schützen und unterstützen. Denn Europa muss ein Garant für die Pressefreiheit und unabhängigen Journalismus bleiben.

 

Die Plattformökonomie mit ihren Netzwerkeffekten schafft zunehmend Monopole und geschlossene Strukturen. Wir wollen Ordnung in dieses System bringen. Dafür brauchen wir mehr Investitionen, damit unsere Wirtschaft krisenfester und dynamischer wird. Unser Ziel ist eine nachhaltige Digitalökonomie. Ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger*innen lehnen wir jedoch ab und es muss klargestellt werden, dass die Verwendung von Hyperlinks nicht unter das Urheberrecht fällt. Denn dies gefährdet die Grundrechte auf Meinungs- und Informationsfreiheit und die offene Architektur des Internets.

 

Ein weiterer Baustein für die Einschränkung der stetig wachsenden Macht von Digitalkonzernen ist die von uns geforderte Einführung einer europäischen Digitalsteuer.

 

6. Wie stehen Sie zur Einführung einer Digitalsteuer?

 

Wir wollen rasch eine am Umsatz orientierte europäische Digitalsteuer einführen, um das Steuerdumping digitaler Konzerne endlich zu unterbinden. Denn große Tech-Unternehmen zahlen bislang kaum Steuern in der EU, verdienen hier aber Milliarden. Die Bundesregierung blockiert im Rat eine EU-weite Digitalsteuer und verhindert damit eine gerechtere Besteuerung von Internetgiganten wie Google, Facebook, Amazon & Co. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) verschiebt die Digitalsteuer auf den Sankt-Nimmerleinstag, indem er erst für eine weltweite Mindestbesteuerung werben will – die aber nicht kommen wird, wenn Europa nicht vorangeht. Es ist an der Zeit, dass alle großen Digitalfirmen ihren fairen Anteil zahlen. Die Digitalsteuer ist für uns eine provisorische Lösung, mittelfristig wollen wir digitale Betriebsstätten einführen und damit das Steuerrecht ins 21. Jahrhundert überführen.

 

7. Planen Sie urheberrechtliche Initiativen? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?

 

Wir haben uns gegen die EU-Urheberrechtsreform in der kürzlich verabschiedeten Form positioniert, da wir davon überzeugt sind, dass ihre Ausgestaltung in wesentlichen Punkten mehr Probleme schafft als löst. Unser Fokus liegt nun darauf, die Umsetzung der Reform kritisch und konstruktiv zu begleiten und uns bei der nationalen Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie für eine sinnvolle Lösung einzusetzen, die die Rechte von Urheber*innen, Nutzer*‘innen, Verwerter*innen und Plattformen sinnvoll in Ausgleich bringt. Auf europäischer Ebene ist es unwahrscheinlich, dass das Thema in der nächsten Legislatur erneut aufgemacht wird. Mittelfristig wollen wir jedoch ein europaweit einheitliches Urheberrecht mit neuen Vergütungsmodellen, die eine einfache und legale Onlinenutzung von geschützten Werken ermöglichen.

 

8. Planen Sie Maßnahmen zur Sicherung der kulturellen Vielfalt bei Handelsverträgen mit Drittstaaten? Wie wollen Sie sicherstellen, dass nationale kulturwirtschaftliche sowie gemeinnützige Kulturstrukturen durch Handelsverträge mit Drittstaaten keinen Schaden nehmen?

 

Unsere Arbeit basiert auf dem Verständnis, dass Kunst- und Kulturgüter einen doppelten Wert haben: einen kulturellen und einen wirtschaftlichen Wert. Aus diesem Grund setzen wir GRÜNE uns für die Verteidigung der “UNESCO Convention for the Protection and Promotion of the Diversity of Cultural Expressions” bei der Verhandlung internationaler Handelsverträge ein. Sie schützt und fördert die Vielfalt kultureller Arbeit. Wir stehen für eine Handelspolitik, die die Globalisierung gerecht gestaltet, die in ihren Handelsabkommen verbindlich soziale und ökologische Standards und das Vorsorgeprinzip festschreibt, die kommunale Daseinsvorsorge ausreichend schützt, den Pariser Klimavertrag als wesentlichen Bestandteil verankert und die parlamentarische Mitentscheidung garantiert. Darüber hinaus fordern wir, audiovisuelle Dienste auch in Zukunft von Handelsverträgen auszuschließen.

 

9. Welche Bedeutung messen Sie der Auswärtigen Kulturpolitik beim gemeinsamen Auswärtigen Dienst der EU zu? Sehen Sie hier einen Ausbaubedarf? Wenn ja, welche Maßnahmen planen Sie?

 

Wir messen der Kulturpolitik im Bereich der internationalen Beziehungen der EU eine große Bedeutung zu und setzen uns seit Jahren für eine stärkere Rolle ein. So wurde die Plattform für Kulturdiplomatie des Europäischen Auswärtigen Dienstes maßgeblich von einem auf unserer grüner Initiative beruhenden Pilotprojekt (Culture in international relations – 2013) beeinflusst. Auch in Zukunft fordern wir eine stärkere Rolle von Kulturdiplomatie und haben daher das Pilotprojekt European Houses of Culture initiiert.

 

10. Welche Maßnahmen zur Einbeziehung nationaler und europäischer zivilgesellschaftlicher Organisationen in die Beratungs- und Entscheidungsprozesse der europäischen Kulturpolitik werden Sie ergreifen?

 

Zivilgesellschaftliche Organisationen werden bereits bei der Implementierung der Arbeitsprogramme konsultiert und sind an der Auswertung der Programme beteiligt. Dies gilt es auch in Zukunft zu verteidigen und auszubauen. Es muss das Ziel sein, zivilgesellschaftliche Organisationen stärker an den Verhandlungen zu den Kulturprogrammen wie Kreatives Europa, Europäisches Solidaritätskorps oder Erasmus+ zu beteiligen.


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